Kommentar:Selbstgefällige Etatpolitik

Dieses Jahr macht Grafing zwar keine neuen Schulden. In den nächsten Jahren dafür umso mehr

Von Thorsten Rienth

Kein einziger Grafinger hielt es am Dienstagabend für nötig, sich in die Sitzung des Finanzausschusses zu setzen. So konnten dessen Mitglieder weitgehend unbeobachtet eine Finanzplanung durchnicken, an deren Ende im Jahr 2021 ein langer und tiefroter Balken steht. Kein Jahr soll bis dahin vergehen, in dem nicht mindestens 1,6 Millionen Euro neue Schulden aufgenommen werden sollen. Die Brisanz dahinter hat das Gremium - mit den dankenswerten Ausnahmen in Person von Max Graf von Rechberg (CSU) und Roswitha Singer (Grüne) - offensichtlich noch nicht begriffen.

Eine Stunde lang reihte die überwiegende Mehrheit der Stadträte Worthülsen und Floskeln aneinander. Sparen sei richtig und wichtig. Man könne doch nicht immer auf Kosten der nächsten Generationen, der Kinder, der Enkelkinder leben. Könnte, sollte, müsste man nicht? Schließlich machte man sich gegenseitig mit dem Hinweis Mut, dass der pro-Kopf-Schuldenstand in anderen Gemeinden im Freistaat noch viel höher sei. Selten, dass sich die finanzpolitische Laissez-faire-Attitüde der Grafinger Stadträte so deutlich offenbarte. Denn: gespart wird ja eben nicht, der Haushalt geht ja eben genau auf Kosten der nächsten Generationen.

Natürlich: Ihr Gremium ist noch immer dabei, sogenannte Altlasten abzuarbeiten. Solche sind wohlgemerkt keine Erben von Bürgermeistern, sondern stets Resultat von Mehrheitsbeschlüssen des Stadtrats. Weil er etwa pünktlich zur Kommunalwahl 2008 für Millionen Euro ein Freibad bauen ließ. Weil er den Anspruch auf eine Stadthalle hat, die jedes Jahr deutlich mehr als 300 000 Euro kostet. Weil sich CSU und Freie Wähler - groteskerweise gemeinsam mit Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) - gerade erst mit der Sportstättenanbindung zur Ostumfahrung durchsetzten. Verkehrsplaner halten das Projekt für gänzlich überflüssig. 600 000 Euro wird der Streich die Stadt mindestens kosten.

Wie sich jüngst mehrmals offenbarte, herrscht auch in nichtöffentlichen Grafinger Sitzungen kaum so etwas wie Finanzdisziplin. Im Sommer verzichtete der Stadtrat großzügig auf mehr als 70 000 Euro, ein ortsbekannter Unternehmer hätte sie an Gewerbesteuer nachzahlen müssen. Über einen fünfstelligen Betrag sah man ebenfalls hinweg. Ihn hätte das Gremium von einem Grafinger verlangen können, der sein per Einheimischenmodell verbilligt gebautes Haus vor der Bindungsfrist weiterverkaufte. Einem Grafinger Gastronomen, bei dem ebenfalls Forderungen von mehr als 30 000 Euro offen waren, genehmigte der Stadtrat erst vor ein paar Wochen eine langfristige Stundung. Wer bei den Stadtfinanzen derart selbstgefällig agiert, braucht sich über lange rote Balken nicht zu beklagen.

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