Kommentar:Die andere Zivilgesellschaft

Was im Dunstkreis der Mühlenstraße artikuliert wurde, sind längst keine Sorgen mehr. Das ist blanker Alltagsrassismus

Von Thorsten Rienth

Bauhofmitarbeiter, die zusammen mit Flüchtlingen die Wagen für die Leonhardifahrt schmücken. Örtliche Unternehmen, die Praktikumsstellen für Asylbewerber schaffen. Lehrer, die kostenlos Deutschunterricht geben. Die beiden Kirchen, die Tafel, der große Helferkreis um Lilli Kajnath. All das sind Kennzeichen einer funktionierenden Grafinger Zivilgesellschaft, die man anderswo so schmerzlich vermisst. Mit der Bauausschusssitzung am Dienstagabend ist dieses Bild zwar nicht revidiert. Wohl aber ist es relativiert.

Der Bauwerber für eine Flüchtlingsunterkunft in der Mühlenstraße - ein seit Generationen in der Stadt verwurzelter Unternehmer - wird von Nachbarn derart bedrängt, dass er seine Pläne begräbt. Aus unternehmerischer Sicht mögen die Beweggründe dafür nachvollziehbar sein. Das Zeichen dahinter ist jedoch fatal: Sind die Anfeindungen nur scharf genug, lassen sich Flüchtlingsunterkünfte verhindern. Selbst dann, wenn schon Baurecht besteht.

Nicht nur dem Energieversorger Rothmoser schlug die Ablehnung entgegen. Am Freitag kam eine große Gruppe Anwohner zu Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne) und dem CSU-Ortsvorsitzenden Sepp Carpus ins Rathaus. Dort sollen Sätze gefallen sein, die es regelrecht ekelt, wiederzugeben. Was im Dunstkreis der Mühlenstraße artikuliert wurde, sind längst keine Sorgen mehr. Das ist blanker Alltagsrassismus.

Vor zwei Jahren haben die Grafinger Stadträte ihren noch recht abstrakten Eid aufs Grundgesetz geleistet. Jetzt ist der Zeitpunkt, um Haltung zu zeigen. Um deutliche Worte zu finden gegen diese Umtriebe. Nicht mit Worthülsen und auch nicht mit Verständnis. Sondern mit der klaren Ansage, dass Grenzen überschritten worden sind. Grenzen zur Unmenschlichkeit, Grenzen zum Hass, Grenzen die man bislang im Münchner Wohlstandsgürtel für unantastbar hielt.

Dialog kann zumindest bei den Wortführern aus der Mühlenstraßen-Nachbarschaft nicht sein. Wer anderen körperliche Gewalt wünscht, wer jemanden als "christliche Volldeppen" schmäht, weil er Mitmenschlichkeit einfordert, hat sich als Verhandlungspartner disqualifiziert. Man muss wahrlich nicht jede Mülltonne aufmachen, um zu wissen, dass es darin stinkt.

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