Jubiläum bei den Öko-Pionieren:Wo nicht alles Wurst ist

Vor 30 Jahren hat Karl Ludwig Schweisfurth die Herrmannsdorfer Landwerkstätten gegründet. Auf dem Bio-Hof werden Tiere mit Respekt behandelt. Geschlachtet werden sie trotzdem.

Von Jan Schwenkenbecher (Text) und Peter Hinz-Rosin (Fotos), Herrmannsdorf

Das Gemälde an der Wand zeigt eine antiquierte Szene landwirtschaftlicher Arbeit: ein Bauer auf der Weide, nur eine Handvoll Schafe neben ihm. Neben der langen Theke steht das Tagesgericht angeschrieben, es gibt Herrmannsdorfer Blutwurst mit Püree und Sauerkraut. Die Theke selbst ist aus hellbraunem Holz, wie eigentlich alles andere auch, der Boden, die Wände, die Treppe, Tische und Stühle sowieso. Neben dem alten Gemälde hängen auch Schwarz-weiß-Fotos, hinter der Theke blitzt das polierte Chrom der Geräte in der offenen Küche. Das zweite Gericht des Tages ist roh marinierter Thunfisch mit Rote Beete, Avocado, Pfeffermarinade. Eine gelungene Mischung als Althergebrachtem und Modernen - kulinarisch ebenso wie optisch.

Das Wirtshaus "Zum Schweinsbräu" ist das Herz der Herrmannsdorfer Landwerkstätten, einem ökologischen Landwirtschaftsbetrieb östlich von Glonn. Im November 1986, vor genau 30 Jahren, kaufte Karl Ludwig Schweisfurth hier den Gutshof Herrmannsdorf, daher der Name, und wandelte ihn in einen modernen Bio-Bauernhof um. Keine Massentierhaltung, keine Legebatterien. Der Hof ist Mitglied beim Biokreis, einem Verband zur Förderung ökologischer Landwirtschaft, er ist Naturland-, Bioland- und Demeter-zertifiziert.

Schweisfurth, 86 Jahre alt, dunkelgrüne Strickjacke, Brille, brauner Filzhut über dem weißen Haar, sitzt auf der hölzernen Empore des Wirtshauses und frühstückt. Eine große Scheibe Bauernbrot mit zwei kleinen Scheiben Salami. Mehr Butter als Wurst. Er sitzt am Kopfende eines langen Holztischs, um ihn herum sitzen etwa zehn Mitarbeiter, auch sie frühstücken. Schweisfurth kennt das so: "Früher saßen die Gesellen und die Familie mittags an einem Tisch. So bin ich groß geworden."

Darum geht es in Herrmannsdorf, um das "wie früher". 1897 gründete Großvater Ludwig eine Metzgerei im nordrheinwestfälischen Herten. Später übernahm der Vater. Da bekam der junge Karl Ludwig schon früh viel mit. "Wenn geschlachtet wurde, wurde ich weggejagt. Das sollte ich nicht sehen", so Schweisfurth, "aber wir stiegen rauf und schauten durchs Fenster". Der Betrieb war klein, es gab etwa 25 Mitarbeiter. "Die Tiere kamen aus der Nachbarschaft. Wir schlachteten ein oder zwei Mal in der Woche", erinnert sich Schweisfurth.

Schweisfurth absolvierte eine Ausbildung im väterlichen Betrieb. Nach der Gesellenprüfung schickte der Vater ihn auf Wanderschaft, in die USA. "Junge, guck dir mal an, wie die das da machen, hat er gesagt", erzählt Schweisfurth. Ein Jahr arbeitete er in Industrie-Schlachthöfen in Chicago, lernte Fließbänder kennen. Zurück in Deutschland begeisterte er den Vater für die neuen Methoden: "Junge, das gefällt mir, mach das mal", habe der Vater gesagt. Mitte der 1950er Jahre übernahm Karl Ludwig den Familienbetrieb, der mittlerweile einen neuen Namen hatte: Herta. Mit moderner Technik führte er den Betrieb schließlich zum größten Fleischunternehmen des Kontinents. Es gab Niederlassungen in allen europäischen Ländern, es gab Fabriken in Deutschland, Frankreich, Österreich, sogar in Brasilien und Äthiopien. Doch dann kamen die Zweifel.

"Ich war so um die 50, das muss Anfang der 80er Jahre gewesen sein", sagt Schweisfurth. "Da dachte ich darüber nach, was ich da eigentlich machte." Die Fabriken wurden größer, die Haltung intensiver. "Die Tiere waren verhaltensgestört, das Fleisch war wässrig, ich konnte keine guten Schinken, keine guten Würste mehr daraus machen", so Schweisfurth. "Im Religionsunterricht hatte ich gelernt, dass Tiere Mitgeschöpfe sind. Da dachte ich mir, dass es falsch sei, Mitgeschöpfe wie technische Güter zu behandeln." Dazu kam, dass die Söhne Karl und Georg nichts mit Herta und der Massentierhaltung zu tun haben wollten und den Betrieb verließen. Da verkaufte er das Unternehmen.

Schweisfurth wollte neu anfangen, auf die alte Art. Wollte zurück zu den Wurzeln, zurück zum traditionellen Handwerk. Und weil seine zweite Ehefrau in München lebte, ging er nach Bayern. Nach Herrmannsdorf. Er verbannte die Fließbänder, die Tiere kamen wieder auf die Weide. Herrmannsdorf war der erste Betrieb in Deutschland mit Bio-Schweinen, Schweisfurth wurde zum Bio-Pionier. Sohn Karl hatte mittlerweile Agrarwissenschaft studiert und verfolgte das Projekt skeptisch aus der Ferne, war dann aber doch angetan und ging nach Herrmannsdorf. 1996 übernahm er den Betrieb. "In den ersten Jahren hat das viel Geld gekostet", erinnert sich Karl Ludwig Schweisfurth, der sich das Pilotprojekt Öko-Bauernhof ohne den Herta-Verkauf sicher nicht hätte leisten können. "Ich habe auch viele Fehler gemacht und dafür Lehrgeld bezahlt."

Vor dreißig Jahren war der Bio-Gedanke neu. Es dauerte, bis er beim Kunden ankam. "Uns haben dann auch die Skandale geholfen", erklärt Sohn Karl Schweisfurth, "besonders die BSE-Zeit um das Jahr 2000 herum, als plötzlich alle auf die Biolandwirtschaft schauten. Da standen die Leute Schlange." Die Nachfrage nach ökologischen Produkten nahm zu. Gleichermaßen wuchs auch der Herrmannsdorfer Betrieb. Heute kommen auf dem Hof jedes Jahr 500 Schweine zur Welt, die nach einem Jahr geschlachtet werden. Es gibt etwa 1500 sogenannte Zweinutzungshühner. Zweinutzung, weil neben den Hennen, die ungefähr 200 Eier im Jahr legen, auch die Hähne am Leben bleiben und nicht - wie in der Industrie üblich - als Küken geschreddert werden. Zumindest für fünf Monate, dann geben sie etwa zwei Kilo Fleisch. Ein paar Schafe gibt es und seit gut zwei Jahren auch 300 Enten, die ebenfalls fünf Monate alt werden.

Wichtig ist für die Schweisfurths auch, dass alle Tiere und Produkte direkt vor Ort geschlachtet und verarbeitet werden. Dazu bauten sie über die Jahre Bäckerei, Käserei, Brauerei, Brennerei und eine Kaffeerösterei auf. Allerdings brauchen sie so mehr Produkte, als sie selbst produzieren können. Deswegen werden Obst, Gemüse, Getreide, Milch, aber auch Rinder oder gar Wild von anderen Betrieben geliefert. Trotz Zulieferung bleibt die Arbeit auf dem Hof überschaubar, wie der Schlachtplan der Woche zeigt: 35 Schweine am Montag, acht Kälber und zwei Rinder am Dienstag, 14 Rinder am Mittwoch, 25 Schweine am Donnerstag und 30 Lämmer am Freitag. Wenn geschlachtet wird, kommen die Tiere bereits am Abend vorher in einen kleinen Raum im Hinterhaus des Wirtshauses. Sie sollen sich an die Umgebung gewöhnen, sollen möglichst wenig Stress haben. Der Raum sieht aus wie ein Stall, es liegt Stroh aus. Eine Nacht verbringen die Tiere dort, gemeinsam. Morgens um fünf kommt dann der Metzger. Er trägt Zivilkleidung, keine Schürze. Schweine betäubt der Metzger mit einer Elektrozange, Rinder mit einem Bolzenschussgerät. Dann schneidet er die Kehle durch. Gleich im nächsten Raum kommt der Körper auf einen großen Metalltisch, an dem mehrere Mitarbeiter stehen und das Tier in Steak, Filet, Bauchlappen und Co. zerteilen. Noch einen Raum weiter werden die Reste zur Wurst gewolft. Der ganze Prozess geht so schnell, dass das Fleisch während der Verarbeitung noch warm ist - auch wie früher.

Die guten Bedingungen für die Tiere sieht man dem Preis von Steak und Wurst an. Wer wissen will, welche Kunden dazu bereit sind, einige Cent oder Euro - je nach Produkt - mehr zu bezahlen, kann im Hofladen nachschauen. Oder in einem der sieben Läden in München, etwa dem am Harras in Sendling. Der Laden dort ist klein, 30 Quadratmeter sind es höchstens. Morgens um zehn sind nicht viele Kunden im Laden. Eine ältere Frau kauft Schnitzel, zwei jüngere Frauen mit Kinderwagen, die untereinander englisch sprechen, interessieren sich eher für den Käse. "Unser Publikum ist bunt gemischt", sagt Petra Eisenblätter, die Filialleiterin. "Es kommen ältere Menschen, es kommen aber auch junge Familien oder Singles." Die einen kämen wegen dem Bio-Logo, die anderen, weil es schmecke wie früher.

Das Publikum ist zwar bunt, alle Farben hat es aber nicht. Den Vorwurf, dass es sich nicht jeder leisten kann, im Herrmannsdorfer Laden einzukaufen, gesteht auch Karl Schweisfurth ein. Das seien aber weniger als man denke. "Der überwiegende Teil kann es sich leisten, wenn er will", sagt er. Die Leute müssten allerdings weniger Fleisch essen. Aktuell verzehren die Deutschen im Schnitt 60 Kilogramm pro Kopf pro Jahr, das müsse auf 30 Kilogramm sinken. Umgerechnet sind das ein bis zwei Steaks und ein paar Scheiben Wurst pro Woche. Aber das war früher ja auch so.

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