Grafing:Von Herkunft und Zukunft

Tag der Heimat - Grafing Stadthalle

Abordnungen der Landsmannschaften präsentieren sich beim bayerischen Tag der Heimat. Christian Knauer, Landervorsitzender des Bunds der Vertriebene begrüßt die Gäste. Die Münchner Saitenmusi (r.).

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Für eine respektvolle Erinnerungskultur und ein starkes Europa plädieren die Redner beim bayernweiten Tag der Heimat in der Grafinger Stadthalle

Von Alexandra Leuthner, Grafing

Bürgermeisterin Angelika Obermayr beschäftigte eine zentrale Frage: Beim morgendlichen Sonntagsfrühstück, erzählte sie vor den Gästen des bayerischen Festakts zum Tag der Heimat am selben Nachmittag in der Stadthalle, habe sie eine Diskussion mit ihrem Mann geführt; darüber, was denn Heimat eigentlich bedeute. Hier, wo er wohne, wo er aufgewachsen sei, genau wie seine Kinder, wo seine Freunde wohnen, habe ihr Mann mit großer Überzeugung gesagt, da sei seine Heimat. Für sie jedoch, erzählte die grüne Rathauschefin, sei die Frage längst nicht so einfach zu beantworten gewesen. Ein Elternteil stammt aus Siebenbürgen, der andere aus dem Sudetenland. Man müsse sich klar machen, was es für eine Gesellschaft bedeute, "dass 30 Prozent ihrer Familien woanders her sind". Und da gehe es nicht nur um die Vertriebenen, aber auch um die. Was das für unsere Kultur bedeutet, darüber sollten wir uns in unserer Gesellschaft klar werden, sagte sie, und erntete im Saal großen Applaus.

Die gut 200 Gäste des alljährlichen bayernweiten Festakts, der zum ersten Mal in Grafing stattfand, werden sich - wenn sie sich nicht längst in Bayern heimisch fühlen - zumindest verstanden gefühlt haben. Hatte doch außer Obermayr auch Landrat Robert Niedergesäß auf seine Wurzeln im heutigen Polen und Tschechien verwiesen. Der Name Niedergesäß, erklärte er, sei keinesfalls oberbayerisch sondern stamme aus der oberschlesischen Heimat seines Vaters, der als Zwölfjähriger am Ende des Zweiten Weltkriegs ohne die Eltern floh und zur Schwester nach München gekommen war. Er selbst, der in Vaterstetten aufgewachsen ist, habe die Heimat seines Vaters zwar noch niemals besucht, sei aber doch mittlerweile der Schlesischen Landsmannschaft beigetreten. Was den Landkreis Ebersberg angeht, so machte er den Einfluss der Vertriebenen, die sich hier angesiedelt haben, ganz konkret an der Ebersberger Wohnungsgenossenschaft fest. Sie habe, erzählte er, vor kurzem ihr 70-jähriges Bestehen gefeiert. Gegründet worden sei sie auf Initiative von Vertriebenen, die sich zusammen getan und dafür gesorgt hatten, dass 1950 die ersten Familien in Genossenschaftswohnungen einziehen konnten. Heimat, zitierte er, sei da, "wo wir unseren Lebensfaden festmachen."

Den Blick über den Landkreis hinaus richteten die weiteren Redner des Nachmittags, der Staatssekretär im Sozialministerium und MdL Johannes Hintersberger (CSU) und der Präsident des Bunds der Vertriebenen Bernd Fabritius. Fabritius hatte sein Abitur 1983 in Hermannstadt gemacht, im heutigen Rumänien, und kam erst in den achtziger Jahren nach Bayern, wo er schon bald begann, sich für Aussiedler, Vertriebene und deutsche Minderheiten zu engagieren. Als CSU-Mitglied sitzt er unter anderem im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe. "Wir empfinden Heimat in Gemeinschaft, ganz gleich, wo wir leben", erklärte er. Und so sei der Bund der Vertriebenen seit Jahrzehnten ein Fixpunkt in der deutschen Gesellschaft für alle Vertriebenen und Spätaussiedler geworden. Ihre Erfahrungen seien schrecklich und ihre Vertreibung aus Schlesien, Pommern, Ost- und Westpreußen, Danzig und anderen Orten seien nichts anderes als ethnische Säuberungen gewesen, betonte er unter anderem mit Blick auf die Armenienresolution des Bundestags und die Türkei. Wo es wünschenswert wäre, sagte er, "wenn auch dort bei den Tätern eine Erkenntnis wachsen würden." Aus den deutschen Erfahrungen müsse sich eine zukunftsgewandte Politik ableiten. Europa müsse aber auch in mancher Hinsicht entschiedener werden, wenn es darum gehe, künftige Vertreibungen zu verhindern, denn "schlimmer als Vertreibung ist nur noch Völkermord". Eine Warnung richtete er auch an die Regierung in Polen und Forderungen nach Reparationszahlungen. Wer ständig am europäischen Dach zündle, bringe die europäische Einheit in Gefahr. Eine Einheit, der man auch verdanke, "dass wir heute in unsere alte Heimat reisen und dort, wenn wir wollen, Grund und Boden besitzen können."

Auf die Bedeutung einer Erinnerungskultur wies Staatssekretär Hintersberger hin. "Ohne Herkunft keine Zukunft", sagte er und schlug damit gewissermaßen einen Bogen zu den Worten der Grafinger Bürgermeisterin. Aber auch das Gespür der Vertriebenen für den Wert eines Lebens in Freiheit und Demokratie strich er heraus. Der BdV-Präsident rief die Gäste abschließend dazu auf, am kommenden Sonntag keine Partei zu wählen, die den Extremismus am rechten oder linken Rand bediene. "Haut-ab-Gebrüll und Pöbeleien, das repräsentiert uns Heimatvertriebene nicht."

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