Hebammen:Schwere Geburt

Jedes Mal anders: Hebamme ist ein abwechslungsreicher Beruf

Babys, die auf die Welt wollen, müssen sich hinten anstellen. Beleghebammen dürfen nur noch zwei Schwangere gleichzeitig betreuen.

(Foto: Uwe Zucchi/dpa)

Nach horrenden Versicherungsprämien werden freiberufliche Hebammen mit einer weiteren Vorschrift konfrontiert: Von Januar an dürfen sie nur noch zwei Frauen gleichzeitig im Kreißsaal betreuen

Von Franziska Langhammer, Ebersberg

Gespickt mit dicken, farbigen Kugeln präsentiert sich die Deutschlandkarte, die auf der Homepage "unsere-hebammen.de" aufpoppt. Eigentlich ein schönes buntes Bild, wäre der Inhalt nicht so erschreckend: Die "Landkarte der Unterversorgung" soll dokumentieren, wo es bundesweit an Hebammen fehlt. Auch im Landkreis Ebersberg haben Betroffene ihre Erfahrungen eingetragen. So fand eine Frau nahe Grasbrunn im September keine Hebamme für eine Beleggeburt. In Zorneding fehlte im April dieses Jahres eine Hebamme zur Wochenbettbetreuung. In Vaterstetten hat eine Frau im August keinen Platz im Geburtshaus bekommen - und das sind nur die aktuellen Meldungen.

Die Landkarte zeigt auch das Missmanagement im Gesundheitswesen in Bezug auf den Babyboom der vergangenen Jahre auf: Es gibt schlicht zu wenig Kapazitäten, zu wenig Personal, zu wenig Platz für die vielen Geburten. Künftig könnte sich das Problem nochmals verschärfen. Vom 1. Januar 2018 an tritt ein Schiedsspruch in Kraft, der vereinfacht bedeutet: Freiberufliche Hebammen müssen mit einem herben Verdienstausfall rechnen. Einerseits bekommen sie für einige Leistungen 17 Prozent mehr bezahlt. Indem sie nur noch die Betreuung von zwei Frauen gleichzeitig abrechnen können, verdienen sie jedoch bei der Geburtshilfe, dem Herzstück der Hebammenarbeit, deutlich weniger.

Um die Tragweite der neuen Regelung zu verstehen, muss man die zwei Systeme in der Geburtshilfe betrachten: Angestellte Hebammen werden vom Krankenhaus entlohnt; sie bekommen Gehalt für ihre Arbeit, egal, wie viele Frauen sie in ihrer Schicht betreuen. Beleghebammen, die frei arbeiten, rechnen ihre Tätigkeiten direkt mit der Krankenkasse ab, also Geburt um Geburt. Kommt zur Betreuung von zwei Frauen im Kreißsaal eine dritte Frau hinzu, muss künftig eine weitere Geburtshelferin aus der Rufbereitschaft herbeigeholt werden. Oder die Beleghebamme betreut die Patientin - wird jedoch nicht dafür bezahlt. Das ist insofern ein gravierender Einschnitt, weil freie Hebammen bisher mal vier Frauen gleichzeitig betreut haben, mal keine, und trotzdem alle getätigten Leistungen abrechnen konnten. Jetzt können höchstens zwei Leistungen abgerechnet werden, was dramatische Einbußen für sie bedeutet.

Auch im Landkreis Ebersberg und Umgebung setzte die neue Regelung die Geburtshelferinnen massiv unter Druck; nun suchen die Kliniken händeringend individuelle Lösungen, um die Versorgung im neuen Jahr weiter aufrecht erhalten zu können. "Wir Hebammen waren zuerst in Schockstarre", so formuliert es Marlene Ottinger aus Grafing, "wir wussten nicht, wie es weitergehen soll." Sie arbeitet an der RoMed-Klinik Wasserburg, an der ausschließlich freiberufliche Beleghebammen beschäftigt sind. Das Ziel, im Kreißsaal eine 1:2-Betreuung zu erreichen, gehe grundsätzlich in die richtige Richtung, findet Marlene Ottinger. Aber nicht ohne vorher die Infrastruktur zu schaffen - nämlich mehr Hebammen auszubilden und die Geburtshilfe besser zu entlohnen. "Den Hebammenmangel auszugleichen, indem man den Hebammen verbietet, gleichzeitig mehrere Frauen zu betreuen, entbehrt jeder Logik", sagt Ottinger, "das erhöht den Druck auf die Berufsgruppe und wird zu noch weiteren Abwanderungen aus dem Beruf führen." Momentan wird an den RoMed-Kliniken an einer individuellen Lösung gefeilt, wie der Verdienstausfall der freien Hebammen aufgefangen werden kann. Laut Geschäftsführer Peter Lenz gibt es dazu noch nichts Spruchreifes zu vermelden, doch: "Wir hoffen und erwarten von der Gesundheitspolitik, dass sie endlich erkennt, dass weitere Eingriffe in das Belegarztwesen bei Hebammen und Ärzten offenkundig die flächendeckende Versorgung in Süddeutschland, vor allem in Bayern, beeinträchtigen."

"Ich kann doch einer Frau nicht sagen: Krieg dein Kind bitte erst in ein paar Stunden", sagt Anja Hüwel, die bisher neben lauter angestellten Kolleginnen als einzige freiberufliche Hebamme an der Kreisklinik Ebersberg tätig ist. Oft durchlaufen die Frauen, die eine Hebamme zur gleichen Zeit betreut, unterschiedliche Stadien der Geburt: Während die eine Patientin kurz vor den Presswehen steht, kann es bei der anderen noch Stunden dauern, bis es ernst wird. Oder beide Frauen müssen noch mit Spaziergängen die nötigen Wehen hinter sich bringen. "In so einem Fall könnte ich leicht noch eine dritte Frau betreuen, darf es aber nicht abrechnen", erklärt Anja Hüwel. Nicht nur die fehlende Bezahlung sei jedoch das Problem, sondern auch die Versicherung, so Hüwel: "Ich bekomme zwar kein zusätzliches Geld, wenn ich eine dritte Frau betreue, aber bin trotzdem voll und ganz für alles haftbar."

Der Schiedsspruch fällt in eine Zeit, in der viele Geburtsstationen sowieso schon aus Personalnot zumachen müssen. Im August schloss etwa die Geburtshilfe in der Ro-Med-Klinik Bad Aibling, im Frühjahr die Entbindungsstation der Asklepios-Klinik in Bad Tölz. Die Patientinnen müssen von den umliegenden Krankenhäusern aufgefangen werden. Am Klinikum Erding konnten im Sommer 2017 für einige Monate nur noch Kaiserschnitte vorgenommen werden; der Grund auch hierfür: akute Personalknappheit. Viele der Erdinger Patientinnen wichen in die Kreisklinik Ebersberg aus.

In Ebersberg reagiert man mit zusätzlichem Personal. Momentan sei die Klinik in Sachen Geburten "sehr gut ausgelastet", sagt Professor Cornelia Höß, Chefärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe: "Zu uns kommen auch gerne Frauen, die am Rand von München wohnen." Kamen 2016 noch 649 Kinder in der Klinik Ebersberg zu Welt, rechnet man dieses Jahr mit 700 Geburten. Bisher, so Höß, könne man das alles gut händeln. Um das Team, bestehend aus angestellten und freien Hebammen, aufzustocken, wurden nun drei weitere Geburtshelferinnen eingestellt, sagt Cornelia Höß: "Die Suche war nicht einfach; wir legen großen Wert darauf, gute Leute zu bekommen."

Es ist paradox: Eigentlich gehe die Zahl der Hebammen deutschlandweit betrachtet voll auf, erklärt Astrid Giesen, Vorsitzende des Bayerischen Hebammen-Landesverbandes - wenn jede Hebamme 40 Geburten im Jahr betreut. Das sei zwar an der Grenze, müsse aber zu schaffen sein. "Die Arbeitsbelastung an den Kliniken ist aber dermaßen hoch, dass viele Hebammen fliehen", sagt Giesen. Viele Geburtshelferinnen arbeiten nicht oder nur in der Schwangerschafts- und Wochenbettbetreuung, etwa weil der Schichtdienst und die nötige zeitliche Flexibilität oft nur schwer mit der Familie vereinbar ist. Zudem verspricht der neue Schiedsspruch mehr Geld in der ambulanten Pflege als bei der Geburtshilfe. Auch das Haftungsrecht trage sein Scherflein dazu bei, dass viele Hebammen ihren Beruf nicht ausüben. Die hohen Haftpflichtprämien werden inzwischen durch die Krankenkassen zu zwei Dritteln finanziert, aber das Problem ist nicht nur ein finanzielles. Mit dem neuen Schiedsspruch würden die Rahmenbedingungen für freie Hebammen jetzt noch schlechter werden.

"Natürlich ist es wünschenswert, nur zwei Frauen gleichzeitig zu betreuen", sagt Giesen, "aber es ist nicht richtig, das auf diese Weise zu manifestieren." So könne man über den Gemeinsamen Bundes-Ausschuss (GB-A) eine 1:2 -Betreuung beschließen, die dann für alle Hebammen gelte. Dies, so Giesen, sei jedoch personell im Moment auch nicht zu stemmen. Schwierig sei aus ihrer Perspektive auch, dass diese Rahmenbedingungen immer so überstürzt beschlossen und durchgesetzt würden. "Die Zentralisierung der Geburtshilfe ist wohl nicht aufzuhalten", resümiert Astrid Giesen, "aber auch das muss man planen." Wenn noch weitere der noch verbliebenen 37 Geburtsstationen in Bayern schließen, so Giesen, gäbe es absolutes Chaos.

In weniger als zwei Monaten wird sich zeigen, wie der neue Schiedsspruch sich wirklich auf die sowieso schon angespannte Situation auswirkt. Die Hebammen versuchen vorerst, ihre Arbeit so gut wie möglich weiterzumachen. "Wir müssen immer so viel kämpfen", sagt Marlene Ottinger, die Grafinger Hebamme, "warum kann ich nicht einfach meinen Job machen?"

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