Kirchseeoner Hexen:Hässlich und gehässig

Bei der Walpurgisnacht auf dem Marktplatz am Donnerstag feiern die Kirchseeoner Hexen ihr 25-jähriges Bestehen. Tina Heiler verwandelt sich fast eben so lange schon jeden April in eine böse Kreatur.

Von Christoph Hollender, Kirchseeon

Kirchseeoner Hexen: Stimmungsvoll, aber nicht unbedingt gemütlich: Die Hexen von Soj in strömendem Regen.

Stimmungsvoll, aber nicht unbedingt gemütlich: Die Hexen von Soj in strömendem Regen.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Eigentlich ist Tina Heiler gar nicht böse. Im Gegenteil: Sie verbreitet eine herzliche Stimmung, wenn man mit ihr spricht, ihr Lachen ist ansteckend. Aber hin und wieder verwandelt sich die 49-Jährige in etwas Böses: Dann wird sie haarig, hässlich und gehässig. In ihrem Gesicht wachsen große Warzen, borstige Haare wuchern über ihren blauen Augen, auf der Stirn entstehen tiefe Furchen. Die Nase wird kantig und lang, und aus ihrem Besen, der wie aus dem Nichts auftaucht, qualmt es. Stück für Stück wird Tina Heiler zu einer Feuerhexe. Einmal im Jahr, am 30. April, verwandelt sie sich in diese fürchterliche Kreatur.

Das erste Mal habe sie die Hexen-Maske vor 20 Jahren aufgesetzt, erzählt Tina Heiler. "Das liegt wohl in der Familie." Papa Hans Reupold, der Urvater der Kirchseeoner Perchten, habe auch das Hexen-Gen mit nach Hause gebracht, und zwar aus dem Schwarzwald. 1990 müsse das gewesen sein, als er aus einem abgelegenen Waldstrich Baden-Württembergs heimgekehrt sei und eine Handvoll Kirchseeonerinnen in den Bann der Hexerei gezogen habe. Bereits ein Jahr später gründeten sie den Hexenbund Soj, der am letzten Tag des Aprils in der Gemeinde erstmals für Unruhe sorgte. Oberhexe war Eva Gramsamer.

Dass in der Familie von Tina Heiler etwas verhext ist, merkt man schon an der Tür: Im Eingang hängt eine geheimnisvolle Perchtenlarve, also eine Maske. Sie zeigt eine unheimliche Kreatur: einen Fischkopf, der einen andern Fischkopf frisst. Der Kreislauf des Lebens. Papa Hans habe diese gebastelt, erzählt Tina Heiler, denn er habe sich schon immer für geheimnisvolle Bestien interessiert. Vor nunmehr 60 Jahren erweckte er die Kirchseeoner Perchten zum Leben, die mit ihrem Treiben schon für viel Aufmerksamkeit sorgten.

Tina Heiler Kirchseeon Hexe

Feuerhexe Tina Heiler ist jedes Jahr wieder gerne dabei.

(Foto: Hollender/oh)

Tina Heiler verwandelt sich immer wieder in die selbe Gestalt. Ihre Hexenkleider sind mehrere Röcke aus schwarzer und roter Wildseide, die sie schneidern ließ. Die meisten Hexen aus Kirchseeon basteln sich ihre Furcht einflößenden Masken selbst. "Wir modellieren sie aus Holzmasse und gestalten sie ganz individuell", sagt Tina Heiler. Manche Hexen machen das jedes Jahr neu, andere wie Tina Heiler bleiben bei ihrer ersten Maske. Doch wie wird so eine Larve richtig gruselig? "Ich stelle mich vor den Spiegel und mache eine Grimasse, die dann als Vorbild dient." Der Tipp kam vom Gruselexperten selbst, Papa Hans. In ihrem Domizil am Gartenweg können die jungen und älteren Hexen basteln, Tänze einstudieren und das Fliegen mit dem Besen üben. Sogar einen Besenflugführerschein können die ganz jungen Hexen machen. Man müsse nur mindestens sechs Jahre alt sein, sagt Tina Heiler. Und das Hexentum sei gefragt: Der Bund besteht aus 60 Mädchen und Damen.

An diesem Donnerstag ist es nun so weit, die Hexen feiern ihr 25-jähriges Bestehen und haben den "Ausnahmezustand" angekündigt. Von 18.30 Uhr an verteilen sie am Marktplatz ihre Zaubertränke und Hexenspeisen. Von 20 Uhr an gibt es ein Theaterstück und natürlich den traditionellen Tanz ums Feuer. Sogar eine "Hexenbesenflugsalbe" soll an diesem Abend präsentiert werden: Die Besen werden damit eingeschmiert und so zum Fliegen gebracht - wenn alles gut geht. Was in die Salbe alles hineinkam? "Krötenschleim und Spinnenbein natürlich", sagt Tina Heiler. Als Gäste empfangen die Sojer Hexen Verwandte aus Bayerbach. Mit handgeschnitzten Masken werden diese für noch mehr Gruselstimmung sorgen. Übrigens verstecken sich hinter diesen Larven fast nur Männer. Eine Trommelgruppe wird das unberechenbare Treiben mit mysteriösen Klängen begleiten.

Mittlerweile ist die Verwandlung von Tina Heiler fast perfekt. Bis auf zwei Stumpen sind ihr alle Zähne ausgefallen. Aus dem Besenstiel raucht es nicht mehr, jetzt krabbeln Mäuse daran herum. Am Fuß schellt ein Glockenband. Die Kirchseeonerin ist nun eine waschechte Feuerhexe. Doch auf einmal flüstert sie durch die Maske hindurch: "So böse bin ich gar nicht." Denn das Schönste an ihrem Hexenleben sei es doch, die Menschen zu faszinieren. Spätestens, wenn sie gemeinsam mit den anderen Hexen lustig um das Feuer tanzt, sind bei den Zuschauern alle Ängste verflogen. Für Gruselpapa Hans, der mittlerweile 90 Jahre alt ist, wird das Treiben filmisch festgehalten, so dass er es sich nachträglich ansehen kann. Aus seinen Hexen- und Perchtenbüchern haben die Kirchseeoner Kreaturen schließlich gelernt. Er wird genau prüfen, ob sie gruselig genug waren und die Bräuche richtig umgesetzt haben.

Walpurgisnacht am Kirchseeoner Marktplatz mit Jubiläumsfest der Sojer Hexen an diesem Donnerstag, 30. April. Beginn um 18.30 Uhr.

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