Kommentar:Ohne Rücksicht auf den Anstand

Die Anzinger streiten sich über den Standort eines neuen Gewerbegebietes. Die Art und Weise der Debatte wird der Gemeinde allerdings mehr schaden als der Umzug eines Discounters neben den Friedhof

Von Jessica Morof

Anzing first. Nein, Naturschutz first. Oder doch eher Gewerbe first? Anwohner first. Oder Discounter first. Warum nicht Gemeinde first? Hauptsache: Ich first - meine Meinung zuerst. Dafür pfeif' ich auch auf Anstand und den guten Ton. Nach diesem Motto, das sich scheinbar weltweit durch die Gesellschaft zieht, gehen auch einige Anzinger an das Thema Gewerbegebiet heran. Sie wollten bei der Veranstaltung am Donnerstag ihre Meinung sagen, ihrem Ärger Luft machen, die anderen von der eigenen Sichtweise überzeugen. Dabei griffen sie sich verbal regelrecht an und vergaßen, worum es eigentlich geht: Dass sich alle in ihrem Ort wohlfühlen können.

Vordergründig streitet man sich in der Gemeinde darum, wo die neuen Gewerbeflächen entstehen sollen. Hintergründig, so könnte man nach der Veranstaltung im Forsthof meinen, geht es nur darum, den eigenen Willen durchzusetzen.

Wie sonst sind einige Kommentare der Anzinger zu verstehen? Wenn Ulrich Fröde vom Arbeitskreis zwar sagt, man habe nichts gegen zusätzliche Gewerbeflächen, so lange sie nicht dort sind, wo man sie eben nicht haben möchte. Ohne Rücksicht auf fehlende Alternativen. Oder wenn Reinhard Oellerer (Grüne) fordert, dass man jetzt eben "Nein" zu den Gewerbetreibenden sagen müsse, die auf der Suche nach zusätzlichen Flächen sind, damit man das Stück Anzing bewahren kann, das ihm so viel wert ist. Oder wenn Gemeinderat Josef Reither (CSU), der selbst Unternehmer in Anzing ist und sich vergrößern möchte, fragt: "Wie lange soll ich denn noch warten?" Ein schönes Gewerbegebiet werde es schließlich nirgends geben können. Oder ein Anzinger, der sich polternd beschwert, dass der AK nur den Status Quo erhalten wolle und den Fortschritt aufhalte. "Wenn ihr mehr Grün haben wollt, dann geht doch in den Frankenwald. Da komme ich her."

Jeder vertritt seine eigenen Wünsche und fährt für diese auch den anderen mal über den Mund. Jeder pocht darauf, dass seine Ansichten die wichtigeren, richtigeren sind. Das Problem ist nur, dass es ein wichtigeres oder richtigeres Ansinnen gar nicht gibt. Es gibt nur zwei Lager, die sich zunehmend stärker anfeinden; Nachbarn, die sich entzweien, weil der eine für, der andere gegen das Gewerbegebiet ist. Und am Ende bleibt ein Ort, in dem es ungemütlich geworden ist, egal, ob das Gewerbegebiet kommt oder nicht. Nicht wegen mangelnder Natur oder Gewerbeflächen, sondern wegen mangelndem Respekt gegenüber der anderen Meinung.

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