Kommentar:Befreiungsschlag mit Bulldozer

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Ohne das Baugebiet und die Millioneneinnahmen aus Grundstücksverkäufen würde Vaterstetten vor der Pleite stehen

Von Wieland Bögel

Ältere haben ihn noch live erlebt, jüngere kennen vielleicht den Film über sein Leben: Eddie the Eagle, alias Michael Edwards. Der mischte Ende der 1980er Jahre als Amateur den Skisprung-Profibetrieb auf - gewann zwar keine Titel, dafür aber viel Sympathie des Publikums. Auch in der Bauleitplanung gibt es einen Eddie the Eagle: die kritische Stellungnahme. Dass eine solche - wie logisch und nachvollziehbar sie dem Zuhörer oder Leser auch erscheint - tatsächlich zu einer Änderung im Bebauungsplan führt, ist fast so unwahrscheinlich wie eine Goldmedaille für Eddie. Sehr eindrucksvoll hat dies nun der Vaterstettener Bauausschuss demonstriert: Egal ob Behörden, Verbände, Nachbargemeinden oder Bürger - kein Einwand, der nicht vom Tisch gewischt wurde. Verständlich daher, dass es im Gremium auch Kritik an diesem Vorgehen im Speziellen und an dem Projekt Vaterstetten Nordwest im Allgemeinen gab - genauso verständlich ist es aber, dass sich die Kritiker innerhalb und außerhalb des Gemeinderates nicht durchsetzen konnten.

Denn Vaterstetten hat keine Wahl: Es gilt, einen gewaltigen Sanierungsstau aufzuarbeiten, allem voran der 40 Millionen Euro teure Neubau der Grund- und Mittelschule. Erst kürzlich beschloss der Gemeinderat zudem, das marode Rathaus nicht zu sanieren, sondern ebenfalls neu zu bauen. Auch die Grundschulen an Wendelstein- und Brunnenstraße haben Sanierungsbedarf, ob erstere zu erhalten ist, muss sich noch zeigen. Hinzu kommt der Ausbau der Kitas, laut Berechnungen der Gemeinde werden bis Ende des Jahrzehnts 15 neue Kindergarten- und doppelt so viele Krippengruppen benötigt. Alle diese Vorhaben sind nicht verhandelbar, es sind Pflichtaufgaben, die Gemeinde muss sie leisten.

Da nützt es auch nichts, wie es nun einige im Ausschuss taten, auf Fehler der Vergangenheit hinzuweisen - etwa Versäumnisse bei der Gewerbeentwicklung oder zu viele freiwilligen Ausgaben. So richtig diese Feststellungen sein mögen, ändert sich dadurch doch nichts an der aktuellen Lage. Und die ist relativ eindeutig: Ohne das Baugebiet und die etwa 30 Millionen Euro aus Grundstücksverkäufen steht die Gemeinde vor der Pleite. Der nun verabschiedete Bebauungsplan ist daher bei allen Mängeln quasi Notwehr - ein Befreiungsschlag mit dem Bulldozer.

Der allerdings ein Einzelfall bleiben sollte, für eine nachhaltige Gemeindeentwicklung taugt das Modell Vaterstetten Nordwest nämlich nicht. Schließlich kann man nicht alle paar Jahre 15 Hektar Land bebauen und die Bevölkerung um mehr als fünf Prozent wachsen lassen - alleine schon aus Platzgründen. Aber auch, weil ein Zuwachs in dieser Größenordnung einiges an Folgekosten verursacht, schließlich muss die Infrastruktur ja mitwachsen. Künftig sollte man in Vaterstetten daher darauf achten, nicht erneut in eine Lage zu kommen, aus der man nur mit dem Bulldozer wieder herauskommt.

© SZ vom 15.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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