Konzertkritik:Lehrstück der Unmenschlichkeit

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Ergreifend: Die "Chorgemeinschaft Vaterstetten" bringt mit Musikern aus dem Landkreis die Markus-Passion von Reinhard Keiser zur Aufführung. (Foto: Christian Endt)

"Chorgemeinschaft Vaterstetten" verleiht Markus-Passion von Reinhard Keiser Ausdruck

Von Rita Badecker, Vaterstetten

Die Geschichte vom Sterben Jesu am Kreuz gehört zur Kernbotschaft des christlichen Glaubens; der von Hass, Intrigen, einem Schauprozess und der Grausamkeit der Folterknechte begleitete Leidensweg zu den dramatischsten Berichten des Neuen Testaments. Die Ereignisse, auch Sinnbild dessen, was bis zum heutigen Tag Menschen anderen Menschen antun, in eine musikalische Erzählung mit verteilten Rollen zu fassen, dieser Aufgabe hat sich der 1685 in der Nähe von Weißenfels geborene Komponist Reinhard Keiser gewidmet. Seine Passion nach dem Bericht des Evangelisten Markus, in der Fassung von Johann Sebastian Bach, für den das Werk als Lehrstück gedient haben soll, wurde am Sonntag in der katholischen Kirche Maria Königin in Baldham von der Chorgemeinschaft Vaterstetten aufgeführt.

Thomas Pfeiffer hat das Oratorium für Soli, Chor und Orchester, bestehend aus Musikern des Landkreises, einstudiert. Sänger und Musiker entfalten in den ergreifenden Momenten des Geschehens musikalische Geschlossenheit und emotionale Kraft. Sopranistin Alice Paper-Burghardt, Altistin Sabine Staudinger, Tenor Michael Birgmeier und Bassist Thomas Hohenberger teilen sich die Partien von Petrus, Jesus, Judas, von Hohepriester, Kriegsknecht, Magd und Pilatus. Maria und Magdalena werden kurz erwähnt, eine Stimme haben sie in dem Werk nicht.

Ob wirklich Keiser, zu seiner Zeit ein angesehener Opernkomponist, Schöpfer dieses Werks gewesen ist, ist dem Programmheft zur Aufführung zufolge in der Musikwissenschaft umstritten, eine Originalpartitur gibt es nicht. Bach allerdings war von Keisers Autorenschaft überzeugt. Er schrieb eine eigene Version der Passion und fügte zwei Choräle hinzu. Neun der zehn Arien darin sind auf Sopran, Alt und Tenor verteilt, der Bass, die starke Stimme von Jesus Christus, übermittelt die zentrale Botschaft: "O süßes Kreuz, o Baum des Lebens, hier wächst die Frucht des edlen Lebens, die aus des Herren Wunden kam." Arien, Rezitative, Choräle sowie zwei kurze instrumentale Sinfonien bilden ein musikalisches Hörspiel aus direkter Rede, Kommentaren und anschaulichen Berichten.

Hohenberger gelingt es, Jesus göttliche Majestät und menschliche Verletzlichkeit zugleich zu verleihen. Die Enttäuschung angesichts der schlummernden Jünger ("Simon, schläfest du? Vermöchtest du denn nicht, eine Stunde mit mir zu wachen?") und das Klagen und Flehen kurz vor dem Tod ("Mein Vater, es ist dir alles möglich, überhebe mich dieses Kelchs") macht er für den Zuhörer sinnlich fühlbar.

Auch der Evangelist hat viel Schockierendes zu berichten ("Und sie schlugen ihm das Haupt mit dem Rohr, und sie speieten ihn..."). Der Tenor Birgmeier setzt hier trotz der distanziert-liturgischen Klangsprache des Rezitativs aufwühlende Akzente. Im Moment des Todes am Kreuz - "aber Jesus schrie laut und verschied" - wird er zum ergriffenen Zeugen, den unvorstellbaren Schmerz des Menschensohns artikuliert er mit hohem, weichen Timbre und Pausen der Stille.

Die ausgewogen und klangrein eingestimmte Chorgemeinschaft singt einerseits innige Choräle, die auf das himmlische Heil und Gottes Gnade verweisen. Die einzelnen Stimmgruppen formieren sich aber auch zum Pöbel, der hysterisch schreiend die Kreuzigung fordert oder Jesus hämisch dazu auffordert, vom Kreuz herabzusteigen, wenn er schon behauptet, Gottes Sohn zu sein.

In einem der letzten Choräle erklingt zum Cello solo (häufig: Rafael Gütter) das bekannte Kirchenlied von Bach "Wenn ich einmal soll scheiden" nach einem Text von Paul Gerhardt. Altistin Sabine Staudinger singt es wunderbar innig und schlicht. Mit der späten Erkenntnis des Hauptmanns - "wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!" - tiefer Reue und einem feierlichen Amen endet dieses Lehrstück in Unmenschlichkeit. Der Beifall in der nicht ganz voll besetzten Kirche ist lang, aber verhalten. So schnell findet man nach solch einem Klangerlebnis nicht zurück in den Alltag.

© SZ vom 14.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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