Grafinger Turmstube:Verheißung im Kleinformat

Grafinger Turmstube: Zur Eröffnung der Turmstube in der Stadthalle mit einem bunten Kabarettmix zeichnet der Sender TV München den "Stammtisch" von Christopher Griebel mit Grafings erster Bürgermeisterin Angelika Obermayr auf.

Zur Eröffnung der Turmstube in der Stadthalle mit einem bunten Kabarettmix zeichnet der Sender TV München den "Stammtisch" von Christopher Griebel mit Grafings erster Bürgermeisterin Angelika Obermayr auf.

(Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Die Eröffnung der Grafinger Turmstube mit Stefan Kröll, Tom Bauer, Franziska Wanninger und Michi Dietmayr lässt auf den Beginn einer neuen Kabarett-Ära in Grafing hoffen

Von Anja Blum, Grafing

Was für eine Premiere! Am Donnerstag hat die Turmstube in Grafing unter dem Motto "Vier im Turm" mit der ersten "Mixed Show" ihre offizielle Eröffnung gefeiert - und der Abend war eine Verheißung. Die neue Kleinkunstbühne solle eine Art "Defibrillator" für die Stadthalle sein, sagte Bürgermeisterin Angelika Obermayr (Grüne), man hoffe, dass sie helfe, den defizitären Saal wiederzubeleben. Nun, nach der ersten Show, kann man sagen: Die Chancen dafür, dass dieses Konzept aufgehen kann, stehen gut.

Denn am Donnerstag war die Turmstube das, was sie früher war und - geht es nach dem neuen künstlerischen Leiter der Stadthalle, Sebastian Schlagenhaufer - auch wieder werden soll: ein Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens. In vollem Haus wurde geratscht, getrunken, gegessen und, vor allem, viel gelacht. Als Chef de Cuisine kredenzte Schlagenhaufer seinen Gästen ein Vier-Gänge-Menü aus delikaten Kleinkunst-Häppchen. "Ich danke vor allem den Künstlern, denn sie haben mir vertraut", sagte er, selbst Schauspieler, Autor und Kabarettist, in seiner kurzen Begrüßung. Schließlich ist eine Mixed Show für beide Seiten ein Experiment: Die Zuschauer wissen nicht, wer oder was sie auf der Bühne erwartet - das macht den Abend auch für die Künstler weniger kalkulierbar. Außerdem können sie nicht einfach ihr Programm abspulen, sondern müssen sich auf etwa 20 Minuten beschränken. Andererseits sind derartige Veranstaltungen eine Gelegenheit, Werbung in eigener Sache zu machen.

Die Zusammenstellung des Programms hätte besser nicht sein können

Diese Chance bestens genutzt haben am Donnerstag in der Turmstube der Kabarettist Stefan Kröll, Tom Bauer mit seinem Musicalkabarett "Oschnputtl", die Kabarettistin Franziska Wanninger sowie Liedermacher Michi Dietmayr. Die Conférence des Abends übernahm, "spritzig und charmant" wie angekündigt, Schlagenhaufers Bühnen-Kompagnon Ferdinand Maurer, dessen Moderation allerdings überzeugender war als seine kabarettistischen Einlagen. Er führte durch ein Programm, dessen Zusammenstellung besser nicht hätte sein können: Es bot einerseits, schon allein durch verschiedene Genres und Temperamente, reichlich Abwechslung, andererseits fügte es sich auch wie von selbst zu einem großen Ganzen, denn den Künstlern ist eines gemein: das Idiom und der Humor Bayerns.

Kröll stammt aus Feldkirchen-Westerham, seinen Auftritt in Grafing bezeichnete er als "Heimspiel", sein aktuelles Programm nennt sich "Projekt Minga". In klassisch-unaufgeregter Kabarett-Manier reiht er ganz nach dem Motto "Also das ist schon interessant. . . " Beobachtungen aus dem Alltags aneinander, erzählt zum Beispiel von den U-Bahn-Selten-Fahrern, die man sofort am intensiven Studium des Streckenfahrplans erkenne, macht sich lustig über die Fotomania der Smartphone-Besitzer - "Schau mal, da ist bei uns im Garten eine Gießkanne umgefallen!" - oder über feine Pinkel aus Bremen, die nach ihrer ersten Goaßnmaß, auf Ex gar nicht mehr so fein sind. Der rote Faden bei Kröll lautet: "Wir vom Land".

Ihm nach folgt in der Grafinger Mixed Show Tom Bauers "Oschnputtl": Der Musiker hat aus dem Märchen ein Musical gemacht, bajuwarisiert, gereimt und modernisiert. "Hier erfahren Sie alles, was die Grimms vergessen haben", verspricht er. Da die Turmstube jedoch zu klein ist für eine Musicalaufführung, hat Bauer an diesem Abend eine abgespeckte Fassung im Gepäck: Mit Eva Petzenhauser und Sebastian Hagengruber bringt er sein "Oschnputtl" als musikalisches "Erbsenkabarett" auf die Bühne. Bauer gibt den Erzähler und spielt Klavier, seine beiden Darsteller spielen und singen diverse Rollen. Dabei zeigen alle drei eine solche Verve, dass es eine Freude ist. Vor allem im Duett der "gefürchteten Stief-Schwestern" (so der Nachname) brillieren Hagengruber und Petzenhauser mimisch wie stimmlich als versnobte Zicke und Prolltussi.

Das Publikum ist an diesem Punkt bereits begeistert, doch nach der Pause legt die Mixed Show stimmungstechnisch sogar noch einen drauf: Zunächst beglückt Franziska Wanniger, eine junge, aufstrebende Kabarettistin aus dem Landkreis Altötting, mit Auszügen aus ihrem zweiten Programm "AHOI-be - (für Norddeutsche: "eine Halbe") guad ist guad gnua". Und beweist damit vor allem, dass sie ein Energiebündel und eine großartige Schauspielerin ist. Schon allein das schiache G'schau, das Wanninger als Bürgermeister von Schnecklreit aufsetzt, provoziert laute Lacher, bevor überhaupt ein Wort gesprochen ist. Inhaltlich reitet sie mit dieser Figur von der Vetternwirtschaft durch den Kreistag bis zur Thermomixparty - dem neuen Hobby des Rathauschefs. "Kennst Du die Psyche der Hausfrau, kennst du auch die des Wählers!" Ein absolutes Highlight aber ist das Lied "Ahoi-be", mit dem sich Wanniger "für die Aida bewirbt": ein wunderbares Stück Musikkabarett über den Kreuzfahrtwahnsinn mit schmissigem Rap, krudem Tanz - und Ohrwurmpotenzial.

Der letzte Künstler des Abends, Michi Dietmayr, steht normalerweise mit seinem Trio "Drei Männer nur mit Gitarre" auf der Bühne, doch die Turmstube bespielt er solo - mit Liedern, die es in sich haben. Tiefgang darf man von ihm nicht erwarten, dafür aber viel Böses, das nicht immer zitierfähig ist, und köstliche Alltagsbeobachtungen. So singt er von einem hürdenreichen Sachsen-Quickie, oder vom sprachlich nicht unkomplizierten Verhältnis zum pubertierenden Nachwuchs: "Ruf mich nicht an, auch wenn du mich vermisst, sonst sag ich meinen Homies, dass du ein Spacko bist!"

Schlagenhaufer hat zwar das Format der Mixed Show nicht erfunden, doch er hatte die Idee und den Mut, diese nach Grafing zu holen. Und er hat der Kleinkunst in der Stadt zu einem würdigen räumlichen Rahmen verholfen. Bleibt zu hoffen, dass die Grafinger dies zu schätzen wissen und die Turmstube regelmäßig und zahlreich bevölkern. Fest steht: Wer bei den Mixed Shows jeden ersten Donnerstag im Monat kein Stammgast wird, ist selber schuld. Das nächste Mal "Vier im Turm" heißt es am 5. November.

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