Kommentar:In den Siebzigern stehen geblieben

Das Tarifsystem des MVV ist veraltet, denn immer erscheint darin München als absoluter Mittelpunkt des Nahverkehrs- Universums. Doch dies entspricht nicht mehr ganz der Realität, wie ein Antrag aus Vaterstetten zeigt

Von Wieland Bögel

Es klingt zunächst nach einer komplett blödsinnigen Idee: Vaterstetten fordert vom MVV, die beiden S-Bahnstationen im Gemeindegebiet zum Innenraum zu erklären, damit die Bürger billiger nach München fahren können. Um sich die Antwort des Tarifverbundes auszumalen, musste man kein Prophet sein. Sinngemäß lautet sie: "Da könnte ja jeder kommen." Denn was den Vaterstettenern recht ist, wäre anderen Gemeinden billig. Jede Kommune würde ihren eigenen Sondertarif fordern und wohl auch bekommen, das bestehende System wäre bald erledigt - was wiederum eine ziemlich gute Idee wäre.

Denn das geltende Tarifsystem des MVV ist ein Anachronismus, es bildet die Realität der frühen 1970er Jahre ab, als eine sehr viel kleinere Stadt München mit einem sehr viel dünner besiedelten Umland verbunden wurde. Damals war es sicher sinnvoll, die Innenraumzone auf Höhe der letzten Münchner Vororte, etwa Haar, enden zu lassen. Doch in den vergangenen 40 Jahren hat sich diese Grenze stetig verschoben. Auch dank der S-Bahnlinien sind inzwischen eben auch Vaterstetten, Zorneding oder Kirchseeon eine Art Vorort von München. Außerdem gehört mittlerweile jede Ortschaft mit S-Bahnhof, U-Bahnstation oder auch nur einer Bushaltestelle zu einem eng verflochtenen Großraum, der durch den stetigen Ausbau des MVV-Netzes immer weiter wächst. Dessen Zentrum ist zwar nach wie vor München, die Landeshauptstadt ist aber nicht das Ziel jedes Passagiers. Doch genau davon geht das derzeitige Tarifsystem immer noch aus. Mit der Folge, dass wer beispielsweise von Baldham nach Trudering fährt, doppelt so viel bezahlen muss, als wer von Haar einmal quer durch München nach Pasing fährt und zwischendrin auch noch ein wenig mit Bus und U-Bahn durch die Landeshauptstadt kurvt.

Dass sich der Verbund nun darüber Gedanken macht, wie man die Tarife der Realität von heute anpassen kann, ist schon einmal eine gute Nachricht. Und in diesem Zusammenhang ist der Antrag der Vaterstettener eine ziemlich gute Idee. Nicht weil damit zu rechnen ist, dass der MVV der Forderung stattgibt, aber weil er zeigt, dass es einige Unzufriedenheit mit dem geltenden Tarifsystem gibt. Es ist daher zu hoffen, dass es noch viele weitere Anträge, wie jenen aus Vaterstetten gibt, damit die Reformbestrebungen nicht bald wieder erschlaffen. Denn das wäre wirklich blödsinnig.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: