Grafing:Zwischen hoffnunfslos und mutig

Grafing: Max Mannheimer besucht das Grafinger Gymnasium zum 30. Mal.

Max Mannheimer besucht das Grafinger Gymnasium zum 30. Mal.

(Foto: Christian Endt)

Max Mannheimer erzählt den Neuntklässlern am Gymnasium in Grafing, wie er den Holocaust überlebt hat. Der 96-Jährige rät den Jugendlichen, stets optimistisch zu bleiben

Von Sebastian Hartinger, Grafing

Hätten sie im Nachhinein anders gehandelt?" Dies ist die letzte Frage, die Max Mannheimer an diesem Vormittag von den Schülern gestellt bekommt. "Ich hätte nichts ändern können. Ich habe es genommen, wie es kam". Der inzwischen 96 Jahre alte Überlebende des Holocaust hat den neunten Klassen des Grafinger Gymnasiums seine erschütternde, aber zugleich auch beeindruckende Lebensgeschichte geschildert. Es ist der 30. Besuch Mannheimers am Grafinger Gymnasium. "Frau Dr. Otterbach, damals Lehrerin hier, hatte ihn nach einer Lesung gefragt, ob er hier an die Schule kommen würde", erzählt die Lehrerin Daniela Meixner.

In seiner Schulzeit habe er keine so guten Noten gehabt und die Unterschrift des Vaters gefälscht, erzählt Mannheimer. Seine schönsten Erinnerungen an die Zeit vor dem Krieg drehen sich hauptsächlich um Mädchen. Dann kam die NS-Zeit. Mannheimer wurde im Januar 1943 zusammen mit seinen Eltern, seiner Frau und seinen drei Geschwistern ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau gebracht. Schon die ersten Stunden im KZ seien von Gewalt geprägt gewesen. "Die Frauen mussten auf die eine Seite, die Männer auf die andere. Eine Frau wollte zu uns rüberkommen, wahrscheinlich um mit ihrem Mann oder Sohn zu reden. Sie wurde von einem SS-Mann mit einem Spazierstock zu Boden gebracht, und blieb regungslos liegen".

Neben ihm überlebte nur sein Bruder Edgar das Konzentrationslager. "Meine Eltern waren zu alt, sie hatten keine Chance und wurden vergast. Meine Frau kam überhaupt nicht ins Lager, sie wurde sofort zur Vergasung geschickt." Auch seine beiden anderen Geschwister überlebten nicht. Er selbst habe den Glauben an eine Rettung verloren und darüber mit seinem Bruder Edgar gesprochen. "Wir kriegen Schaufeln, und dann müssen wir unser eigenes Grab damit machen. Wenn ich einfach nur kurz an den elektrischen Zaun fasse, ist alles vorbei", habe er zu ihm gesagt. "Willst du mich hier allein lassen", habe dieser erwidert. "Da schämte ich mich. Meine pessimistischen Gedanken drehten sich um 180 Grad. Ich dachte, als Ältester ist es meine Pflicht, meine jüngeren Brüder zu beschützen."

Max Mannheimer berichtet den Schülern aber auch von Menschen, die ihm geholfen haben. "Ein SS-Mann, der immer schrecklich brüllte, rief mich zu sich, und erklärte mir, dass er nicht freiwillig hier sei. Er habe noch nie einen Häftling geschlagen, müsse aber so brüllen, damit er nicht auffalle", erzählt er. "Nach einem Vortrag an einer Schule kam eine Geschichtslehrerin mit der Enkelin des besagten SS-Manns zu mir, und erklärte mir, dass ihr Opa vor zwei Jahren gestorben sei. Hätte er noch gelebt, ich wäre am nächsten Tag zu ihm gefahren, und hätte ihm gedankt."

Nach seinen Erzählungen können die Schüler Fragen stellen. "Fragt jetzt, wenn ich nächstes Mal wieder da bin, und ihr mir zuhört, seid ihr durchgefallen," ermutigt er die Neuntklässler. "Wie haben Sie die Verluste ertragen?", traut sich ein Jugendlicher zu fragen. Er habe sich geschworen, nie wieder einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen, antwortet Mannheimer. Als er jedoch eine hübsche junge Deutsche traf, die er später zu seiner zweiten Frau machte, habe er seine Einstellung geändert. "Man muss nach vorne schauen, nicht rückwärts, und optimistisch bleiben." Mit 80 Jahren habe er sich gedacht: "Für was brauch' ich jetzt noch einen Anzug. Letztes Jahr habe ich mir dann einen maßgeschneiderten Anzug gekauft."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: