Kultur:Nächtliche Denker

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Präsenz trotz Stillstand: Bianca Patricia Isensee beim Ebersberger Kunstverein - in der Pose der Wachmänner von Manhattan. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Die Münchner Künstlerin Bianca Patricia Isensee nimmt Wachleute in den Fokus - und die Besucher des Ebersberger Kunstvereins mit auf ihre Streifzüge durch New York

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Wer schon immer mal nachts durch die Straßen von New York spazieren wollte, der muss dafür nun gar nicht weit reisen: Ebersberg ist das neue Manhattan. Frischer Asphalt, der unter den Schuhen knirscht, pflastert die Räume der Alten Brennerei, die Szenerie schummert in gedämpftem, warmem Herbstlicht, und schon im nächsten Moment fühlt sich der Besucher in die Straßen von The Big Apple versetzt, wie die US-Metropole manchmal auch liebevoll genannt wird. In ihrer Ausstellung "Manhattan" beim Ebersberger Kunstverein nimmt die Münchner Künstlerin Bianca Patricia Isensee das Publikum mit auf ihre nächtlichen Streifzüge durch den von drei Flüssen umgebenen Stadtbezirk.

Bei zwei Aufenthalten in den Jahren 2012 und 2013 hat Isensee Menschen fotografiert, die oft unsichtbar bleiben, weil man sie schlicht kaum wahrnimmt: die so genannten "Doormen"; Portiere, die nachts in den Foyers von Wohn- und Geschäftshäusern Wache halten. Um in Ebersberg den Eindruck eines Stadtspaziergangs zu erzeugen, hat Isensee den Boden der Galerie mit in Bitumen getränkter Dachpappe ausgelegt; die Rinnen wurden mit pechschwarzer Asphaltpaste ausgegossen. Die Bilder sind auf Augenhöhe in einer Reihe aufgehängt, so dass der Eindruck entsteht, man würde selbst vor den Fenstern der Gebäude stehen und einen Blick auf diese einsamen, manchmal intimen Momente der zum Stillstand verurteilten Wachleute erhaschen.

Isensee, die Verwandte in den USA hat, war auf ihren zahlreichen Reisen nach New York schon lange dieser Berufsstand aufgefallen, in dem hauptsächlich Männer tätig sind. "Mich interessiert in meiner Arbeit die menschliche Existenz, das Hineingeworfen-Sein in die Welt", sagt die Künstlerin, "in New York erlebt man das noch intensiver". Der Doorman sei nachts für sich allein, er dürfe sich nicht ablenken, indem er beispielsweise einen Film schaue, so Isensee: "Er ist zum Nachdenken in der Dunkelheit verurteilt. Das hat schon manchmal fast etwas Philosophisches." Ihre Bilder zeigen Menschen in Anzügen, die ihrer Arbeit nachgehen, indem sie einfach nur Präsenz zeigen. Sie sitzen an Rezeptionen in Eingangshallen, lehnen an Hausmauern, stehen in engen Glaskästen. Ihre unmittelbare Umgebung, die gleichzeitig als konzeptioneller Rahmen in das Gezeigte integriert ist, erscheint menschenleer.

Einerseits sei es ein Zeichen von Dekadenz und Luxus, wenn es sich eine Gesellschaft leisten könne, Nacht für Nacht Arbeitskräfte in den Eingängen von Häusern abzustellen, so Isensee. Andererseits: "Wenn es den Job nicht gäbe, wären diese Menschen arbeitslos." Viele der Wachleute trügen ihre Anzüge mit Stolz, denn ihr Beruf bedeute für sie sozialen Aufstieg. Oft sind sie auch in das Leben der Hausbewohner integriert. So erkannte die Jazzmusikerin Yeahwon Shin, die am 5. November Isensees Ausstellung in der Alten Brennerei musikalisch begleiten wird, zufällig auf einigen Bildern Portiere ihrer ehemaligen New Yorker Wohnung wieder: "Den da kenne ich! Und mit dem haben wir mal Poker gespielt!"

Hunderte von Fotografien hat die in München lebende Künstlerin gemacht, die manchmal an Komik grenzende Momente festhalten - etwa, wenn ein Wachmann, der sich unbeobachtet wähnt, gemächlich seinen Bauch an der Theke reibt. Ihre Modelle wussten nicht, dass sie fotografiert wurden, denn, so Isensee: "Ich wollte sie in privaten Momenten erwischen." Ein interessierter Besucher habe sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob das denn rechtens sei: Menschen zu fotografieren, die davon gar nichts wüssten. Der pensionierte Richter habe aufwendig recherchiert, erzählt Isensee schmunzelnd, um ihr nach einem kleinen juristischen Vortrag zu bestätigen: Ja, das darf sie - als Künstlerin, als Dokumentarin des öffentlichen Raumes.

Die Bilder laden ein, sich in ihnen zu vertiefen, den Gedanken des Menschen nachzuspüren, den man bei seiner schablonenhaften Arbeit einen Moment lang begleiten darf: Denkt er an seine Familie? Seine Heimat? Dieses stumme Doppelleben der Bilder erzeugt in den Räumen des Kunstvereins eine erzählerische, eine traumwandlerische Atmosphäre. Eröffnet wird die Ausstellung am Freitag, 13. Oktober, um 19 Uhr.

Bianca Patricia Isensee: "Manhattan", Fotografie und Konzerte in der Alten Brennerei Ebersberg, bis 5. November, geöffnet freitags 18 bis 20 Uhr, samstags wie sonntags von 14 bis 18 Uhr.

© SZ vom 12.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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