Kirchseeon:"Im Krieg gibt es keine Helden"

Elmar Kramer verliert im Krieg als kleiner Junge seinen Bruder und muss zu den Großeltern fliehen. Die Gräueltaten der Nazis notiert er all die Jahre akribisch.

Von Christoph Hollender, Kirchseeon

Kirchseeon: Elmar Kramer berichtet über das Kriegsende.

Elmar Kramer berichtet über das Kriegsende.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Wenn Elmar Kramer von früher erzählt, dann macht er das mit Leidenschaft. Einfach, weil er nicht will, dass Dinge vergessen werden. Zu viel sei damals passiert, das später unter den Teppich gekehrt worden sei. Damals, als Deutschland die finstersten Jahre seiner Geschichte erlebte - während des Nazi-Regimes. Elmar Kramer ist heute 80 Jahre alt. Als kleiner Bub erlebte er, was in den 1930er und 1940er Jahren geschah, rund um München. Bei einem Vortrag im Heimatmuseum Kirchseeon, das er gemeinsam mit seiner Frau Dagmar leitet, erzählte er von früher. Und er behauptet etwas, das viele im Nachkriegsdeutschland lieber nicht hörten. Jene jedenfalls, die behaupten, von dem Grauen der Nazis nichts gewusst zu haben. Elmar Kramer sagt: "Das kann nicht stimmen."

Im Heimatmuseum im ersten Stock des ATSV-Heims hält er einen Vortrag über seine Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg. Elmar Kramer ist kein gebürtiger Kirchseeoner, wie er betont. Er wurde 1935 in Freising geboren und kam über einige Umwege 1981 nach Kirchseeon. Das, was er erlebte, schrieb er auf. "Sein Leben sind Bleistifte", sagt seine Frau Dagmar.

Vergessen will Elmar Kramer nie. Er referiert über seine Kindheit im elterlichen Haus in Freising, das ganz nah an der Bahnstrecke lag, und dass es deshalb immer etwas zu sehen gegeben hätte - zum Beispiel Göring und Goebbels. Dass sich seine Eltern stets von den Braunhemden distanzierten und dass der Vater keine Politiker mochte. Und dass seine Mutter fast in das Konzentrationslager nach Dachau kam, weil sie einen SS-Mann veräppelte.

Der Vortrag Kramers ist ehrlich, er pointiert an den richtigen Stellen, zum Beispiel bei der Politikverdrossenheit des Vaters. Dieser habe nämlich gesagt: "Nur die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber." Kramer mahnt aber auch. Er zitiert eine Inschrift in einem Kriegerdenkmal in Freising: "Weil die Toten schweigen, beginnt alles von Neuem. Die, die nicht erlebt haben, sind verflucht, es zu wiederholen."

Und er berichtet über tiefen Schmerz und Trauer, als er und seine Eltern über den Tod des Bruders Rudi im August 1944 an der Front in Russland vom örtlichen Lehrer und Parteianhänger erfuhren. Dieser sagte zu der Mutter: "Ich gratuliere Ihnen. Sie durften ihren Sohn dem Führer opfern." An Zynismus sei das nicht zu überbieten gewesen, sagt Elmar Kramer, dessen Stimme in diesem Moment kurz versagt. Sein Bruder Rudi habe den Krieg "einen einzigen Mist" genannt. "Im Krieg gibt es keine Helden", habe er gesagt.

Die Skurrilität der damaligen Zeit versteht Kramer erst heute richtig. Als Kind waren Dinge von ganz anderer Bedeutung. Die nächtlichen Bombenangriffe auf München, die er vom Umland aus beobachtete, seien "schaurig schön" gewesen. Wie leuchtende Christbäume hätte manche explodierende Phosphorbombe geleuchtet. Elmar Kramer hatte Glück, er war einer der wenigen Jungen, die nicht in die Hitlerjugend mussten, und auch nicht wollten. Lieber verbrachte er Zeit mit einem russischen Zwangsarbeiter, der an der Bahnstrecke arbeiten musste.

Nach dem Krieg floh er mit seiner Mutter nach Niederbayern, zu seinem Großvater. Das Elternhaus wurde zerstört und geplündert. Eines hatte Elmar Kramer jedoch immer zur Hand: Papier und einen Bleistift. Und er schrieb schreckliche Dinge der Nazis auf, "die jeder damals mitbekam", wie er sagte. Nur keiner wollte es wissen oder gar etwas dagegen unternehmen. Denn: "Für den Triumph des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun", wie der britische Philosoph Edmund Burke einst sagte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: