Grafing:Kriminalistische Milieustudie

Grafing: Alles klar, Herr Kommissar? Zur TV-Tatort-Sendezeit liest Udo Wachtveitl, von Musikern und einem Sprecher begleitet, in der Grafinger Stadthalle.

Alles klar, Herr Kommissar? Zur TV-Tatort-Sendezeit liest Udo Wachtveitl, von Musikern und einem Sprecher begleitet, in der Grafinger Stadthalle.

(Foto: Christian Endt)

Tatort-Kommissar Udo Wachtveitl begibt sich in Grafing auf die Spuren von Inspektor Kajetan

Von Peter Kees, Grafing

Sonntag Abend ist Tatort-Zeit. Seit 1991 heißen die Münchner Kommissare Ivo Batic und Franz Leitmayr alias Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl. Letzterer löste vergangenen Sonntag just zur Tatortzeit statt in Münchens Unterwelt in der Grafinger Stadthalle den einen oder anderen Fall, allerdings nur literarisch. Unter dem Titel "Mörderisches Bayern" las er Ausschnitte aus drei Kriminalromanen des Münchner Autors Robert Hültner.

Auf der Bühne sitzen neben Udo Wachtveitl der Schauspieler und Regisseur Hans Kriss, der Akkordeonist Andreas Koll, der Posaunist Sebastiano Tramontana sowie der Schlagzeuger Erwin Rehling. Mit den ausgewählten Texten aus den Romanen "Walching", "Inspektor Kajetan und die Sache Koslowski" und "Die Godin" wolle man, so Wachtveitl, ein Porträt der Romanfigur dieser Bücher, Paul Kajetan, bayerischer Kriminalinspektor in den 1910er und 20iger Jahren, zeichnen. Es geht also nicht ums Mitfiebern und auch nicht darum, den Mörder zu erraten.

Bayerisch angehauchte, jazzige Klänge, ein flinkes Xylofon, eine schräge Posaune und ein listiges Akkordeon leiten die Geschichten ein. Tramontana improvisiert dabei wild, schrill und witzig. Nach der musikalischen Ouvertüre entführt Udo Wachtveitls Stimme das Publikum in die Münchner Slums des Jahres 1919, in die Au, später auch aufs Land nach Oberbayern. In sonorem Erzählton beschwört der Schauspieler das Bild eines brennenden Hauses, man ahnt die zeitliche Rückblende und begegnet immer wieder plastisch gestalteten Romanfiguren, denen Wachtveitl Charakter und Stimme verleiht.

Und da taucht auch schon die Hauptfigur auf: Paul Kajetan. In einzelnen Fragmenten wird im Laufe des Abends dessen Werdegang angedeutet. Der Kommissar verliert irgendwann seine Stellung, landet selbst im Gefängnis, ehe seine Geliebte unerwartet stirbt und er sich um die Aufklärung ihres Todes bemüht - und dabei bemerkt, dass seine Entlassung eigentlich ein Fehler war. Kommt er zurück in den Dienst? Das wiederum ist eine andere Geschichte, die an diesem Abend nicht erzählt wird. Die Antwort bleibt offen.

Bemerkenswert in den vorgetragenen Episoden ist die zeitliche Konnotation: die Räterepublik und die politischen Spannungen nach dem Ersten Weltkrieg sind darin verwoben. Man fühlt sich als Zuhörer hineinversetzt in jene Zeit. Das ist aber nicht nur der wandlungsfähigen Stimme des Fernsehkommissars zu verdanken, sondern auch der Sprachgewalt des Autors, des 1950 geborenen Robert Hültner.

Die gelesenen Ausschnitte bleiben allerdings Fragmente, es sind einzelne Kapitel ohne zwingende Struktur. Um so willkommener sind da die verbindenden Worte von Hans Kriss, der die Textstellen und deren Zusammenhänge erklärend zusammenbaut.

Dass hier drei Musiker mit von der Partie sind, ist wunderbar. In den Lesepausen führen sie Tanzbodenmusik auf, zaubern einfallsreiche Ein- und Überleitungen und spielen dabei mit waghalsiger musikalischer Akrobatik. Auch sie bebildern die literarischen Szenen, agieren mitunter als Geräuschemacher, bilden aber auch eine eigene Ebene. Was Sebastiano Tramontana dabei aus seiner Posaune herausholt, ist phänomenal: Töne, Luft, ach was: musikalische Anarchie.

Fast werden die üblichen 90 Minuten Tatortformat eingehalten. Es ist jedoch ein Krimiabend, der so gar nichts mit dem zeitgleich laufenden Film zu tun hat, trotz eines persönlich anwesenden Tatortkommissars.

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