Kommentar:Missmutig im Speckgürtel

Wer sich beschwert, dass zu viele neue Nachbarn zuziehen, sollte sich vielleicht lieber gleich im Bayerischen Wald nach einer Bleibe umsehen

Von Karin Kampwerth

In München sparen sich immer mehr Menschen die Butter vom Brot ab, um die Mieten bezahlen zu können. Dennoch, wer raus in die Region zieht, ist nicht automatisch Opfer konsequenter Gentrifizierung ganzer Stadtviertel. Viele vor allem junge Familien zieht es bewusst aufs Land, weil das Leben einfach schöner ist. Schließlich bestreitet kaum jemand, dass man aus dem Fenster lieber auf Blumenbeete statt Betonwände blickt. Oder dass es den Alltag leichter macht, wenn man die Kinder mal eben zum Toben in den Garten schicken kann, statt zum nächsten öffentlichen Spielplatz zu laufen, wo man sich über Hundehaufen im Sandkasten und Glasscherben unterm Klettergerüst ärgert.

Nicht wenige verschulden sich also über Jahre und setzen das zu erwartende Erbe ein, um sich im Speckgürtel von München mit einem Einkommen irgendwo zwischen normal und besser ein Reihenmittelhaus zu leisten, das von den westfälischen Verwandten als Hasenkäfig mit Handtuchgarten verspottet wird. Aus gutem Grund, denn dort (wie auch anderswo in der Republik) gibt es genügend Kommunen, die im Grünen liegen, eine ordentliche verkehrliche Anbindung haben, wo die Arbeitslosigkeit niedrig ist, und die meist mit schönen Parks, Freibädern und anderen Freizeitmöglichkeiten ausgestattet sind - und dennoch ist das Einfamilienhäuschen auf großem Grundstück nicht selten um ein Drittel günstiger zu haben als besagter Hasenkäfig.

Wer sich nun aber entschieden hat, sich die ungleich kostspieligere Landluft in der Region zu leisten, dem ist der Schreck nicht zu verdenken, wenn hinter der teuer erkauften Thujenhecke eine Bautafel plötzlich darauf hinweist, dass künftige Nachbarn aus ihrer Neubauwohnung im vierten Stock die Würstel auf dem Grill zählen können.

Doch bei allem Verständnis: Sich dagegen zu wehren, dass andere dahin ziehen wollen oder müssen, wo es einem selber gut gefällt, bleibt egoistisch und ist wenig sozial, denn die wahren Gründe sind doch häufig durchschaubar. Schließlich macht ein vierter Stock aus einem Mehrfamilienhaus kein Ghetto und ein neues Doppelhaus wirft kaum dauerhaft Schatten auf das eigenen Grundstück, gehen doch die Gemeinden nach den schlechten Erfahrungen mit reinen Schlafstädten inzwischen meist sehr bedacht bei der Entwicklung ihrer Ortschaften vor. Selbst die Kritik an der fehlenden Infrastruktur greift nicht. Denn diese kann nur entstehen, wenn Erzieher oder Altenpfleger auch Wohnraum in der Nähe finden, den sie bezahlen können. Bleibt das Fazit: Wer wirklich aufs Land ziehen möchte, sollte sich lieber im Bayerischen Wald umsehen. Der Münchner Speckgürtel wird auf Dauer noch viel enger gezurrt werden. Nicht nur, was die Preise betrifft, sondern auch den Platz.

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