Kommentar:Intransparentes System

Lesezeit: 1 min

Richter können frei darüber entscheiden, welchen gemeinnützigen Organisationen sie Bußgelder, zu denen Angeklagte verurteilt wurden, zukommen lassen. Buch wird darüber nicht geführt. Dies birgt die zumindest theoretische Gefahr des Missbrauchs

Von Jan Schwenkenbecher

Bei sogenannten "rechtlichen Vergehen" - wenn also die Haftstrafe weniger als ein Jahr betragen würde - können Staatsanwälte und Richter Bußgelder auferlegen, die die Angeklagten an gemeinnützige Organisationen zahlen. An sich eine sinnvolle Idee. Denn statt einer Haftstrafe, die nur dem Angeklagten schadet, wird so das Vergehen bestraft und gleichzeitig einer guten Sache geholfen. Welcher guten Sache, ob die Suchtberatung, die Kreisverkehrswacht oder der Tierschutzbund das Geld bekommt, darüber entscheiden Staatsanwälte und Richter. So weit, so gut.

Das Problem: An den Gerichten, etwa dem Amtsgericht Ebersberg, gibt es keine Liste und keine Tabelle, in der die Zuwendungen vermerkt werden. Möchte man wissen, an welche gemeinnützigen Vereine das Amtsgericht Ebersberg, sagen wir im Jahr 2013, so alles Geld verteilt hat, gibt es keine Möglichkeit, das herauszufinden. Zwar gibt es an den Oberlandesgerichten und den Landgerichten Listen, auf denen sich gemeinnützige Organisationen eintragen lassen können. Sie dienen dazu, Staatsanwälten und Richtern potenzielle Geldempfänger zu zeigen. Und das Geld, das diese Vereine bekommen, wird auch notiert. Doch die Richter sind in ihrer Entscheidung frei, welchen gemeinnützigen Organisation sie das Geld zukommen lassen. Sie müssen ihre Entscheidung nicht begründen. An die Liste müssen sie sich nicht halten, sie ist nur eine Orientierungshilfe. Geld, das an Vereine geht, die nicht auf der Liste stehen, wird nicht notiert. Hier ist das System intransparent.

Es gibt absolut keinerlei Hinweise darauf, dass es am Ebersberger Amtsgericht Unregelmäßigkeiten gegeben hätte. Etwa dass Richter Geld an Vereine verteilt hätten, mit denen sie, Kinder oder Freunde zu tun hatten oder deren Vorsitzende ehemalige Golfplatzbekanntschaften waren. Aber wenn es so wäre, würde es niemand mitbekommen, weil es keine Buchführung und somit auch keine Transparenz gibt. Noch einmal: Nicht die Korruption - die es vermutlich nicht gibt - ist das Problem, aber ihre zumindest theoretische Möglichkeit.

© SZ vom 03.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: