Haar:Reise ins Ungewisse

Der von psychiatrieerfahrenen Künstlern gestaltete Seelen-Art-Kalender 2017 bietet eine reiche Vielfalt an farbintensiven Motiven und kunstgeschichtlichen Anklängen

Von Rita Baedeker, Haar

Was wird das neue Jahr bringen, wohin geht die Reise? Dieser Gedanke, der in diesen Tagen viele Menschen bewegt, drängt sich auch bei der Betrachtung des Titelbilds von Stefanie Alder zum Seelen-Art-Kalender 2017 auf: ein Labyrinth aus vielfarbig gemusterten dreidimensionalen Formen, die sich über den roten Malgrund schlängeln. Eine sich verjüngende Treppe, führt ins Nirgendwo, verstärkt die plastische Wirkung des Motivs. Im Hintergrund ist ein Gefährt zu sehen, das an ein Spielzeugauto erinnert. Das Bild trägt keinen Titel, aber man könnte es "Fahrt ins Ungewisse" nennen, in einen fremden mikroskopischen Kosmos.

Die Welt ist in Bewegung, Sicherheit gewährt allein die Fantasie, Gefühle wie Enge, Angst und Scham, aber auch Freude kommen in den Monatsbildern zum Ausdruck. Und dies auf künstlerisch überwiegend hohem Niveau. Jedes der Bilder psychiatrieerfahrener Künstler der Tagesstätte Seelen-Art in Haar, die dieses Mal den Jahreskalender gestaltet haben, öffnet den Raum für Interpretationen und Assoziationen. Die zwölf Monatsbilder zeigen eine Vielfalt an Stilen und Motiven: schwungvoll zu Papier gebrachte Abstraktionen, Grafisches, Kleinteiliges, Surreales, Plastisches, Heiles und Verstörendes.

Kultur, Kalender Seelenart, SeelenArt, Seelen Art 2017, Stefanie Alder, Ohne Titel, Acryl auf Karton

Verschlungene Wege führen auf Stefanie Alders Titelblatt des Seelen-Art-Kalenders 2017 in die Zukunft.

(Foto: kbo - Sozialpsychiatrisches Zentrum)

Der Januar beginnt frostig: "New York gigantisch" lautet der Titel des Aquarells auf Bütten von Klaus Klinger. Von Hell- bis Dunkelblau reicht die Farbpalette, in welcher der Künstler kantige Wolkenkratzer, die am oberen Bildrand noch längst nicht enden, gemalt hat. Das bleiche Licht der Wintersonne lässt die Wände leuchten.

Dass der Narr keine lustige Person ist, weiß man längst. Der Narr, dem Sabine Henning für den Monat Februar in Tuschfarben Gestalt gegeben hat, erinnert vage an Leonardo da Vincis Darstellung "Kanon der Proportionen". Dass auf einer Seite eine weiße Taube am ausgestreckten Arm vorbeiflattert, ist ein poetisches Detail. Auch Narrenkappe und Socken wirken fröhlich, doch statt von da Vincis rationaler Geometrie, scheint die Figur von Fesseln umfangen, von Fallstricken, die sich jederzeit zusammenziehen können.

"Drei Farben und kein Orange" lautet der Titel der wie ein einziger kalligrafischer Pinselstrich wirkenden abstrakten Komposition (März) von Arno Linker, in der dennoch Orange die vorherrschende Farbe ist. An Friedensreich Hundertwassers Farbornamentik erinnert Irmgard Zauners dekoratives Aprilbild. Heiter auch die zwei Frauen in grünem und blauem Kleid, die einander im Mai begegnen. Andrea Fischer-Stanikowski hat das Damenkränzchen geschaffen.

Kultur, Kalender Seelenart, SeelenArt, Seelen Art 2017, Andrea Fischer-Stanikowski, Begegnung, Mischtechnik

Die psychiatrieerfahrenen Künstler haben eine Vielfalt an Werken geschaffen, wie zum Beispiel die Figuren "Begegnung" von Andrea Fischer-Stanikowski.

(Foto: kbo - Sozialpsychiatrisches Zentrum)

"Mit den Augen van Goghs", das heißt im satten Sonnenblumengelb und mit einem expressionistischen Formenvokabular hat Lou Gascogna den Innenhof einer Villa irgendwo im Süden zum Thema gemacht (Filzstift auf Papier). In dem Mosaik des Innenhofs finden sich die spiraligen Galaxien aus van Goghs "Sternennacht", die sich drehenden Wolkenformationen des "Weizenfelds mit Zypressen" und andere Details. Ein Augenschmaus für den Monat Juni, der so viel verspricht.

Serge Vollin, Profikünstler, der seit Jahren den Kalender mitgestaltet, wählte für den Juli eine komplett andere Sprache. Eine, wie bei ihm üblich, minimalistisch gezeichnete Gestalt mit rosarotem Mond als Kopf und einer Art Komma als Mund reibt sich die unsichtbaren Augen. "Ich schäme mich" lautet der Titel des in starken leuchtenden Farben gemalten Ölbilds, eine anrührende Figur, eine vertraute kindliche Geste. Ihr folgt für den Monat August ein in tiefem Rot, Blau, Gelb und Türkis gehaltenes, halb abstraktes, meisterhaft gearbeitetes Blumenbild von Elena Meditz, das man auch als Gewitter deuten könnte.

Kultur, Kalender Seelenart, SeelenArt, Seelen Art 2017, Felix Eckardt, Gerhard, Öl auf Holz

Gastkünstler Felix Eckardt hat Gerhard Polt porträtiert, den Paten des Projekts.

(Foto: kbo - Sozialpsychiatrisches Zentrum)

"Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr", dichtete Rilke in dem Poem "Herbsttag". Noch ist es nicht ganz soweit, noch ist September, aber Hans Peter Brandmeier hat sich schon mal eines gebaut, aus dunkelgelben Mauern und lilafarbenem Dach, mit Licht in den Fenstern, einem Schachbrettmuster als Boden und einer Sonne, die noch halb zu sehen ist. Es ist eine einfache, Geborgenheit atmende Szene. So wie auch das Oktoberbild. Grün und Orange umwerben einander, verschmelzen auf dem nächsten Blatt miteinander in der abstrakten und mit großem Pinselgestus geschaffenen Komposition "ohne Titel", die Inge Witt gemalt hat.

Ganz anders die kleinteilige mosaikartige Arbeit von Johannes Vogel (Buntstift auf Papier). Wie Fossilien eines fantasierten Erdzeitalters, von dem allerlei rätselhafte versteinerte Lebewesen mit Flossen, Fühlern, Schwänzen und geometrisch-kristallinen Strukturen übrig geblieben sind, wirken die Figuren, die der Künstler in eine Fläche aus winzigen bunten Pünktchen eingebettet hat.

Der Dezember schließlich ist einem treuen Sponsor von Seelen-Art gewidmet - Gerhard Polt. Gastkünstler Felix Eckardt hat ihn in Öl auf Holz porträtiert, kantiges Antlitz, skeptisch herabgezogene Mundwinkel, kritischer Blick - wohl auf das, was da 2017 kommen mag.

Der Kalender 2017 Seelen-Art wurde realisiert von Ulrike Ostermayer, dem Neurologen und Psychiater Peter Vaitl und Tini Polt. Die Werke stammen von psychiatrieerfahrenen Künstlern und Künstlerinnen der Tagesstätte Seelen-Art, aus der Kunsttherapie des Klinikums des Bezirks Oberbayern Inn-Salzach und Isar-Amper in München-Ost und von Gastkünstler Felix Eckardt. Der Kalender ist erhältlich in der Seelen-Art-Tagesstätte, Ladehofstraße 10 in Haar, werktags von 11 bis 16.30 Uhr gegen eine Spende von 15 Euro. Per Post unter kbo-Sozialpsychiatrisches Zentrum, Teamleitung Seelen-Art, Ringstraße 13, 85540 Haar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: