Josefstag in Kirchseeon:Gleiche Chancen für alle

Bei seinem Besuch im Berufsbildungswerk St. Zeno fordert Erzbischof Kardinal Reinhard Marx, dass die Politik mehr für die Integration benachteiligter Jugendlicher - auch für Flüchtlinge - tun muss.

Von Sophie Burfeind, Kirchseeon

Josefstag in Kirchseeon: Politiker begleiten Kardinal Marx bei seinem Rundgang durch das Bildungswerk.

Politiker begleiten Kardinal Marx bei seinem Rundgang durch das Bildungswerk.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

In dieser Pose wird man Kardinal Reinhard Marx vermutlich erst mal nicht mehr sehen: Über sein Sakko hat er eine Lederschürze gebunden, auf dem Kopf trägt er eine Schweißerbrille. Der Erzbischof setzt das Gerät an, dann fliegen die Funken. Als er fertig ist, präsentiert er das Bild, das er auf die Metallplatte geschweißt hat: Auf einem Hügel steht ein Kreuz, darüber sind die Buchstaben St. Zeno hineingraviert.

Das Bild des Schweißens ist gewissermaßen emblematisch für das, was er während seines Besuchs im Berufsbildungswerk St. Zeno immer wieder fordert: Die Gesellschaft müsse stärker zusammenwachsen, damit alle Jugendliche die Chance erhielten, ein aktiver Teil von ihr zu sein.

Der Erzbischof von München und Freising besuchte das Berufsbildungswerk anlässlich des Josefstags, den die katholische Kirche bereits zum neunten Mal feiert. Das Ziel dieses bundesweit und dezentral durchgeführten Aktionstages ist es, auf die Lebens- und Zukunftsperspektiven benachteiligter Jugendlicher aufmerksam zu machen und die Arbeit, die für sie geleistet wird, vorzustellen. Im Berufsbildungswerk St. Zeno können junge Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen, psychischen Erkrankungen und teilweise ohne Schulabschluss, einen Ausbildungsberuf erlernen - und haben so die Möglichkeit, den Weg in den "normalen Arbeitsmarkt" zu finden. Ohne diese besondere Förderung hätten diese Jugendlichen dazu kaum eine Chance.

Josefstag in Kirchseeon: In St. Zeno können Jugendliche beispielsweise in der Metallwerkstatt eine Ausbildung machen.

In St. Zeno können Jugendliche beispielsweise in der Metallwerkstatt eine Ausbildung machen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Kardinal Marx besichtigt gemeinsam mit den Bundestagsabgeordneten Andreas Lenz (CSU) sowie Ewald Schurer (SPD), dem Landrat Robert Niedergesäß (CSU) und zahlreichen Kommunalpolitikern die Werkstätten der Einrichtung. In der Metallwerkstatt spricht er mit den dort arbeitenden Jugendlichen, fragt sie, woher sie kommen, wie es ihnen gefällt.

"Inklusion", sagt Marx später in seinem Vortrag, "ist nicht, zu fragen, welche Behinderungen gibt es? Sondern welche Begabungen gibt es?" In der Werkstatt erzählt der Erzbischof, dass sein Vater Schlosser war, dass auch er hin und wieder am Schraubstock gesessen habe - aber leider "zwei linke Hände" besäße. Trotzdem sägt, hämmert und schweißt er unter Scherzen mit den Politikern und lässt sich von den Jugendlichen erklären, was sie gerade anfertigen.

Der Erzbischof setzt sich schon seit Jahren für schwer vermittelbare Jugendliche ein. Schon als junger Priester in Dortmund in den 1980er Jahren sei ihm das ein großes Anliegen gewesen, sagt er. "Die Aufgabe der Kirche ist es, von unten her auf die Welt zu schauen." Einfluss auf den Arbeitsmarkt habe sie natürlich nicht - dafür könne sie immer wieder darauf aufmerksam machen, "dass noch mehr Anstrengungen unternommen werden müssen, diese Jugendlichen zu fördern."

Er kritisiert zudem, dass es "zu einfach gesagt ist, es gibt doch genügend Ausbildungsplätze" - die Jugendlichen müssten schließlich etwas finden, was zu ihnen passe und worin sie einen Sinn sähen. Dazu müssten sie immer wieder ermutigt werden, an sich selbst und die eigene Begabung zu glauben. "Arbeit soll ja keine Beschäftigungstherapie sein", schlussfolgert Marx, "sondern etwas, was für mich wichtig ist und was auch für andere wichtig ist."

In seinem Vortrag mahnt er, dass es zur Grundhaltung in der Gesellschaft werden müsse, dass jeder etwas könne und jeder benötigt werde. "Niemand kann nichts, dafür steht auch diese Einrichtung", sagt er. Eine Institution wie St. Zeno sei auch deswegen vorbildlich, weil statt den Defiziten der Jugendlichen ihre Begabungen im Vordergrund stünden. In diesem Zusammenhang kritisiert der Erzbischof das "zu schematische und undurchlässige Schulsystem" - und dass von staatlicher Seite zu stark kategorisiert werde.

In St. Zeno nämlich gehen die Zahlen der Jugendlichen, die dort eine Ausbildung machen, seit Jahren zurück. Laut Franz Hagenauer von der Freisinger Arbeitsagentur für Arbeit liegt das daran, dass weniger junge Menschen in die "Kategorie 3" fallen. Die bedeute, "dass der Förderbedarf so gravierend ist, dass eine besondere Einrichtung und besondere Maßnahmen benötigt werden".

Darunter fallen Berufsbildungswerke wie das in Kirchseeon, in dem die Heranwachsenden ärztlich, sozialpädagogisch und psychologisch betreut werden. Häufiger diagnostiziere die Arbeitsagentur nun - die kostengünstigere - "Kategorie zwei", in denen die Jugendlichen in herkömmlichen Betrieben von geschultem Ausbildungspersonal betreut werden. "Wo beginnt ein Krankheitsbild? Wo beginnt die Behinderung? Natürlich muss der Staat mit Kategorisierungen arbeiten - aber der Mensch passt nicht in eine Kategorie", bemängelt Kardinal Marx.

"In Bayern sind die Probleme ja scheinbar gering, der Arbeitsmarkt ist besser als anderswo. Trotzdem macht sich das Gefühl breit, dass die Ungleichheit steigt", sagt er. Daher appelliert der Erzbischof an die anwesenden Politiker: "Der Behindertenbegriff muss politisch weiter diskutiert werden und an die Politik habe ich die Bitte, über den gesamten Bildungsbereich kritisch nachzudenken. Das Ziel kann es nicht sein, den Einzelnen in eine bestehende Norm zu drängen."

Die Investitionen in die Bildung müssten steigen, fordert Marx. Außerdem müssten die Bildungsmöglichkeiten für Asylbewerber verbessert werden. "Die werden erst mal hier bleiben, weil sich die Situation in ihrer Heimat nicht so schnell verändert. Und deswegen ist eine Ausbildung für ihre Integration so wichtig." Alle Menschen, die es nicht leicht hätten, müssten die Chance erhalten, gleichberechtigt an der Gesellschaft teilzuhaben.

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