Konzertkritik:Strahlendes Nordlicht, eisige Abgründe

Konzertkritik: Der Chor "A cappella!" erwies seinem guten Ruf beim Konzert in der Grafinger Auferstehungskirche alle Ehre.

Der Chor "A cappella!" erwies seinem guten Ruf beim Konzert in der Grafinger Auferstehungskirche alle Ehre.

(Foto: Christian Endt)

Mit "Northern Lights" wagen sich a cappella-Chor und voicensation an ein anspruchsvolles Thema von intensiver Wirkung

Von Ulrich Pfaffenberger

Das "ubi caritas" des norwegischen Komponisten Ola Gjeilo hat sich im Lauf der jüngsten Zeit zu einem neuen Standard in der mitteleuropäischen Chormusik entwickelt. Aufbauend auf einem Hauch Gregorianik überführt er diese alte Antiphon elegant in die Moderne, ohne zu überreizen. Dabei fordert er den Chor in seiner Fähigkeit, das Klangbild wie durch ein Prisma zu filtern - und gibt gleichzeitig die Gelegenheit, die Farben brillant glänzen zu lassen. So gesehen ist das Stück wie geschaffen für den Kammerchor a cappella!, der diese Fähigkeiten in der Vergangenheit schon mehrmals bewiesen hat.

Chorleiter Eckhard Meißner hat dies genutzt, um darauf das erste Programm dieses Jahres aufzubauen, das eine ganze Reihe nordeuropäischer Komponisten zusammenbringt. Der programmatische Titel "Northern Lights" ist dabei einem weiteren Stück Gjeilos entlehnt, das bei der Premiere am Freitagabend in der Evangelischen Auferstehungskirche Grafing ebenfalls erklang. Dennoch hatten sich Meißner und sein Ensemble nicht auf rein skandinavische Komponisten und Melodien eingelassen und den Ursprungszeitraum der vorgetragenen Werke auch nicht auf die Neuzeit beschränkt.

Als "Raumteiler" dienten die Gesänge aus der Missa "L'homme armé" von Giovanni Perluigi de Palestrina, vorgetragen vom vierköpfigen und -stimmigen Vokalensemble voicensation! Gepasst hat das von der Wirkung her gut, weil die sauber strukturierten, aufgeräumten Renaissance-Klänge des großen Italieners die Gedankengänge freispülten und Raum schufen für die darauffolgenden, neuen Überraschungen. Gleichzeitig lieferten die Messgesänge auch den inhaltlich roten Faden für die Anordnung der einzelnen Stücke: Sie folgten in achtsamer Weise dem Ablauf der klassischen katholischen Messe und dem damit verbundenen Stimmungsverlauf von Verkündigung über Opferung und Buße bis zum Dank. Ein innerer Spannungsbogen, der die teilhabenden Gläubigen berühren soll - und der auch die Zuhörergemeinde im leider nur dünn besetzten Gotteshaus erreichte. Die mitunter bezwingend klaren Parallelen zwischen den Kompositionen aus weit voneinander entfernten Epochen erwiesen sich für die Zuhörer ebenso als sehr inspirierend. Allein der geografische Widerspruch zu den "Northern Lights" ließ sich nicht auflösen; aber vielleicht sollte er das gar nicht.

"A cappella!" erwies seinem guten Ruf bei diesem Konzert alle Ehre. Insbesondere die aufregende Interpretation "Der 130. Psalm" von Heinrich Kaminski. Ein Gesang, erfüllt von geradliniger Tonalität und umwoben von einer reichen Phantasie, der den Sängerinnen und Sängern alles abverlangt, sie aber gleichzeitig mit der fortlaufenden Lust am grandiosen Ergebnis ihrer Mühen belohnt. Gleich an zweiter Stelle im Programm gesetzt, vermag ein solches Stück Tragkraft durch das ganze Konzert hinweg entwickeln. Es birgt allerdings das Risiko, das folgende, weniger intensive Stücke dagegen abfallen. Was der Kammerchor durch mustergültige Konzentration und aufgeweckten Geist glaubwürdig zu verhindern wusste. Zumal das Herzstück des Konzerts, "Jaakobin Pojat" des Finnen Pekka Kostiainen sich als wahres Kraftwerk gesanglicher Sprachkunst erwies: Wie dort allein aus der Aufzählung von Namen - die Söhne Jakobs aus dem Alten Testament - eine dramatische Miniatur von der Größe eines kompositorischen Doms entsteht und die singenden Baumeister dabei artistengleich übers Gerüst turnen, war ganz, ganz starke Chormusik.

Dass beim "hoch hinaus" immer auch die Gefahr eines Ausrutschers besteht, musste das Quartett von "voicensation!" an diesem Abend erfahren. Zum Beispiel beim Sanctus. Da haben sich die Sänger in der "Boulder"-Wand des Monte Palestrina sauber verklettert. Die Werke des Renaissance-Meisters sehen ja immer so aus, als seien sie filigrane Architektur mit eindeutigen Linien und Wegen. Bewegt man sich aber mittendrin, können sie sich von nichts auf gleich in eine eisig-abweisende Felswand erweisen, die nicht den kleinsten Fehler verzeiht. An Tagen jedoch, an denen die Seilschaft geringfügig schwächelt, führt an Umkehr und Neubeginn kein Weg vorbei. Gemeistert hat das Quartett, das sein Können oft genug bewiesen hat, die beiden Irrtümer souverän, den Gesamteindruck des Abends haben sie nur wenig getrübt. Der Applaus war überzeugend.

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