Junge Lyrik:Großer Weltschmerz, kleines Format

Jannik Richter, junger Lyriker aus Baldham, Vaterstetten

Der 24-jährige Jannik Richter aus Vaterstetten.

(Foto: Veranstalter)

Jannik Richter aus Vaterstetten hat seinen ersten Gedichtband "Ungestüme Dreistigkeiten" vorgelegt.

Von Victor Sattler

"Gedichtbände haben ihr kommerzielles Potenzial längst verloren", sagt Jannik Richter, der gerade einen Gedichtband veröffentlicht hat. "Aber jeder von uns hält gerne einen in der Hand und liest darin." Beide Sätze scheinen für sich richtig, aber bilden doch einen Widerspruch. Es soll nicht der einzige Sachverhalt bleiben, den der 24-jährige Dichter als paradox beschreibt und empfindet: In seinem jüngst erschienenen Erstling "Ungestüme Dreistigkeiten", einer Sammlung von Gedichten aus den vergangenen Jahren, runzelt er kräftig die Stirn über die "wahnsinnige Welt", wie er sie im finalen Gedicht des Büchleins nennen wird.

Als Musikwissenschaftler und geübter Songtexter für eine Band - momentan studiert er obendrein Tontechnik in München - hat der gebürtige Vaterstettener ein Ohr für Metrum und Rhythmus in seinen Gedichten entwickelt. Diese selbst zu performen aber - etwa auf einem Poetry-Slam - sei nicht das Richtige für ihn. Viel besser gefalle ihm da doch die Optik seiner Arbeit, "wenn nur vier kurze Zeilen auf einer sonst ganz weißen Seite stehen, das hat was", schwärmt Richter.

Jannik Richter, junger Dichter aus Vaterstetten, Gedicht

Minimalismus in Wort und Bild: ein Gedicht von Jannik Richter samt Illustration von Lea Weil.

(Foto: Veranstalter/oh)

Mit dieser Optik im Sinn fasst er sich meist auch recht kurz. Manche seiner Gedichte wirken fast lexikalisch, wie Einträge aus einem Emotionen-Glossar, an denen auffällt, dass Richter das Forschungsobjekt, über das er nachdenkt, im Text nie beim Namen nennt oder in die Überschrift stellt. Diese Gedichte folgen keinem Plot und würden zu keiner Prosa taugen, sie sind eher gereimte Mind-Maps des Dichters. In diesem Stil schildert er aus seiner Sicht etwa, wie sich Selbstherrlichkeit, Wahnsinn, Ignoranz oder Schadenfreude äußern können, aber auch solche Gefühle, für die es noch keinen Namen gibt: Jeder kennt es wohl, aber wie heißt das eigentlich, wenn man ein Tier (hier eine Katze) um seinen simplen Verstand und leeren Terminkalender beneidet? So skizzenhaft kommen sehr viele der Gedichte daher - und Illustratorin Lea Weil, die Richter noch aus seiner Vaterstettener Schulklasse kennt, hat stilgerecht ebenso minimalistische Piktogramme aus nur drei Farben neben die Texte gestellt.

In zehn von 68 Gedichten wird der Tod thematisiert, wobei diese nicht so leicht unter einen Hut zu bringen sind. Denn eben noch rügt Jannik Richter die achselzuckende Gleichgültigkeit der Nachbarn nach einem Suizid, nur wenige Seiten später übt er sich aber selbst als Zyniker, der schwärmerische Naturbeschreibungen ganz salopp mit Not und Tod auf einer Seite in Einklang bringen will - und mit solchen Brüchen in der letzten Zeile den Leser hinter dem Ofen hervor schockt. "Hab meinen Platz gefunden / genieß im lauen Abendwind / die letzten Sonnenstunden / bis dieser Tag sein Ende nimmt / und alle zehn Sekunden / verhungert irgendwo ein Kind". Überhaupt scheint der Autor hin- und hergerissen, ob seine Gedichte nun moralisch sein wollen, oder ob er genau diese Erwartung unterwandern will. Beides reizt ihn merklich. "Man sollte sich aber immer zuerst an die eigene Nase fassen, bevor man den Zeigefinger erhebt. Ich bin zu letzterem doch gar nicht in der Position", erklärt Richter.

Lösungen für gesellschaftliche Fragen kann der 24-Jährige noch keine präsentieren. Er kommentiert "Zum Zeitgeschehen", wie ein Gedicht so rundheraus heißt, lediglich, dass bei einigen Erdbewohnern wohl grundsätzlich kein Hirn im Kopf vorzufinden sei - als kritischer Ansatz ein ziemliches Totschlag-Fazit. Weiter geht er nicht, denn er wolle seinem Leser zuliebe niemals ideologisch sein. "Im linken Spektrum halte ich mich politisch auf", meint Richter dazu nur, als hätte er sich dort, im Spektrum, einen Klappstuhl hingestellt, den er im Zweifel auch wieder in die Hand nehmen kann.

Die Gedichte in "Ungestüme Dreistigkeiten" spielen sich ohnehin großteils auf einer Metaebene ab, auf der Jannik Richter den Leser an seinen aufrichtigen Skrupeln teilhaben lässt. Er schreibt als ein halb-aufgeklärter und halb schon abgeklärter moderner junger Mensch mit ganz viel Weltschmerz. Insofern passt es gut, dass knapp ein Fünftel der Gedichte den für das lyrische Ich äußerst aufwühlenden Prozess des Gedichte-Schreibens selbst behandeln. Manchmal komme ihm das Gedicht zwar "alles aus einem Flutsch", erzählt er - beim nächsten Mal sitze er dann aber schon wieder ratlos am Schreibtisch und finde keine seiner Ideen gut. Und da macht er aus der Not eine Tugend. Mit den Mängeln und Grenzen der Sprache kämpfend, von Hunderten unerzählten Geschichten heimgesucht und - am lustigsten von allen - zu einem aufmüpfigen Satzzeichen sprechend, das ihm während einer Schreibblockade nach Strich und Faden auf der Nase herumtanzt, ist Richter ein echter Dichter in der Mache, der auch davon berichtet, wie er noch Stil und Stimme für sich selbst sucht.

"Ungestüme Dreistigkeiten" ist bei Kalliope Paperbacks erschienen. Auszüge sind auch auf der Website des Autors www.jannikrichter.de zu finden.

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