Kirchseeon/Markt Schwaben:Zwischen Politik und Religion

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Ein Jahr nach dem Putschversuch in der Türkei: Ein Gespräch mit den Verantwortlichen der islamischen Ditib-Gemeinden im Landkreis über die Bespitzelungsvorwürfe gegen den Dachverband

Von Annalena Ehrlicher, Kirchseeon/Markt Schwaben

Ruhig geht es in der Markt Schwabener Moschee zwischen den Gebetszeiten zu. In die Teeküche dringt kaum ein Laut, außer den leise gesungenen Koran-Suren, die aus dem Imbiss vor der Moschee herüber klingen. "Der Inhaber lernt gerade Suren auswendig - mit seinem Handy, glaube ich", sagt Aykan Inan, stellvertretender Vorsitzender für Südbayern des türkisch-islamischen Dachverbandes Ditib. Inan sitzt für das Gespräch in Markt Schwaben mit am Tisch, weil der Dachverband es seit vergangenem Jahr vorzieht, Interviews mit Mitgliedern nur noch im Beisein offizieller Sprecher zu genehmigen. "Die Kritik der Medien gegen den Verband war sehr heftig", sagt Inan, "obwohl wir jahrzehntelang der beste Ansprechpartner in Deutschland waren."

Izzet Tüymen, Vorstand der Ulu Camii Moschee, pflichtet ihm bei: "Wenn ein Imam von sich aus irgendetwas sagt, heißt das nicht, dass Ditib da schuld ist." Wenn ein Pfarrer sich falsch verhalte, könne man schließlich auch nicht die gesamte katholische Kirche verantwortlich machen. "Bei so großen Gesellschaften kann nun mal immer so etwas passieren", antwortet er. "So etwas" bedeutet in diesem Fall, dass einzelne Imame Namen von Anhängern der in der Türkei verfolgten Gülen-Bewegung nach Ankara weitergegeben haben. Die Anhänger der Lehren des islamischen Predigers Fethullah Gülen werden von der türkischen Regierung beschuldigt, hinter dem Putsch gestanden zu haben, der an diesem Wochenende vor einem Jahr die Türkei erschütterte.

Die Spitzeleien in Deutschland sollen nur aufgrund einer missverstandenen Anordnung geschehen sein, das soll eine interne Untersuchung der Diyanet, der höchsten religiösen Instanz in der Türkei, ergeben haben. Nie seien Imame von der türkischen Regierung angewiesen worden, Namen von Gülen-Anhängern zu sammeln. "Und Ditib selbst hat damit überhaupt nichts zu tun", sagt Inan, "aber trotzdem werden wir jetzt angefeindet."

Dass es überhaupt eine Anordnung gab, auf deutschem Staatsgebiet Anhänger-Listen zu verfassen, erscheint ihm jedoch von der Sache her grundsätzlich nicht problematisch: "Das sind doch allgemein bekannte Informationen gewesen - Sie wissen doch auch, ob Ihr Nachbar CSU wählt." Auch Tüymen winkt ab: "Genau, wir wissen hier auch, wer der Gülen-Bewegung angehört, das weiß jeder. Dazu braucht man den Imam nicht."

Die Moschee in Markt Schwaben stehe allen offen, Auseinandersetzungen politischer Natur gebe es nicht, versichert ein Sprecher. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Darin sind sich die Männer auch mit Ekremhan Tuncer einig, der ebenfalls Vorstandsmitglied von Ditib Südbayern ist und regelmäßig Führungen durch die Kirchseeoner Moschee gibt: Nachvollziehen kann auch Tuncer die Kritik an seinem Verband nicht, er hält sie für "ungerechtfertigt", ja "ungerecht". Die ehrenamtliche Arbeit, die die Gemeindemitglieder in soziale Projekte stecken, werde nicht mehr gewürdigt. Inan spricht unterdessen in Markt Schwaben gar davon, die Vorfälle seien in der Öffentlichkeit "hochgekocht" worden. Dabei versuche man als Verband nach wie vor, nur seinen sozialen Projekten und religiösen Aktivitäten nachzukommen.

Also gibt es in Markt Schwaben keine internen Konflikte, keine politischen Diskussionen? Nein, politische Diskussionen gebe es nicht, "hier wird das Wort Allahs gesprochen". Missverständnisse und Divergenzen politischer Natur kämen gar nicht auf, so Tüymen, das habe er nie erlebt. Türkisch-sunnitisch sei man zwar von der Ausrichtung her, aber: "Bei uns ist jeder willkommen."

Einige Wochen früher, anderes Teehaus, dieselbe Antwort: Auch Ekremhan Tuncer und Sezayi Baysal geben an, von politischen Streitigkeiten oder gar Einflussnahmen in der Moschee in Kirchseeon nichts zu wissen. Tuncer betont, eine Vermischung von Religion und Politik sei explizit nicht erwünscht. "Die Türkei ist momentan polarisiert - wir sind nicht nur ein Verein, sondern eben auch ein Gotteshaus und wollen die Menschen hier einen", sagt Tuncer. Baysal, zweiter Vorsitzender des Vereins in Kirchseeon, schließt sich an: "Natürlich hat jeder seine Meinung, die respektieren wir auch, aber wir konzentrieren uns hier auf die Vereinsarbeiten."

Doch wie stark lässt sich das eine vom anderen trennen? Auch in die Gemeinden im Landkreis Ebersberg werden die Imame von der Diyanet entsendet. Wie es denn im Vorfeld des Präsidialreferendums in der Türkei mit politischen Meinungsäußerungen aussah? Nein, kein Streit - da sind sich Tuncer und Baysal einig. "Es gibt private Moscheevereine, die politisch organisiert sind und sich als links oder rechts verstehen", räumt Tuncer gleichwohl ein. "Aber bei uns ist das nicht so."

Dem Selbstverständnis nach sind beide Vereine - wie es auch in den Ditib-Grundsätzen steht - kulturelle und soziale Institutionen. "Wir schauen, dass die Kinder ihre Religion kennenlernen, dass das Benehmen hier angepasst wird", heißt es aus Markt Schwaben; Sprachkurse, Sportveranstaltungen und besonders Jugendarbeit sind die Hauptarbeitsfelder, die der Kirchseeoner Sezayi Baysal hervorhebt. "Das ist die eigentliche Arbeit, darum kümmern wir uns."

Vier Männer in zwei Gemeinden, die fast im Wortlaut dasselbe sagen, halten weder die Markt Schwabener noch die Kirchseeoner für ungewöhnlich. "Wir arbeiten professionell, wir verständigen uns darüber, was bundesweit los ist und was der Verband kommuniziert, ist ja für alle gültig", erklärt Inan.

© SZ vom 15.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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