In der Alten Brennerei:Gondeln und Grissini

In der Galerie des Kunstvereins zeigen Mitglieder des Betreuungszentrums Steinhöring ideenreiche Bilder, Objekte und Installationen zum Thema "Reise"

Rita Baedeker

Wäre es doch nur schon soweit, dass man die Koffer packen, in Bahn, Flieger, Schiff oder Heißluftballon steigen, irgendwohin entschweben, die Erde von oben betrachten, ein Küchenzelt mit Heringen aufbauen, lossegeln und seinen Urlaub am Strand oder in den Bergen verbringen könnte.

In der Alten Brennerei des Kunstvereins Ebersberg steht er abfahrbereit, der Zug in die ersehnten Ferien. Die Passagiere haben ihre Plätze eingenommen. Im Führerstand der Lok sitzt Kasperle in einer blauen Lokomotivführeruniform. Die Waggons bestehen aus Gepäckstücken und einem bauchigen Instrumentenkoffer. Offenbar hat diese Bummelbahn der Phantasie Tausende Kilometer auf Schienen hinter sich, so ramponiert, wie die Koffer aussehen. Ein dickes Tau hält die Wagen zusammen, die Räder bestehen aus bemalten Papptellern, auf der Lok klebt eine Küchenrolle - der Schornstein. Die Gesichter der Wunsch-Passagiere, darunter ein Zauberer, ein Marienkäfer sowie ein Reise-Schutzengel, sind außen aufgeklebt, so als schauten sie winkend aus dem Abteilfenster.

Dieser fröhliche Zug, der Fernweh weckt, sich aber niemals in Bewegung setzen wird, gehört zu den Attraktionen der Ausstellung "Die Reise", die an diesem Samstag in der Galerie des Kunstvereins eröffnet wird. Die Arbeiten, darunter Bilder in Acryl, Aquarell und Mischtechnik sowie Objekte aus Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs wurden von Kunstschaffenden des Betreuungszentrums Steinhöring geschaffen. Mitgemacht haben die Förderstätte, die Wohnbereiche und die Werkstätte im Einrichtungsverbund sowie die Werkstätte für Menschen mit seelischer Beeinträchtigung (TIP) in Ebersberg. Die Projektleitung hatte Vera Schüller, zweite Vorsitzende des Kunstvereins.

Vor zwei Jahren hatte sich der Verein dazu entschlossen, die Brennerei als Ausstellungsraum auch für andere Gruppen, etwa Schulklassen, zu öffnen. Nun werden Menschen mit körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen dort ihr kreatives Potenzial zeigen. Manche der Werke sind unter großen Mühen zustande gekommen, wie Vera Schüller erzählt. So habe einer der Teilnehmer, der im Rollstuhl sitzt, seine farbintensiven und aussagekräftigen Motive mit dem Mund gemalt. Bei anderen hat Schüller als Stichwortgeberin nachgeholfen und so manchen Knoten, manche Blockade gelöst und die Phantasie angeregt. "Manche brauchten eine halbe Stunde für einen Strich und waren dann erschöpft, andere konnten, einmal angefangen, gar nicht mehr aufhören zu malen", sagt Schüller, der die Arbeit an diesem Projekt sehr zu Herzen geht. "Ich war oft zu Tränen gerührt." Eine junge Frau habe lange Zeit jeden Vorschlag abgeblockt und erklärt, sie könne keine Menschen malen, sagt Schüller. Doch dann, Schritt für Schritt und mit Hilfestellung, habe sie sich mit Freude in ihre Arbeit vertieft - Ergebnis war ein sehr lebendiges Motiv, auch Menschen sind darauf zu sehen.

Es sind viele erstaunliche Arbeiten entstanden, kindlich, berührend, humorvoll, düster, narrativ, im einen oder anderen Fall auch künstlerisch anspruchsvoll. Sehr komisch sind etwa die aus verkleideten Tetrapak-Schachteln gebastelten Comic-Geschöpfe. Sie haben Hörner aus Klopapierrollen, einen Kamm aus Eierkartons, der Schwanz ist aus Luftschlangen, die vom Fasching übrig geblieben sind. Das im ersten Raum verteilte Papp-Völkchen passt ganz gut zu zwei Gemälden von Renate Bauer mit dem Titel "Urlaub in Österreich". Darauf zu sehen sind knallrote Idole mit riesigen Köpfen, die vage an Götterstatuen der Vorzeit erinnern. Es wäre spannend zu erfahren, welche Erinnerungen oder Fantasien diesen Bildern zugrunde liegen.

Strichmännchen, wie sie Paul Klee ("Kunst gibt nicht das Sichtbare wider, sondern macht sichtbar"), Picasso und andere gemalt haben, findet man in der Ausstellung zuhauf. Ein schönes Beispiel für Klees Ausspruch ist das Bild "Ich und mein Freund unterwegs im Frühling" von Annette Maderholz, auf dem zwei Mondgesichter in Grün und Lila eine kleine Geschichte transportieren.

Vincenzo Petrosini aus Ebersberg träumt in duftigen Aquarellen von Tomatensalat, Grissini-Stangen und dem Blau des Meeres. Für ihn führt eine Reise offenbar direkt in eine italienische Trattoria. Manche wiederum begnügen sich nicht mit Nahzielen wie Österreich oder Italien, sondern gehen gleich auf ganz große Fahrt mitten in das Sternenmeer des Universums, andere dagegen wollen - wie ein Bildtitel verrät - bloß dorthin, "wo de Leit wohna", träumen von einem "heißen Tag in der Wüste", von Birken in der Nacht, von Nil, Akropolis oder haben Sonderwünsche, wie zum Beispiel eine "Urlaubsreise ins Hotel mit Einzelzimmer und Mercedes mit Koffer drin". Und wieder andere malen ein Land aus Sonne, Wolken, Bergen, See, einer feuerroten Gondelbahn und einem Flugzeug, das durch die Wolken schwimmt wie ein großer grauer Walfisch.

Eine Serie von "Städtereisen" erinnert mit ihren bunten Türmen, Toren und Kuppeln an die Farben- und Formensprache von Friedensreich Hundertwasser. Und da jede Reise einmal zu Ende geht, gehört auch die oftmals unerfreuliche Heimkehr zum Thema. Auf einem der Bilder herrscht, so wie im richtigen Leben, Verkehrschaos mit Baukran, Baustelle und Krankenwagen. Ob der Schöpfer des Bildes Ebersberg gemeint hat?

Was man alles für einen Tag am Strand braucht, hat Betreuerin Brigitte Gummersbach in ihrer großen Reise-Installation zusammengetragen: Sonnenschirm, Liegestühle, Handtuch, Badelatschen, Sonnenhut, Gummikrokodil, eine Tüte mit Muscheln und einen Schmöker. Titel: "Alles Azzurro" - ganz ohne Fragezeichen.

Die Ausstellung "Die Reise" wird an diesem Samstag, 6. April, um 18 Uhr in der Alten Brennerei im Klosterbauhof Ebersberg eröffnet und ist dann am Sonntag, 7. April, sowie am Samstag und Sonntag, 13. und 14. April, jeweils von 14 bis 18 Uhr, geöffnet. Bei der Vernissage wird auch gesungen.

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