Bouldern in Grafing:Hoch hinaus

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Nina Schwenkert und Marcell Berg in Aktion in der vereinseigenen Boulderhalle. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Der Grafinger Verein "Leben bewegt" hat ein eigenes Refugium bezogen, eine Boulderhalle. Dort bietet er vor allem Kletterkurse an, aber auch andere Aktivitäten sind geplant

Von Anja Blum, Grafing

"Das Leben besteht in der Bewegung", hat schon der große Aristoteles erkannt. Ob der griechische Philosoph daraus allerdings dieselben Konsequenzen gezogen hat wie die Menschen hinter dem Grafinger Verein "Leben bewegt" - nämlich, dass mehr Bewegung mehr Leben bedeutet - ist nicht überliefert.

Die Vereinschefs Nina Schwenkert und Marcell Berg jedenfalls haben dieses Motto zu ihrer Mission gemacht, seit einigen Jahren bringen sie Kinder, Jugendliche und ganze Familien "in Bewegung". Ihr Hauptgeschäft ist dabei das Klettern beziehungsweise Bouldern, eine Sportart, die derzeit boomt - auch in Grafing. Deshalb hat der Verein nun einen großen Schritt gewagt, den Umzug vom DAV-Gebäude am Bahnhof in ein eigenes Refugium: Es befindet sich in einem großen Industriegebäude in der Thomas-Mayr-Straße, im bislang leer stehenden ersten Stock haben Schwenkert, Berg und Co. eine Boulderhalle eingerichtet.

Die Räume dienen aber auch als Büro und Vereinsheim. "Endlich haben wir die Entfaltungsmöglichkeiten, die wir brauchen", schwärmt die Vorsitzende, sowohl sportlich als auch sozial. "Hier müssen wir uns nicht mehr nach irgendwelchen Zeitfenstern richten, sind als Verein in der Stadt sichtlich präsent und können auch mal ein Fest feiern - das ist perfekt."

Jonathan trägt noch Pampers, hängt aber auch schon in der Wand. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Etwa 300 Quadratmeter stehen dem Verein hier zur Verfügung, eine breite Fensterfront lässt viel Licht herein und gibt den Blick über Grafing frei. Die Boulderwände, die sowohl senkrechte als auch schräge Flächen bieten, sind drei Meter hoch, daran befestigt sind zahllose bunte, kleine und größere Griffe. "Die Kinder klettern meist Smarties", erklärt Schwenkert und lacht, "aber eigentlich zeigen die Farben an, wo es weiter geht, so dass man verschiedene Schwierigkeitsgrade wählen kann".

Auf manche der Griffe durften Kinder ihre Namen schreiben - als Dank für eine Spende zur Eröffnung der Halle. Am Boden unter den Kletterwänden liegen überall dicke Matten. "Die Verletzungsgefahr ist nicht sonderlich hoch", sagt Berg, allerdings hätten aus versicherungstechnischen Gründen nur Mitglieder Zutritt zur Boulderhalle. Drei Vormittage und drei Abende pro Woche sowie an manchen Wochenenden steht sie offen, die Nachmittage sind für die Gruppen reserviert.

70 Kinder stehen auf der Warteliste

Etwa 180 Menschen trainieren derzeit in 26 Gruppen bei "Leben bewegt", die Altersspanne reicht von knapp drei Jahren bis hin zu Erwachsenen. Die Hauptklientel aber sind die Vier- bis Neunjährigen. "Da rennen uns die Eltern die Bude ein, weil es für die Jüngeren hier in Grafing nur wenige sportliche Angebote gibt", freut sich Berg. Auf der Warteliste stünden derzeit 70 Kinder - und das, obwohl der Verein nur über Mundpropaganda von sich Reden macht. Gerne würden Schwenkert und Berg schnell weitere Gruppen gründen, doch sei es auf dem Land leider schwierig, Trainer zu finden. "Und wir selber können einfach nicht noch mehr machen."

Schwenkert und Berg schätzen am Bouldern mit Kindern vor allem den hohen zwischenmenschlichen Faktor, wie sie sagen. "In diesen Kursen ist man in einem Haufen ganz nah beieinander, lernt voneinander, hilft sich, feuert sich an", erklärt Berg. "Da können sich soziale Kompetenzen ganz toll entwickeln." Vor allem auch, weil die Angebote des Vereins integrativ und inklusiv sind: Die Teilnehmer sind Menschen mit und ohne therapeutischen Hintergrund, erstere machen etwa 25 Prozent aus. "Wir haben zum Beispiel viele Kinder mit einem erhöhten Bewegungsdrang, landläufig ADHS genannt, aber auch einige mit körperlichen Beschwerden", sagt Schwenkert. Das könne eine schiefe Hüfte sein, Kleinwüchsigkeit oder eine falsche Fußstellung. "Klettern ist einfach gut - für den Körper und den Geist."

Die Kurse von "Leben bewegt" sind durchlaufend organisiert, das heißt, die Kinder werden im besten Fall miteinander groß. Hört jemand auf, rückt ein Teilnehmer von der Warteliste nach. Dies sei jedoch kein Problem, da bei "Leben bewegt" ganz spielerisch, ohne Druck geklettert werde, sagt Schwenkert. "Außerdem hat man bei Gruppen von maximal acht Teilnehmern die Möglichkeit, auf alle einzugehen." Ein Kurs kostet 96 Euro pro Quartal, hinzu kommt ein Mitgliedsbeitrag.

Gegründet hat "Leben bewegt" im Jahr 2009 Christian Schmidt aus Ebersberg, Physiotherapeut, dreifacher Vater und selbst begeisterter Kletterer. Der Vereinssitz war damals noch in der Kreisstadt, das Angebot beschränkte sich auf zwei Klettergruppen, die Schmidt in der Halle des Alpenvereins (DAV) in Grafing anbot. Bereits wenig später stießen Schwenkert und Berg hinzu - mit ihnen stieg die Zahl der Kurse schnell auf neun. "Seitdem wird der Verein kontinuierlich größer", sagt die heutige Vorsitzende und strahlt übers ganze Gesicht. Gründer Schmidt ist zwar noch als Mitglied aktiv, hat sich aber aus beruflichen Gründen aus der Vorstandsarbeit zurückgezogen. Schwenkerts Stellvertreter ist ihr Lebensgefährte Marcell Berg, die dritte im Bunde, Verena Freimann, kümmert sich um die Kasse.

"Leben bewegt" ist ein gemeinnütziger Verein, für Schwenkert, 40, und Berg, 43, jedoch hat er sich im Laufe der Zeit zur Lebensgrundlage entwickelt. Beide haben ihre ursprünglichen Berufe - sie Landschaftsarchitektin, er Informatiker - aufgegeben, sich in vielfältiger Weise weitergebildet und verdienen heute ihr Geld als selbständige Klettertrainer. Insofern ist es dem Paar durch die ehrenamtliche Vereinsarbeit gelungen, seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Seit zehn Jahren leben der Mainzer und die Landshuterin nun in Grafing, ihre Töchter Zoe und Amelie hängen - wen wundert's? - auch schon sehr gerne in der Wand.

Das Paar hat seine ursprünglichen Berufe aufgegeben, um sich seinen Lebenstraum zu verwirklichen. (Foto: Photographie Peter Hinz-Rosin)

Die Zusammenarbeit soll auf Kindergärten ausgeweitet werden

Die Begeisterung der Eltern für Bewegung beschränkt sich indes nicht nur auf das Klettern. "Der Verein soll eine Plattform sein für alle möglichen Aktivitäten", sagt Schwenkert, zum Beispiel biete man einmal im Jahr einen Kinderzirkus in Ebersberg an. "Wir sind da für alles offen." Die Vereinschefs selbst würden zum Beispiel sehr gerne ein Angebot im Bereich der Psychomotorik wiederbeleben, das es bereits einmal gegeben habe - allein, es mangele an einem Experten dafür. Konkret in Planung sind bereits zwei andere Kurse: ein Parcours-Training und ein Angebot namens "Theater macht stark". Wann es damit losgeht, ist allerdings noch ungewiss. Außerdem wollen Schwenkert und Berg künftig mit Kindergärten zusammenarbeiten. "Wir möchten gerne Erzieherinnen schulen, so dass sie mit kleineren Gruppen einfach hierher kommen, klettern und spielen können." Man sieht also: Hier ist viel in Bewegung, auch hinter den Kulissen.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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