Grafing und Kirchseeon: Lärm durch Bahn:"Da wackelt das Geschirr im Schrank"

Die Lärmbelastung an der Bahnstrecke Richtung Rosenheim übertrifft bereits die Prognosen - Anwohner fürchten, dass sich die Situation noch verschärft.

Barbara Mooser

Demnächst plant Ludwig Steininger einen Besuch bei der Außenstelle des Eisenbahn-Bundesamts in München. "Da werde ich wohl drei Speicherkarten mitnehmen müssen", sagt der 55-Jährige und lächelt. Längst hat er es aufgegeben, Dokumente auf Papier zu kopieren. Statt dessen setzt Steininger auf Digitalfotografie. Denn sein Ziel ist es, Daten zu sammeln - alles, was ihm weiterhilft, bei seinem Kampf gegen den Bahnlärm in Kirchseeon.

Versuchter Anschlag auf Bahnstrecke Oranienburg-Neustrelitz

Der Lärm an der Bahnstrecke übertrifft bereits jetzt alle Prognosen aus früheren Planfeststellungsverfahren. Doch der französische Konzern Veolia plant sogar noch eine Ausweitung des Güterverkehrs.

(Foto: dapd)

Seit 1965 wohnt er an der Strecke, das Haus hat damals sein Vater - selbst ein Eisenbahner - gebaut. Damals gab es nur ein Gleis, später kam ein zweites hinzu. Seit den neunziger Jahren sind es vier Gleise, die dicht neben dem Grundstück hinter einem Lärmschutzwall vorbeiführen. Der Verkehr hat ständig zugenommen. "Schlimm sind vor allem die Güterzüge abends und nachts", sagt Ludwig Steininger. "Keiner hier sitzt im Sommer abends noch draußen oder macht eine Gartenparty. Das kann man den Gästen einfach nicht zumuten."

Wie ihm geht es auch vielen anderen Anliegern an der Bahnstrecke - von Vaterstetten bis Grafing. "Die Güterzüge sind wirklich furchtbar - da wackelt das Geschirr im Schrank", erzählt etwa Irmgard Hein, die im Grafinger Ortsteil Schammach wohnt. Im Winter, sagt sie, könne man nachts bei geschlossenen Schallschutzfenstern ja noch ganz gut schlafen. "Im Sommer wird's dann wieder anders, da kann man die Fenster nicht dauernd zumachen." Immerhin, sagt Irmgard Heim, könne man sich in ihrem Garten, der etwa 50 Meter von den Gleisen entfernt liegt, noch unterhalten, wenn die Züge vorbeifahren. "Meine Tochter wohnt direkt dran, da versteht man dann nichts mehr."

Tatsächlich übertrifft der Lärm entlang der Strecke bereits jetzt sämtliche Prognosen, wie sie im Planfeststellungsbeschluss für Kirchseeon aus dem Jahr 1994 enthalten waren. Diese Informationen hat Ludwig Steininger aus offizieller Quelle: vom Eisenbahnbundesamt. Dieses hat die Daten im Zuge des Planfeststellungsverfahrens für einen Neubauabschnitt der Strecke bei Ostermünchen öffentlich gemacht.

Und an der Bahnstrecke Richtung Rosenheim ist das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Wie berichtet, plant der französische Konzern Veolia, der vom Dezember 2013 an die Strecke bedient, eine Ausweitung des Angebots. Im Güterverkehr sind laut Bahn-Sprecher Franz Lindemair die Gleise zwar "gut ausgelastet", eine Aufstockung wäre bei Bedarf trotzdem noch möglich: "Wenn die Konjunktur brummt, fahren auch mehr Züge." Und dann gibt es ja noch die Pläne, weitere zwei Gleise als Zubringerstrecke für den Brenner-Basistunnel durch den Landkreis zu bauen - bis Grafing im Tunnel, danach oberirdisch. Ludwig Steininger befürchtet, dass dort nur schnelle Züge und ICE fahren werden - und die bestehende Strecke mit noch mehr lauten Güterzügen belastet würde.

Gegen den entstehenden Lärm sind die Bürger entlang der Strecke recht unterschiedlich geschützt: Pech hatten die Gemeinden nahe der Landeshauptstadt, in denen die Gleise zuerst gelegt wurden - sie profitieren nicht von einer Gesetzesverschärfung, die bei bestimmten Grenzwerten Lärmschutzmaßnahmen vorschreibt. "Nur wenn an der Strecke etwas neu gebaut oder verändert würde, wäre die Bahn wieder in der Pflicht", erläutert Klaus Hugo, Leiter des Arbeitskreises Verkehr der Vaterstettener Agenda, der bei der Bahn jahrelang für Lärmschutzmaßnahmen zuständig war.

Der Bund habe zwar ein Sanierungsprogramm für ältere Strecken aufgelegt, dies sei aber eine freiwillige Leistung. Immerhin: Vaterstetten erhielt im Zuge dieses Programms Lärmschutzwände. "Aber dahinter ist es auch nicht unbedingt leise", konstatiert Hugo. "Es ist ruhiger geworden, nicht leise", stimmt Vaterstettens Bürgermeister Robert Niedergesäß zu: "Bahnlärm ist in unserer Gemeinde nach wie vor ein großes Thema." Auch andere Bürgermeister von Gemeinden entlang der Bahn hören oft Klagen über die lauten Züge.

In Zorneding, sagt Bürgermeister Piet Mayr, gebe es zwar teilweise Lärmschutzwände. "Aber das Problem ist die Nordseite, nach Pöring rüber." Bisher seien hier Vorstöße für verbesserten Lärmschutz bei der Bahn erfolglos geblieben. In Grafing ist die Situation nach Angaben von Bürgermeister Rudolf Heiler vor allem in den Ortsteilen Grafing-Bahnhof, Schammach und Oberelkofen kritisch: "Hier haben wir die Bahn auch aufgerufen, etwas für den aktiven Lärmschutz zu tun."

Dabei ist die Belästigung durch Lärm nach Ansicht von Ludwig Steininger generell nur eine Seite der Medaille: "Es geht nicht nur darum, dass man nachts mal aufwacht oder sich wegen des Lärms nicht richtig unterhalten kann. Es geht auch um ganz konkrete ökonomische Aspekte." Denn die Häuser entlang der Bahn verlören an Wert, schon jetzt seien die Preise auf einem deutlich niedrigeren Niveau als in der Umgebung. "Erst vor kurzem wurde ein Haus wie unseres in der Nachbarschaft für 300.000 Euro verkauft. Dafür kriegt man anderswo noch nicht einmal eine Eigentumswohnung", sagt Steininger.

Fachleute bestätigen seine Einschätzung. "Die Bodenrichtwerte an der Bahn oder der B304 liegen um 25 bis 30 Prozent unter denen in anderen Lagen", sagt Thomas Berberich, Immobilienfachmann vom Kirchseeoner Büro Weidlich, das entlang der gesamten S4 Objekte im Angebot hat. Dass die Objekte an der Bahn trotz des Lärms insgesamt immer wieder gut weggehen, liege einfach daran, dass sie deutlich preisgünstiger seien als andere Häuser und Wohnungen im Landkreis.

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