Hohenlinden:Sieben Kilometer für eine Dose Pillen

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Immer mehr bayerische Pharmazeuten kämpfen um ihre Existenz. Die Forstapotheke In Hohenlinden schließt jetzt, weil Inhaber Uwe Scheerschmidt keinen Nachfolger findet. Die nächstgelegene Apotheke ist dann in Forstinning.

Von Korbinian Eisenberger, Hohenlinden

Noch ist alles wie gehabt. Die Tür geht mit einem Klingeln auf, wie gewohnt steht dann der Mann mit der umgehängten Brille hinter dem Tresen der Apotheke und sagt Grüß Gott. Die meisten Kunden kennt Uwe Scheerschmidt beim Namen, oft weiß er schon vorher, in welche Schublade er gleich greifen muss.

Doch bald wird er das Regal ausräumen, den Kühlschrank für die Impfstoffe ausschalten und seinen weißen Kittel in eine Umzugskiste packen. Scheerschmidt, 65, hat eineinhalb Jahre nach einem Nachfolger gesucht - vergeblich. "Jetzt hat mir der letzte Interessent abgesagt", sagt er. Scheerschmidt wird am 30. November zumachen. Alles sieht danach aus, dass die 3000-Einwohner-Gemeinde Hohenlinden ihre einzige Apotheke verliert.

Mehr als 30 Jahre hat Scheerschmidt die Forstapotheke geführt, zuletzt war er zudem der Pressesprecher der Apotheker im Landkreis, sprach öffentlich immer wieder die Nöte seiner Zunft auf dem Land an. Etwa, dass es so gut wie unmöglich ist, junge Pharmazeuten zu finden, erst recht seit der Gesetzgeber 2011 die Umsatzbeteiligung der Apotheker an Medikamenten schwächte (Amnog-Gesetz). Und seitdem Pillen aus dem Internet dem analogen Verkauf Konkurrenz machen.

Im letzten halben Jahr sind in Oberbayern elf Apotheken weggefallen

"In einer Internetapotheke bekommt der Patient aber keine Beratung", warnte Scheerschmidt bereits vor knapp vier Jahren in einem SZ-Interview. Schon damals war das Problem allgegenwärtig, da hatte gerade die St.-Sebastian-Apotheke in Ebersberg geschlossen. Inhaber Michael Baumann musste nach drei Jahrzehnten Betrieb aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Auch er suchte zwei Jahre lang, einen Nachfolger fand er nicht.

Geändert hat sich seither nichts. Außer, dass es in Bayern immer weniger Apotheken gibt, vor allem auf dem Land. Im Freistaat ist die Zahl der Apotheken seit 2010 von 3420 auf 3223 gesunken. Der bayerische Apothekerverband, der die Statistiken ermittelt, sieht das Hauptproblem im Amnog-Gesetz und den weggefallenden Rabatten, die Großhändler den Apotheken bis vor fünf Jahren gewährt hatten.

Den Großteil der Last hätten seither die Apotheken auf dem Land zu tragen. Für Geschäfte in kleinen Städten mit wenig Kunden sei es besonders schwierig zu überleben, teilt der Verband mit. Neben dem Ärztemangel werde die Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten durch den Wegfall von Apotheken noch schlechter.

Im Landkreis Ebersberg gibt es dann noch 33 Apotheken

Und in Ebersberg? Derzeit haben im Landkreis 34 Apotheken geöffnet, und bald sind es nur noch 33. "Die Versorgung ist noch gegeben", sagt eine Sprecherin des Verbands. Konsequenzen werde der Verband nicht ziehen, die Hohenlindener müssen von 1. Dezember an sieben Kilometer nach Forstinning fahren, dort ist die nächstgelegene Apotheke.

Eigentlich wollte Scheerschmidt genau das verhindern. Er steht im Hinterzimmer seiner Apotheke, fährt mit dem Finger über seine alte Metallwaage, die er in den Siebzigern und Achzigern noch in Gebrauch hatte. All diese Erinnerungen. "Leicht ist mir die Entscheidung nicht gefallen", sagt er.

In den vergangenen Jahren habe er aber zunehmend zu kämpfen gehabt - vor allem mit den vielen Nacht- und Feiertagsdiensten. Scheerschmidt ist jeden neunten Tag dran. Je weniger Apotheken es gibt, desto öfter müssen die Filialen ran. Auch ein Grund, warum es für junge Pharmazeuten attraktiver ist, in München zu arbeiten, wo es allein in der Innenstadt mehrere Dutzend Apotheken gibt.

Auch in Zorneding dankt ein Apotheker ab

Im Landkreis Ebersberg ist die Wahrscheinlichkeit hingegen groß, dass man an Weihnachten Bereitschaftsdienst hat. Scheerschmidt erging es so im vergangenen Jahr. Am 26. Dezember merkte er dann plötzlich, wie sein Blutdruck anstieg, spürte, wie er hyperventilierte und konnte gerade noch den Krankenwagen rufen. Es folgte eine Herz-OP und der ärztliche Rat, es künftig ruhiger anzugehen.

Scheerschmidt hat viel versucht, hat bei Großhändlern aus der Pharmaindustrie nach Kandidaten gesucht, hat in Fachzeitschriften inseriert und seine Kontakte als Landkreissprecher genutzt. Vergangene Woche sagte ihm nun ein Mann aus München ab, der vorher bereits mehrfach zu Besuch gewesen war und sogar schon in der Gemeinde vorgesprochen hatte. Warum er dann doch absagte? Keine Ahnung, sagt Scheerschmidt. Wahrscheinlich waren die Aussichten doch nicht lukrativ genug.

Wo führt das hin? "Es ist seit Jahren ein eindeutiger Trend zu verzeichnen", sagt eine Sprecherin vom Apothekerverband. In den vergangenen sechs Monaten haben in Oberbayern wieder Dutzende Apotheken zugemacht, im Juni waren es elf weniger als noch im Dezember. Auch in Zorneding hört demnächst ein Apotheker auf, Heinz Hauck, der wahrscheinlich dienstälteste Apotheker im Landkreis, ist mittlerweile 86 Jahre alt. Er und seine Frau stehen immer noch in der Adler-Apotheke - anders als bei Ärzten gibt es in dieser Branche keine Altersgrenze. "Im Lauf des nächsten Jahres werden wir aufhören", sagt Hauck.

Und dann? Es würde ihm ähnlich ergehen wie Scheerschmidts Forstapotheke, glaubt Hauck. Und zwar dann, wenn seine Tochter nicht Pharmazie studiert oder aus dem Landkreis weggezogen wäre. "Wir unterzeichnen bald die Verträge", sagt Hauck. Er selbst wird dann nicht mehr hinter der Theke der Adler-Apotheke stehen, dafür aber seine Tochter.

© SZ vom 12.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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