Kommentar:Die Armen sind die anderen

300 Flüchtlinge als Nachbarn - daran müssen sich die Plieninger erst einmal gewöhnen. Dass das möglich ist, zeigen viele Beispiele aus anderen Gemeinden

Von Alexandra Leuthner

Der Reflex ist bekannt, die Reaktion verständlich. Überall, wo neue Unterkünfte für Asylbewerber entstehen, vor allem dort, wo viele leben sollen, entstehen auch erst einmal Unsicherheit, oft Ängste, manchmal Ablehnung. Weil er darum weiß, hat Bürgermeister Roland Frick in Pliening mit sehr viel Bedacht und sehr viel Offenheit um Verständnis für die Entscheidung der Gemeinde geworben, unterstützt von Landrat Robert Niedergesäß. Ihm und seinen Mitarbeitern, die in Pliening auf dem Podium saßen, merkte man an, dass diese staatliche Pflichtaufgabe, die seit Monaten alle anderen Aufgaben im Landratsamt überlagert hat, ihre Spuren hinterlassen hat. Und dass es nicht nur die Arbeit ist, die manche dort bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringt, sondern auch das menschliche Elend, das sie dabei erleben. Das klingt durch in Sätzen wie jenem von Niedergesäß: "Den Weg über das Mittelmeer macht keiner freiwillig, weil jeder weiß, wie er enden kann."

Er sagt aber auch: "Wir kommen nicht nach Pliening, weil es uns Freude macht, sondern aus der Not, und weil wir unserer Verantwortung gerecht werden müssen." Und beschreibt damit das Spannungsfeld, aus dem kein Landrat derzeit ausbrechen kann, der um jede Gemeinde froh sein muss, die ihren Teil dazu beiträgt. Pliening hat so vielleicht vermieden, dass irgendwann die Schulturnhalle herhalten müsste, und die sieben Flüchtlinge, die schon da sind, sind gemessen an bis zu 2000, die bis Ende 2015 im Landkreis leben könnten, auf Dauer zu wenig.

Dass sich die Plieninger an ihre neuen Nachbarn erst einmal gewöhnen müssen, ist klar. Aber dass diese Gewöhnung möglich ist, zeigt der Umgang mit eben jenen sieben, die, wie jemand in der Versammlung sagte, mittlerweile wüssten, "wie wir Plieninger ticken" - und die sogar in der Bürgerversammlung vor wenigen Wochen in der ersten Reihe saßen. Das zeigen aber auch Beispiele aus anderen Gemeinden, die längst Flüchtlingsunterkünfte haben, wie Grafing oder Ebersberg. Oder wie Gemeinden im Nachbarlandkreis München. In Neubiberg steht eine Traglufthalle mitten im Landschaftspark, einem riesigen Erholungsgebiet auf einer früheren Bundeswehrlandebahn. Bevor die Halle kam in diesem Sommer, wurde dort gejoggt, flaniert, Eltern übten mit ihren Kindern Radfahren, Jugendliche Sprünge auf einem Skaterpark. Und jetzt? Es wird gejoggt, geradelt, Kinder üben Radfahren, Jugendliche treffen sich zum Skaten. Und die Flüchtlinge? Sie sind auch da, mischen sich darunter, sitzen oft verloren einfach am Rand und versuchen, zu Hause jemanden per Handy zu erreichen. Die Armen, das sind sie, nicht wir.

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