Kriminell gut:Mord verjährt nie

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Grafinger Archivstammtisch widmet sich Straftaten

Von Christoph Jänsch, Grafing

"Das waren noch Zeiten." Diese Redewendung als Lob auf das Früher dürfte wohl den meisten Jugendlichen zum Hals raushängen. Vielleicht war das auch der Grund, dass die Jugend am Donnerstagabend dem Archivstammtisch im Grafinger Kastenwirt fernblieb. Dass die Redensart diesmal gegenteilig verwendet werden würde, konnte ja niemand ahnen. Denn früher, so zeigt Bernhard Schäfer, der Leiter des Stadtarchivs, anhand von mühsam recherchierten, historischen Kriminaldelikten auf, war keineswegs alles besser: Bis ins 15. Jahrhundert hinein gab es kein richtiges Rechtssystem, keine staatlichen Ankläger. Hier wurden Verbrechen oftmals noch durch Geldzahlungen unter Tätern und Opfern abgegolten.

Über solche Zustände dürfte sich heute nur noch ein kleiner Teil der Bevölkerung freuen. Nämlich jener mit Hang zur Kriminalität. Dieser Spezlwirtschaft auf der einen steht das Extrem der Todesstrafe auf der anderen Seite gegenüber. Denn diese konnte bei Raub und Diebstahl, Vergewaltigung sowie Mord und Totschlag in der frühen Neuzeit durchaus ausgesprochen werden. Damals war es allerdings auch noch einfacher, einer Strafe zu entgehen, erzählt Schäfer - hierzu ging der Verbrecher "außer Landes", was nicht einmal weit sein musste. Um diese Trickserei zu unterbinden, hatten Landesherren aber ein Druckmittel: Sie konnten den gesamten Besitz des Delinquenten inventarisieren und sich nach einem Jahr des Fernbleibens zwei Drittel dieses Besitzes zu Eigen machen. Um die Familie vor Armut und Obdachlosigkeit zu beschützen, seien dann einige Straftäter freiwillig zurückgekehrt, so Schäfer.

23 Kriminaldelikte aus dem Bereich Mord und Totschlag hat Schäfer für die aufmerksamen Zuhörer aufbereitet. Beginnend im Jahre 1581 zieht sich die Erzählung Schäfers über Delikte zu Zeiten des dreißigjährigen Krieges, während der beiden Weltkriege bis hin zum Amoklauf am Grafinger Bahnhof vor zwei Jahren. Anspruch auf Vollständigkeit der Chronik erhebt Schäfer bewusst nicht. Zur Veranschaulichung hat er schriftliche Aufzeichnungen einiger Fälle mitgebracht. Festgehalten vom Marktschreiber oder in Zeitungsausschnitten stehen Dinge wie diese: "Unversechens laufft ein Tagwercher namens Hannß Höfer für sich selbsten mit ainem Tremmel zue und schlagt darmit den Lothen zu Poden, das er von solchem Straich über 6 Stundt hinach Todts verschiden." Wer sich jetzt verwundert am Kopf kratzt, kann beruhigt sein: Auch die Gäste im Kastenwirt sind froh, als Schäfer die altdeutschen Niederschriften in unsere heutige Sprache übersetzt.

Zunächst ist die Veranstaltung eher vortragsähnlich aufgebaut. Als Schäfer jedoch zu Fällen der jüngeren Vergangenheit kommt, bringen sich auch die Gäste ein. Sie stellen begierig Fragen und erzählen eigene Erinnerungen zu mancher Straftat. Schäfer fordert das aber auch ein, wodurch der Abend sehr viel lebendiger wird. Trotz des heiklen Themas kommt keine gedrückte Stimmung auf. Es ist mehr eine Anspannung greifbar, die jener bei TV-Krimis gleicht.

Das Ziel des Stammtisches sei, so Schäfer, die Vermittlung von historischem Wissen, er soll aber auch ein Angebot an Zugezogene sein, Grafing kennenzulernen. Zudem sei für ihn die Rückkopplung wichtig, denn manchmal könnten ihm Erinnerungen seiner Gäste zu wichtigen Erkenntnissen verhelfen. Jeden zweiten Monat findet der Archivstammtisch in Grafing statt. Behandelt werden unterschiedliche historische Themen.

Trotz des Fernbleibens der Jugend kann sich Schäfer an diesem Abend nicht über eine zu geringe Teilnehmerzahl in der geselligen Runde beschweren, müssen doch kurzerhand noch Stühle und Tische für die rund 45 Besucher nachgerückt werden. "Mord und Totschlag scheinen zu interessieren", witzelt Schäfer amüsiert.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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