Konzertkritik:Salon mit russischer Note

Konzertkritik: Traumwandlerische Sicherheit zeigt das polnische "Szymanowski-Quartett" beim Rathauskonzert Vaterstetten.

Traumwandlerische Sicherheit zeigt das polnische "Szymanowski-Quartett" beim Rathauskonzert Vaterstetten.

(Foto: Christian Endt)

"Szymanowski-Quartett" glänzt in Vaterstetten

Von Ulrich Pfaffenberger, Vaterstetten

Aus einem sonntäglichen Wochenendende einen freitäglichen Wochenendanfang machen, geht das? Musikalisch auf jeden Fall kein Problem, eine schöne Herausforderung vielmehr, das Publikum auf unbekanntes Terrain zu geleiten. Es gibt da nämlich eine Gemme in der Literatur für Streichquartette, die nennt sich "Les Vendredis", also "Die Freitage". Entstanden ist sie aus der Liebe eines reichen Russen zur Musik und aus seiner Freundschaft zu den führenden Komponisten seiner Zeit. Ähnlich wie Maler in einen Salon lud Mitrofan Petrowitsch Belaieff, selbst ein ausgezeichneter Bratschist, jeweils am Freitagabend aus seinem Umfeld Musiker zu Soiréen ein, die bald eine Schlüsselfunktion im künstlerischen Leben Sankt Petersburgs einnahmen. Bekannte Komponisten wie Sokolov, Ljadow und Borodin sowie mancher heute Vergessene steuerten speziell für diesen Anlass geschaffene Werke bei, deren Zahl, wie es im Programmheft zum Rathauskonzert Vaterstetten hieß, "Legion" ist.

Mit dem polnischen Szymanowski-Quartett hatte der Veranstalter ein Ensemble eingeladen, das sich dieser "Vendredis" liebe- und achtungsvoll annimmt. In beiden Konzertteilen ließ das Quartett jeweils vier dieser Miniaturen erklingen, die ganz erstaunliche Eigenschaften aufweisen: eine Polka etwa aus der Hand von gleich drei Komponisten, eine Mazurka voll soviel atemloser Leidenschaft, dass sie jeden Tänzer aus der Bahn würfe oder eine Sarabande von sinfonischer Größe und poetischer Grandezza zugleich. Dem ersten Vierer-Set folgte das Publikum noch aufmerksam und still. Im zweiten Teil des Konzerts brach sich die Wirkung der musikalischen Kraftpakete dann doch Bahn und riss das Publikum zu einem vehementen Zwischenapplaus mit. "Darf man doch, oder?", schallte es aus der zweiten Reihe, "Aber sicher doch!", kam das Echo von der Bühne.

Vielleicht erlebte das Publikum im Festsaal des Seniorenparks Vaterstetten gerade die Geburtsstunde, respektive die Wiedergeburt eines spannenden Konzert-Formats: die Zuhörer nicht mehr als passiv Lauschende, sondern als Mitwirkende im Gespräch mit den Musikern. Wer sich einen Freitagabend in der Petersburger Belaieff-Villa vorstellt, dem drängt sich ja auch nicht das Bild einer schweigenden Masse auf, sondern eine Szene lebhafter Unterhaltung und Auseinandersetzung. Ein kenntnisreiches Publikum wie jenes der Rathauskonzerte wäre für einen solchen Dialog auf jeden Fall gut vorbereitet.

Dramaturgisch geschickt stellten die Szymanowskis den kleinen Kunstwerken zwei Klassiker der Kammermusik gegenüber. Zunächst Joseph Haydns "Vogelquartett", überraschend modern interpretiert, mit einer Note Smetana und einem Hauch Strauß versehen, wobei sich elegante Klarheit und tänzerischer Schwung in schöner Balance befanden.

Zum Schluss dann machte Beethovens "Rasumovsky"-Quartett die russische Prägung des Konzertabends perfekt - und die beachtliche Qualität des Ensembles erkennbar. Gerade in den ruhigeren Passagen verstand es das Quartett vorzüglich, die Dramatik der Komposition mit Energie aufzuladen und mit innerem Nachhall zu versehen. Das Klopfen des Herzens, das Suchen der Gedanken, die Melancholie des alten Volkslieds sind unmittelbar spürbar. Am Ende, im 4. Satz "allegro molto", zeigte sich in einem vermeintlich federleichten Spiel die souveräne Könnerschaft der Geschwister im Geiste an den Instrumenten, als seien Phrasen und Dynamiken Teil ihrer DNA. Das mitunter blitzartige Auf- und Abbauen von Spannungsfeldern erfolgte mit traumwandlerischer Sicherheit, der Umgang mit der vielschichtigen Dynamik des Stücks war beispielhaft. So wurde aus einem kompositorischen Meisterstück ein spielerisches.

Es war die reine Freude, dabei zu sein, wie Agata Szymczewska und Robert Kowalski mit der Violine, Volodia Mykytka mit der Viola und Monika Leskovar mit dem Cello an diesem Abend eine symbiotische Verbindung eingingen. Die vier haben nicht nur das Werk anderer interpretiert, sondern ihm ihre eigene Sprache gegeben, respektvoll und unverbogen, gleichzeitig aber auch selbstbewusst, frisch und eigenständig. Die anspruchsvolle Zuhörerschaft im gut besuchten, aber nicht wirklich vollen Saal lohnte die hervorragende Vorstellung und den intensiven Genuss eines Ausflugs in eine kompositorische Schatzkammer mit langem, anerkennendem Applaus.

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