Grafing:Ein Familienbetrieb der besonderen Art

Annabelle Imhoff Bestatterin

Zunächst wollte Annabelle Imhoff beruflich einen anderen Weg gehen, nun sind sie und ihre Mutter Angela Kolleginnen.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Annabelle Imhoff hat die Fachprüfung zur Bestatterin bestanden. Nun tritt die 26-Jährige in die Fußstapfen von Mutter Angela

Von Victor Sattler, Grafing

- Schüler und solche, die es waren, kennen das mulmige Gefühl: Kurz bevor man den Papierbogen aufschlagen darf, fragt man sich, was sich der Prüfer wohl für einen ausgedacht hat. Genauso gespannt waren auch Annabelle Imhoff und ihre Mitschüler im Januar, als sie in Düsseldorf ihr Können unter Beweis stellen mussten. Dieser Moment der Wahrheit war aber keine Funktionsgleichung und kein Brechtsches Drama - sondern der Körper eines Verstorbenen.

"Eine Frau als Bestatterin? Innovativ und modern", heißt es auf der Website der Imhoffs unter einem Foto von Annabelle, Seite an Seite mit Mutter Angela Imhoff. "Annabelle hatte schon vorher alle Befugnisse, hier", sagt Angela. Aber das Zeugnis aus der Fachprüfung erlaube ihr nun ein selbstbewussteres Auftreten, zum einen im Umgang mit Kunden, vor allem aber bei den Behörden. "Vor ihrer Ausbildung war es alles von der Mama gehört, die Mama hat es halt so gesagt", lacht Angela.

Dass Mama manchmal auch Recht hat, dessen konnte sich Annabelle nun auf der Bestatterschule vergewissern. Sechs Monate lang lernte sie in sechs Modulen alles über geltendes Recht, Praktiken der verschiedenen Weltreligionen, Betriebswirtschaftslehre und Hygiene. Am 24. Januar trat sie zur praktischen Prüfung an, in der sie einen Verstorbenen für die Verabschiedung herrichtete, wie es im Lehrbuch steht. Dazu gehört die Desinfizierung und Waschung, aber auch das Ankleiden und Schließen von Körperöffnungen, wie etwa die Fixierung des Mundes.

Ihren ersten Verstorbenen hatte sie als 16-Jährige gesehen. Damals hatte die Neugier gesiegt und sie wollte ihre Mutter gern dabei begleiten - nur mal gucken, natürlich. "Ich stand also in dem Gang", erzählt Annabelle. "Und ich bin schrittweise immer näher gegangen, ganz kleine Schritte an den Sarg ran - und irgendwann war ich dann da." Seitdem ist das ein selbstverständlicher Teil im Leben dieser beiden Frauen. Sie sind die einzigen zwei Bestatter mit Fachabschluss in Grafing.

Während Annabelle in Düsseldorf mit einem fremden Körper beschäftigt war, verstarb zu Hause ihre Großmutter, genau zwischen zwei Prüfungen. Das war für die junge Frau vom Fach das erste Mal in 26 Lebensjahren, dass sie den Verlust eines Angehörigen verschmerzen musste. "Auch wir sind gegen den Tod nicht gefeit", sagt Mutter Angela. "Treffen tut es uns alle mal." Sie wollte noch warten mit der Nachricht für ihre Tochter, aber die Kunde kam schon ganz unverblümt von einer Freundin, über Whats App. Da habe Annabelle, frisch aus der Prüfung, vom Bahnhof Düsseldorf zu Hause anrufen müssen: "Mama, stimmt das?"

So schmerzlich der Verlust war, so habe er den beiden Frauen doch eine neue Perspektive eröffnet, sind sie sich sicher. "Mir fiel es immer schwer, wildfremden Leuten mein Beileid auszusprechen", erzählt Annabelle. "Dann habe ich bei Oma gemerkt, dass diese zwei Worte wirklich wohltun und dass man die Anteilnahme darin spüren kann." "Eine ganz eigene Erfahrung", fügt Mama Angela hinzu. Sie sei immer bemüht gewesen, sich den direkten Bezug zu erhalten, auf keinen Fall abzustumpfen. Nicht zuletzt deswegen würden die beiden regelmäßig Abholungen fahren - unmittelbar dabei im Zuhause, im Krankenhaus oder Seniorenheim. So bewahre man sich die Empathie. Und das sei wichtig, wenn man den Angehörigen Zeit geben wolle, um ohne Drängen ihren Frieden zu machen. So hat die Verabschiedungshalle der Imhoffs auch einen separaten Eingang; damit Familie und Freunde mit dem Sarg gänzlich ungestört bleiben können.

Angela Imhoff ist neben ihrer Arbeit als Bestatterin auch Trauerrednerin. "Viele sagen: Der Opa war ja eigentlich gar nicht jeden Sonntag in der Kirche. Wir hätten lieber Sie, Frau Imhoff, das wäre in seinem Sinne", erzählt sie. Der Wunsch nach weltlichen Trauerfeiern nehme heutzutage stetig zu. Sie könne aber auch - wenn der Tote aus der Kirche ausgetreten war und seinen Anspruch auf eine Messe verloren hat - ihre Rede "religiös anhauchen".

Ähnlich vielgestaltig sind die Bestattungsformen. Der Trend gehe hin zur Einäscherung, weg von der Erdbestattung. Und mit der Asche lässt sich noch viel Persönliches anfangen: Seebestattung sei hier zwar seltener - "wir haben nicht nah am Wasser gebaut", sagt Angela mit einem Zwinkern -, aber die regionale Baumbestattung erfreue sich im Landkreis großer Beliebtheit. Glamouröser mögen es jene, die die Kremierungsasche in der Schweiz zu einem bläulichen Diamanten veredeln lassen. Eine Dame trage ihren Vater nun als Ring am Finger. "Der Papa war so ein richtig kräftiger Papa", erinnert sich Angela. "Ja, plötzlich war der dann nur noch so ein kleiner Diamant. Der Tochter sind die Tränen gekommen, als ich den Papa-Diamanten reingebracht hab."

Die Imhoffs legen Wert darauf, jedem den Abschied zu ermöglichen, den er sich wünscht - da gäbe es kein richtig oder falsch. Eines stand für sie bei ihrer eigenen Oma aber fest: "Wenn wir doch alle Bestatter sind, wollte ich gern, dass wir's bei ihr selber machen - nicht die Mitarbeiter", sagt Angela. "Das war uns ein Bedürfnis", nickt auch Annabelle. Folglich haben sie als Familie selbst den Sarg getragen und in die Erde runter, ins Grab eingelassen.

Ob Annabelle ihrer Mutter in den Beruf der Bestatterin folgen wolle, sei zwischen den beiden nie ein Thema gewesen. "Ich hätte mir doch ein Anspruchsdenken nie angemaßt", betont Angela. "Viele Kinder sagen: Jaja, mach ich schon mal. Aber ich schätze mich glücklich und ich werde darum beneidet, dass meine Nachfolge nun wirklich gesichert ist." Genug Bekannte gäbe es, bei denen es mit dem Familienbetrieb nicht so richtig klappen wolle.

Für eine Weile sah es auch bei den Imhoffs nicht so aus, als würden die beiden Frauen Kolleginnen. Denn Annabelle hatte nach der Schule eine Ausbildung zur Handelskauffrau absolviert und nach dem Abschluss als Golfbetriebsmanagerin gearbeitet, bis sie 22 war. Abends habe sie dann mit ihrer Mutter telefoniert, die um neun Uhr immer noch im Büro sitzen musste. "Da habe ich gemerkt, das geht so nicht weiter. Ich kann ihr ja gar nicht helfen aus der Ferne." Im Hinterkopf habe sie mit dem Gedanken, Bestatterin zu werden, schon lange gespielt, ihn aber immer weiter aufgeschoben. "Ob ich gleich komme oder später - ich habe ja noch ewig Zeit", so habe sie gedacht, sagt Annabelle und lacht.

Mutter Angela weiß deshalb, dass sie es mit ihrer Tochter gut getroffen hat. Und umgekehrt: Sobald Angela aus dem Raum ist, will Annabelle noch etwas loswerden, das sie sich aufgeschrieben hat: "Es ist an der Zeit, mich bei meiner geliebten Mama zu bedanken, die mir alles Machbare ermöglicht und für mich da ist."

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