Grafing:"Die Bevölkerung ist gespalten"

Grafing: Thomas Huber wurde 1996 in den Grafinger Stadtrat und 2013 in den bayerischen Landtag gewählt. Seit vergangenem Jahr ist er Kreisvorsitzender der CSU.

Thomas Huber wurde 1996 in den Grafinger Stadtrat und 2013 in den bayerischen Landtag gewählt. Seit vergangenem Jahr ist er Kreisvorsitzender der CSU.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Im Interview spricht der CSU-Landtagsabgeordnete und Grafinger Stadtrat Thomas Huber über die fremdenfeindliche Eskalation im Bauausschuss und ob die Asyl-Politik seiner Partei dafür mitverantwortlich ist

interview Von Wieland Bögel, Grafing

Nach dem Eklat im Grafinger Bauausschuss um eine geplante Flüchtlingsunterkunft stellt sich die Frage nach den Ursachen. Stadträte und Bauwerber waren öffentlich mit Schimpfwörtern und Drohungen bedacht worden, der Bauwerber zog schließlich seinen Antrag zurück. Die SZ sprach mit Thomas Huber, CSU-Kreisvorsitzender, Landtagsabgeordneter und Grafinger Stadtrat über die zunehmenden Entgleisungen beim Thema Flüchtlinge, berechtigte und unberechtigte Ängste sowie seine Kritik an der aktuellen Flüchtlingspolitik.

SZ: Was ist los in Grafing, warum ist die Stimmung in der Stadt so aufgeheizt?

Thomas Huber: Ich gehöre nicht dem Bauausschuss an und war nicht in der Sitzung, darum weiß ich zu wenig, um diese Situation richtig einschätzen zu können. Aber die Herausforderungen sind groß, und auch die Ängste und Nöte der Bevölkerung sind gegeben. Die kann man den Menschen nur nehmen, indem man mit ihnen redet, sie informiert und über die Hintergründe aufklärt. Da sehe ich in Grafing ein gewisses Informationsdefizit.

Sicher gibt es Ängste und Sorgen, aber bei den Zuhörern der Sitzung sind Schimpfwörter weit unter der Gürtellinie gefallen. Ist es nicht an der Zeit, dass man da mäßigend einwirkt?

Die Frage müssten Sie der Grafinger Bürgermeisterin stellen.

Die Frage stelle ich jetzt ganz speziell Ihnen, weil Sie ein vehementer Kritiker der Asylpolitik sind.

Der aktuellen Asylpolitik in Berlin und der mangelnden Solidarität vieler europäischer Staaten, ja!

Sie sind laut Ihrer eigenen Website ein Mitunterzeichner des offenen Briefes an die Kanzlerin, in dem eine schnelle Begrenzung der Zuwanderung gefordert wird.

Das ist richtig, weil wir aufgrund der nicht mehr bewältigbaren Flüchtlingsströme eine Reduzierung dringend benötigen, um überhaupt noch eine menschliche Versorgung sicherstellen zu können. Als CSU sind uns Humanität und Solidarität im Umgang mit den bei uns ankommenden Flüchtlingen wichtig. Ohne Begrenzung wird uns aber weder Integration noch Sicherheit und ein friedliches Miteinander gelingen. Das kann so nicht weitergehen und das muss man den Menschen erklären.

Aber man müsste es den Leuten richtig erklären, man kann ja nicht sagen, wir nehmen pro Jahr 200 000 Leute auf, und der 200 001., der hat dann Pech gehabt.

Da sind wir uns einig.

Aber genau dieser Eindruck entsteht, wenn man Horst Seehofer hört, der sagt, 200 000 ist die Grenze. Ermutigt man damit nicht Menschen, die schon immer gegen Flüchtlinge waren, und befördert eskalierende Situationen wie in Grafing.

Nein! Da geht es um die klare Botschaft. Wir bemühen uns um eine realistische Einschätzung der Situation und die Erarbeitung von möglichen Lösungen; dazu gehören die Bekämpfung der Fluchtursachen, die Integration derer, die schutzbedürftig sind und bei uns bleiben werden, aber auch die Begrenzung der Zuwanderung!

Kann man über Beleidigung und Bedrohung noch ernsthaft diskutieren?

Es ist vollkommen klar, dass gerade diese schwierige Frage sachlich und mit gegenseitigem Respekt diskutiert werden muss. Ob "nationale Obergrenze" oder "international vereinbarte Kontingente", in jedem Fall wird eine Größenordnung für die Begrenzung definiert werden müssen, auch wenn es in der Umsetzung zugegebenermaßen nicht einfach sein wird. Und es wird auch nicht die dauerhafte Lösung des Problems sein.

Warum fordern Sie es dann immer, wenn es nicht praktikabel ist?

Weil, wie wir ja täglich mit Bedauern feststellen, international abgestimmte Maßnahmen kurzfristig nicht erreichbar sind und man in der jetzigen Situation keine anderen Möglichkeiten mehr sieht.

Ist die Obergrenze ein Versprechen für Leute, die grundsätzlich keine Ausländer mögen?

Diese Interpretation weise ich entschieden zurück! Es ist doch unbestritten notwendig, dass wir angesichts von über einer Million Flüchtlingen in 2015 jetzt dringend das Signal aussenden müssen, dass wir die Belastungsgrenze überschritten haben. Ich bitte Sie auch zu sehen, dass alle anderen europäischen Staaten weit weniger Flüchtlinge aufgenommen und viele angekündigt haben, keine oder nur sehr wenige Flüchtlinge mehr aufnehmen zu wollen. Diese traurige Tatsache muss endlich einmal zur Kenntnis genommen werden!

Ich darf Ihnen einige Aussagen vorlesen, die von Ihrer Facebookseite stammen: "Die Bürger decken sich mit Waffen ein, weil eine unbeschreibliche Angst herrscht, welche Zeichen braucht die Politik denn noch", oder: "Wer nicht hören will, muss fühlen. Versucht doch mal Tränengasspray zu bekommen, die Regale sind leer wie in der ehemaligen DDR."

Das sind Kommentare von Bürgern, die das auf meiner Seite gepostet haben. Sie zeigen: Die Bevölkerung ist gespalten und tief beunruhigt. Das können und dürfen wir als Volksvertreter nicht ignorieren.

Laut Aussagen der beiden Polizeichefs im Landkreis gibt es im Ebersberger Raum keine messbare Zunahme der Kriminalität durch die Flüchtlinge. Das schlimmste Delikt war Ladendiebstahl. Woher kommt diese Panik?

Gott sei Dank sind mir keine schlimmeren Vorfälle aus unserem Landkreis bekannt. Aber die Nöte und die Ängste speisen sich nicht nur aus Entwicklungen im Landkreis Ebersberg. Sehen Sie sich doch mal die Entwicklung seit der Silvesternacht bundesweit an, die die Menschen umtreibt. Diese Verunsicherung ist im täglichen Leben angekommen und steht nicht in der Kriminalitätsstatistik von Ebersberg.

Aber in der Kriminalitätsstatistik steht, ob Kriminalität passiert oder nicht. Wenn keine passiert, was soll dann diese Stimmung? Das ist doch Panikmache.

Mir Panikmache vorzuwerfen, finde ich völlig daneben. Ich bin tagtäglich unterwegs, sehe auch das Leid der Flüchtlinge und rede mit den Menschen, kläre auf und versuche für Verständnis zu werben. Die weltweite Flüchtlingskrise ist ein großer Veränderungsprozess, der eben Ängste und Abwehrreaktionen auslöst.

Darf ich ganz kurz noch mal einhaken beim Punkt Panikmache: Auf ihrer Facebookseite steht ein Video, das beginnt mit einem Foto von einem Flüchtlingstreck, dann kommen die Anschläge von Paris, dann die Silvesternacht in Köln. Sie werfen also praktisch die Flüchtlinge, die Terroristen von Paris und die Vergewaltiger und Grapscher von Köln in einen Topf. Ist das keine Panikmache?

Das stellen Sie vollkommen falsch dar. Das ist ein Filmrückblick auf die bedeutendsten Ereignisse des vergangenen Jahres zur Klausurtagung unserer Landtagsfraktion . .

. . . . deren Mitglied Sie sind. Darum die Frage: Schürt die Landtagsfraktion damit nicht ungerechtfertigte Ängste in der Bevölkerung?

Nein, wir kümmern uns um die real vorhandenen Probleme und haben dazu in Kreuth zahlreiche Vorschläge gemacht. Übrigens auch im direkten Gespräch mit der Bundeskanzlerin, die ich persönlich auf die besondere Situation der Wohnraumknappheit im Landkreis Ebersberg und die menschenunwürdige Unterbringung von mehr als der Hälfte der Asylbewerber in Turnhallen - die gleichzeitig dem Schul- und Breitensport nicht mehr zur Verfügung stehen - hingewiesen habe. Wenn wir diese Probleme ignorieren würden, wäre das grob fahrlässig und würde genau denjenigen in die Karten spielen, die ganz andere Ziele haben. Das kann niemand wollen!

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: