Grafing:Worten die Schärfe nehmen

Rechtsextremismus-Expertin Nicola Hieke spricht über Migration

Von Thorsten Rienth, Grafing

Es lässt sich wohl mindestens bezeichnend nennen, wenn jemand wie Nicola Hieke, Projektleiterin bei der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus (LKS) das aktuell drängendste Rassismus-Problem gar nicht so sehr beim Rechtsextremismus sieht. Sondern bei einer Einstellung, die die Sozialwissenschaft "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" nennt, einer Art möglichen Vorstufe des Rechtsextremismus. Bei ihrem Vortrag in der Grafinger VHS hat Hieke die Radikalisierung der gesellschaftlichen Mitte ins Zentrum gestellt.

"Rassismus gegenüber Geflüchteten. Hintergründe, Vorurteile und Gegenargumente" titelten die Veranstalter VHS und "Bunt statt braun"-Bündnis den Abend. Vor zwei Jahren noch waren solche Veranstaltungen bestimmt von Fotos von Gesichtern aus der Neonazi-Szene, einschlägiger Symbolik und Warnungen davor, was sich da im braunen Untergrund hinter dem Rücken von Sicherheitsbehörden so alles zusammenbraue. Ein eskalierender Krieg im Nahen Osten und wiederaufflammende Kämpfe in Afghanistan, von wo die allermeisten der in Deutschland registrierten Flüchtlinge seither kamen, haben die Perspektive verändert. "Was da bei uns gerade passiert, da greift der Rechtsextremismusbegriff nicht mehr", sagte Hieke. Im Vergleich zum Vorjahr hätten sich die Brandanschläge auf Asylbewerberunterkünfte verfünffacht. "Die Täter kommen nicht mehr nur aus der Neonaziszene. Das sind ganz oft Leute, die sich plötzlich radikalisiert haben - und bei denen das dann in Gewalt umschlägt."

Auch an anderer Stelle hat sich also etwas zusammengebraut. Für Hieke ist die "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" das bestimmende Stichwort, wenn es um Auslöser von Übergriffen geht. Sie verwies dazu auf die sogenannte Mitte-Studie, einer Befragung, mit der das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung in Bielefeld im zweijährigen Rhythmus die rechtsextremen Tendenzen der deutschen Gesellschaft untersucht. "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden" - dieser Aussage hatten im Jahr 2014 noch 36,6 der Befragten zugestimmt. Zwei Jahre später waren es schon 41,4 Prozent. In deutlich mehr als einem Drittel der Bevölkerung ist demnach ein mehr oder weniger subtiler Rassismus verankert. Kaum denkbar nach Ansicht von Hieke, dass der Anstieg mit einem Anstieg der Flüchtlingszahlen nichts zu tun hätte.

Da stellte sich freilich die Frage nach den Gründen. "Im Prinzip müssten wir doch dort ansetzen, wo die Bequemlichkeit sitzt", argumentierte ein Besucher. "Bei Leuten, die einfach nur ihre Ruhe haben wollen und jetzt Angst haben, dass sie dabei gestört werden." Ob bewusst oder unbewusst, Hieke zufolge ist für deren ablehnende Reaktion auch die Wortwahl der politischen Debatte entscheidend. "Wenn im Zusammenhang mit den Flüchtlingszahlen in Politik und Medien ständig die Rede ist von Flüchtlingswellen, Flüchtlingsfluten oder von 'überrannt werden' - dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Leute das als Bedrohung wahrnehmen."

Um dem entgegenzusteuern seien ernsthafte kommunale Strategien notwendig. Das Schlimmste sei: "Sozial Schwache gegen sozial Schwache auszuspielen - Alleinerziehende gegen Flüchtlinge." Demnach beginne Politik gegen Fremdenfeindlichkeit bei der lokalpolitischen Kultur. "Vor Ort Konkurrenz zu suggerieren, die es so gar nicht gibt, das geht halt gar nicht." Eine Anregung könnte Hieke zufolge auch ein Schulfach "Interkulturelle Kompetenz" sein. Damit schon Jugendliche lernten, dass kulturell Neues nicht pauschal eine Bedrohung bedeute. Dass Dinge nicht immer nur besser oder schlechter sein müssen. Sondern auch einfach nur anders sein können.

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