Kirchseeon:Über die große Ebene zur Einöde Haar

Ein teilweise märchenhafter Reisebericht von 1820 schmückt das Jahrbuch des Heimatkundevereins Kirchseeon

Von Rita Baedeker, Kirchseeon

Den Weg von München nach Ebersberg als "Reise" zu bezeichnen, riefe heute erstauntes Kopfschütteln hervor. Man steigt halt in S-Bahn oder Auto, fährt stur geradeaus gen Osten, und schon ist man da, falls kein Stau ist oder die S-Bahn keine Verspätung hat. Zu sehen gibt es unterwegs - wenig. Straßen, Gleisanlagen, Gewerbe, Bürogebäude, ein Turm, Kleingärten, gesichtslose Vorstadt. Ein bisschen netter, also landschaftlich reizvoll, wird es erst nach Haar.

Vor fast 200 Jahren war das vollkommen anders. In einem alten Oktavbuch für Reisende, erschienen anno domini 1820 im Verlag J. J. Lentner, wird die Reiseroute von München nach Ebersberg beschrieben. Abgedruckt ist dieser Text in dem soeben vom Verein für Heimatkunde Kirchseeon herausgegebenen 117 Seiten starken Jahrbuch für 2014, das unter anderem auch einen Beitrag von Dagmar Kramer über die Geschichte des Ebersberger Forstes, Geschichten von Kreisheimatpfleger Markus Krammer, eine Abhandlung über die Eisenbahnhäuser in der Koloniestraße sowie einen Rückblick auf die Ausstellung "Holz in Haus und Hof" enthält.

Der Verfasser mit Namen J. B. Karl schreibt eingangs ganz richtig: "Reisen kostet Geld und Zeit und um mit Nutzen zu reisen, muss man eine Reisebeschreibung bey sich haben, worin alles Sehenswürdige bemerkt ist, damit man nicht blos den Eingebungen eines nicht unterrichteten Lohnbediensteten überlassen ist. . ." Man fragt sich da natürlich, welcher Art die Erfahrungen des Verfassers waren, die dieser bisher mit Bediensteten gemacht hat, in welche schurkischen Kreise er geraten sein mag. Immerhin empfiehlt der Autor an anderer Stelle, erst dann zu schießen, "wenn man das Weiße im Auge des Räubers" sehe. Während man heute bei Strecken wie der nach Ebersberg lediglich je nach Verkehrsmittel einen MVV-Fahrplan, Lesestoff und unter Umständen ein Navi mit sich führt, war die Strecke für den Wanderer, sei er zu Fuß oder mit der Kutsche unterwegs, damals gefährlicher, aber auch spannender.

Schon die Anreise klingt abenteuerlich. "Der Austritt von der Königsstadt (München) geschieht beym Isarthor. Sobald das östliche Ufer der Isar überstiegen ist, kömmt man nach der Hofmark Haidhausen", wo damals nicht etwa ein Szenelokal und ein Biergarten neben dem anderen auf Gäste warteten, sondern Maurer, Zimmerleute und Taglöhner schufteten. Berg am Laim mit den Türmen von Baumkirchen wird als große Ebene beschrieben. Endlich kann der Reisende ausschreiten. "Nach der 2ten Stundensäule führt ein Nebenweg nach dem bekannten, aber unbedeutenden Keferlohe" mit einer Nebenkirche, welche drei (!) Stunden von München entfernt liegt. Besagter überaus kostbarer Nebenkirche widmet der Autor in seinem Handbuch übrigens keine Silbe. Eher erwähnenswert findet er den großen Viehmarkt, der am 1. September jedes Jahres bis heute dort abgehalten wird. Vermutlich aber ist er selbst gar nicht dort gewesen, denn sein Reiseweg geht stracks weiter von Strasstrudering durch einen kleinen Wald "nach der Einöde Haar", dann nach dem "Pfarrdorfe Zorneding" (oder Zornolding, sicher ist der Autor sich da nicht), wo es eine Kirche, 56 Häuser und einen Gasthof samt Post gibt. Der hiesige Posthalter Grandauer, so erfährt der Leser, sei ein sehr wackerer Mann und als einer der "thätigsten Oekonomen" bekannt. Erwähnenswert ist dem Autor auch Pöring, ein Ort, welcher "seinen Namen von einer weißen Bärin hat, welche in der Nähe erlegt wurde. . ." Wenn dem Reiseschriftsteller da mal nicht jemand einen (weißen) Bären aufgebunden hat. Auch die Bemerkung, man sehe von dort aus in westlicher Ferne München, Freising und Dachau, weckt Zweifel. So heftig kann der Föhnwind gar nicht wehen.

Weiter geht es durch den Forst nach "Eglhärting", wo als Sehenswürdigkeiten das königliche Forstamt und die Salzfaktorie genannt werden. Nach Kirch-, Forst- und Ostersoien sowie einem Stück Weg durch den Anzinger Forst erreicht der Wanderer den Marktflecken Ebersberg, bei dessen Geschichte sich der Autor länger aufhält. Mit einiger Ausführlichkeit erzählt er die berühmte Legende vom gewaltigen Eber, den um 878 Graf Sighart von der Sempt unter einer besonders großen Linde nicht ohne Mühe erlegt habe und der dem Schlosse sowie dem Flüsschen Ebrach den Namen gab. Reiseliteratur lebt von Legenden und Mythen, damals wie heute. Auch die Geschichte des Ebersberger Klosters ist dem Anonymus viele Zeilen wert. Schließlich empfiehlt er einen Spaziergang nach Gräfing. "Überraschend öffnet sich ein Prospect, der ganz bezaubert", im Hintergrund die südlichen Gebürge, kleine Waldungen, Hopfengärten und Äcker. Und ja! "Der Gasthof des Herrn Grandauer ist wohl bestellt", lobt er auch hier. Wandern macht hungrig.

Das 11. Jahrbuch 2014 des Heimatvereins Kirchseeon ist in einer Auflage von 30 Stück erschienen. Kaufen kann man es zum Preis von 16 Euro bei Elmar und Dagmar Kramer, Telefon (08091) 61 07.

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