Indie-Rock in Ebersberg:Tanzbare Lyrik

Seit langem ist ein Konzert im Jugendzentrum mal wieder gut besucht - der Band Zeitzeuge sei Dank.

Thorsten Rienth

Der Mann auf dem CD-Cover hat die Schnur fest umklammert, ein herzförmiger Gasballon zieht ihn daran gen Himmel. Die Liebe lässt ihn abheben, heißt das wahrscheinlich im übertragenen Sinne, und obwohl sein Gesichtsausdruck nicht gerade ein allzu glücklicher ist, wird hier ein durchaus optimistisches Menschenbild gezeichnet. Die Schlinge könnte auch um dem Hals liegen, nach dem Motto: Liebe tötet.

Zumindest auf den ersten Blick würde genau das als bildliche Umsetzung des neuen, zweiten Albums der Ebersberger Band Zeitzeuge besser passen, das "Bürgerkrieg im Herzland" heißt. Aber eben nur auf den ersten Blick. Denn trotz allen Widrigkeiten im jungen Menschenleben, mit denen sich junge Bands naturgemäß besonders intensiv auseinandersetzen, überwiegt in den Liedern und Texten der Ebersberger Indie-Rocker das positive Bild vom Leben. Das wird nicht erst bei "Dein Weg wird zur Allee" klar, dafür dort aber besonders: "Das Leben ist ein See, spring' rein, es lohnt sich", heißt es dort und so singt es auch Sänger Moritz Michael am Samstagabend im Ebersberger Jugendzentrum. Griesgrämigkeit hört sich anders an.

Keine Frage: Die Melancholie ist in allen Zeitzeuge-Stücken unüberhörbar. Die Grenze zum Schmalzigen überschreiten die Musiker in dem eineinhalbstündigen Konzert dennoch kein einziges Mal. Das zu schaffen bei einer Musik, die eher zum nachdenklichen Zuhören als zum brachialen Pogo taugt, ist nicht leicht. Die Lieder sind mal träumerisch, mal richtig funkig und mal treibend wie bei einer Mini-Bigband. Dabei sind sie stets melodiös, von Sängerstimme, leichtfüßigem Gitarrensound und gewieftem Schlagzeug getragen.

Und das Publikum im gut besuchten Jugendtreff zeigt, wie tanzbar diese Mischung ist. Trotzdem werden die Musiker an diesem Abend nicht nur als Band wahrgenommen. Genauso sind sie Geschichtenerzähler, die mit plastischer Akustik vom Erwachsenwerden berichten, von Selbstzweifeln und - nun ja - von der Liebe.

Es dauert nicht allzu lange, bis ein wahres Luxusproblem zutage tritt: Ein Konzert braucht vergleichsweise einfallslose Lieder, die zu Ohrwürmern taugen. Doch Zeitzeuge hat schlicht keine mittelmäßigen Lieder im Repertoire.

Vielleicht wirkt gerade deshalb alles so spielerisch. Doch das ist es nicht. Sänger Moritz Michael gehört wahrlich nicht zu jenen, die das ganze Konzert kreuz und quer auf der Bühne herumspringen. Trotzdem ist sein Hemd am Ende des Konzerts nass geschwitzt, greift er nach jedem Lied zur Wasserflasche und schnappt nach Luft, wenn er zwischen den Stücken ein paar Sätze ans Publikum sagen will.

Für zwei Zugaben lässt sich die Band schließlich zurück auf die Bühne jubeln. Mit "Hans guck in die Luft" spielen sie ein recht unbekanntes Stück, das Rio Reiser einmal für ein Kindertheater geschrieben hat. Den Schlussakkord setzen sie mit dem Lied oder besser der Hymne "Wenn der Löwe fällt". Wenn es bei dem Konzert im Jugendzentrum etwas zu bemängeln gäbe, dann höchstens eines: Es war zu kurz.

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