Grafing:Das Traumhaus aus der Kiste

Evelin Klotz entwirft Wohndesigns im Miniaturformat, um verstaubte Puppenhäuser dem modernen Lifestyle anzupassen. Davon will sie nun auch das schwedische Königshaus überzeugen

Von Carolin Fries, Grafing

Den Lc2-Sessel von Le Corbusier verkauft Evelin Klotz für etwa 40 Euro, grasgrün lackiert kostet er zwanzig Euro mehr. Immer wieder bekommt die 51-Jährige Nachfragen, ob das Möbel denn auch durch einen schmalen Türstock passe, Interessenten schicken der Grafingerin die Maße ihres Wohnzimmers. Evelin Klotz schreibt dann gerne: "Sie können den Sessel auf ihrer Handfläche durch das ganze Haus tragen." Denn bei ihren Möbeln handelt es sich um Miniaturen, nur wenige Zentimeter hoch und breit. Klotz baut und richtet Puppenhäuser ein.

Die staubigen Stuben von einst sind nicht mehr das, was sie einmal waren, sprich Abbilder eines einfachen, eher rustikalen Lebensstils. In den modernen Miniaturwelten prasselt das Feuer im Kamin, die pubertierenden Kinder liegen mit Notebooks vor ihren Futonbetten auf Kuhfellteppichen, im Regal steht die Yoga-Bibel neben Massageöl und japanischem Torii-Tor, im Wohnzimmer der Egg Chair von Arne Jacobsen. Idealerweise in der Farbe passend zu Boden oder Wand, die zwanzig Euro fürs Lackieren müssen drin sein. Die Puppenhäuser von Evelin Klotz sind ein Traum, einer, den man im Gegensatz zu vielen anderen verwirklichen kann - wenn auch nur in Klein. Wer braucht den rot-blauen Stuhl von Gerrit Rietfeld oder den Barcelona-Sessel von Mies van der Rohe schon wirklich?

Lässt man den Blick durch die Räume eines der kleinen Häuser wandern, das Klotz auf ihrem Küchentisch aufgebaut hat, dann hat man immer wieder Déjà-vus mit den scheinbar belebten Ausstellungsräumen in großen Einrichtungshäusern. Auch dort liegt gerne mal ein Design-Magazin auf dem Sofa oder eine Schale Obst steht auf dem Tisch. In den Mini-Häusern von Evelin Kotz, die im Grunde nichts anderes sind als ein beliebig kombinierbares Stecksystem aus einzelnen, dünnen Holzfaserplatten, liegt die Vogue auf dem Bett - oder heute die Süddeutsche Zeitung. Klotz macht die Magazine selbst, wie alle anderen Einrichtungsgegenstände auch. Einzige Ausnahme sind die Designermöbel, die muss sie bestellen. Tische, Betten, Stühle, Vasen, Skulpturen, sogar die winzigen Keilrahmen für den Kandinsky an der Wand bastelt sie. Auf Wunsch ist auf dem Titel der Elle das eigene Konterfei zu sehen oder aber die Titelgeschichte der SZ lautet "Alles Gute zum Geburtstag". Nichts, was nicht geht in der Mini-Traumwelt.

Sogar die Personen, die im Wohnzimmer auf dem Sessel sitzen, kann man nach einem realen Vorbild als 3-D-Figur anfertigen lassen. Evelin Klotz gibt es zweimal in Miniatur, einmal stehend und einmal sitzend. Auf Messen zieht sie gerne die blaue Jeans, die Stiefel und das grau-rot gemusterte Shirt an, welches sie trug, als zig Kameras sie binnen weniger Sekunden abfotografierten, um aus diesen Daten ihren Körper anschließend aus Kunststoff formen zu lassen. Sie wartet dann immer gespannt auf den Moment, in dem jemand bemerkt, dass sie es ist, die da im Designersessel sitzt. Das sei jedesmal ein Spaß, sagt Klotz und das glaubt man ihr prompt. Überhaupt, sagt die Grafingerin, würden die Leute, wenn sie ihren Stand entdecken, meist staunen - bevor sich schließlich ein Lächeln über ihre Züge lege. Dann dauere es nicht mehr lange und sie fragen: "Wie haben Sie das bloß gemacht?" Für Evelin Klotz das schönste Kompliment.

Wie sie es macht, verrät sie nicht. Vieles zumindest nicht. Aus Papilotten aber lassen sich prima Kopfstützen für moderne Bettgestelle basteln, aus Schrumpfschlauch entstehen winzige Wasserstandanzeiger in den winzigen Hydropflanzen, aus Fimo formt sie Koi-Fische, die in einem Esstisch mit Vertiefung schwimmen, aus flüssiger Modelliermasse wird Soja-Soße, die in fingerhutgroßen Schüsselchen auf den kleinen Tischsets steht. "Als nächstes will ich Sushi machen", sagt Evelin Klotz und beginnt, von der zarten Lachsstruktur zu schwärmen. Zuletzt hat sie ein Katzenklo gebaut und eine Sternenwand, deren Mini-Lämpchen die Farben wechseln. Jetzt schiebt sie das passend bezogene Sofa vor die Wand. In der Werbung würde man jetzt schwärmen, wie Wohnträume im Handumdrehen wahr werden. Am Küchentisch von Evelin Klotz fragt man sich, wer so was kauft. Überwiegend Frauen, sagt sie. Viele haben bereits ein Puppenhaus. Eines, das ein bisschen aufgehübscht werden soll. Etwa 30 Stammkunden hat die Grafingerin, die ihr Hobby damit finanzieren kann, wie sie sagt.

Gekauft würden in der Regel Einzelteile. Witzige Kissen-Sets, die Skulptur für die Wand, der Esstisch im Asia-Style. Lieblingsdinge, die einen begeistern. Die man einfach haben will, weil man sie vielleicht mal in der Zeitschrift Schöner wohnen gesehen hat oder im neuen Haus der Freunde. Evelin Klotz holt sich ihre Ideen überall. Und wenn ihr etwas gefällt, dann überlegt sie sofort, wie sie es umsetzen könnte, aus welchen Materialien, in welchen Farben, ob mit Acrylfarben oder Autolack. In ihrer Küche steht eine Feinschnitt-Tischkreissäge, an der Wand hängt noch der "Heimwerker-Adventskalender" vom Obi. Mit dieser Küche hat damals vor 15 Jahren alles angefangen.

Das Ehepaar Klotz zieht mit Sohn und Opa aus Berlin nach München. In der gemieteten Doppelhaushälfte ist die Küche noch nicht fertig, es fehlt die Arbeitsfläche. Evelin Klotz hat genaue Vorstellungen, mit ihren Zeichnungen geht sie zu einem Küchenzentrum im Ort. Dort staunt man nicht schlecht und engagiert die gelernte Sozialversicherungsfachangestellte vom Fleck weg. Evelin Klotz macht ein achtmonatiges Fernstudium zur Küchenplanerin. Wieder was Neues, denkt sie sich, nachdem sie bereits als Werbe-Model, in der Altenpflege und der Kinderbetreuung gearbeitet hat. Sie ist begeistert, plant unter anderem die "höchste Küche Deutschlands" wie sie sagt, in der heute in der Sternwarte auf dem Wendelstein gekocht wird. Als Blickfang für ihre Kunden baut sie eine Küche im Maßstab 1:10. "So bin ich auf die Miniaturen gekommen."

Vermutlich würde sie noch immer Küchen und keine Puppenhäuser planen, wäre sie nicht noch einmal Mutter geworden. "Der Job geht nicht mit kleinem Kind", sagt sie über die Jahre im Küchenzentrum. Sie steigt aus - und ein paar Jahre später als 3-D-Miniatur mit einem Puppenhaus wieder ein. Seither bastelt sie am schönsten kleinen Kaminfeuer der Welt, für das sie drei LED-Lämpchen braucht, zwei davon flackernd, die sie an eine 3-Volt-Batterie hängt. "Die größte Fummelei", sagt sie. Dann zeigt sie ihre Pyramidenvasen, einzelne quadratische Miniatur-Rahmen, die sie aufeinanderklebt und lackiert. Für viele die reinste Strafarbeit, doch Klotz strahlt: "Da hatte ich den schönsten Arbeitsplatz der Welt. Die habe ich in Sardinien am Strand gemacht." Momentan probiert sie was Neues aus: Auf Mückennetze knüpft sie Teppiche. "Fassen Sie mal an, die sind ganz weich."

Als Evelin Klotz vor bald vier Jahren mit Miniaturdesign begann, bestand ihr Basisraum aus einer Holzbox, die sie mit einer Grundausstattung ausrüstete. Deshalb hat sie ihr Hobby "Blockboxes" genannt. Ein paar Jahre später baut sie Zimmer eines Unterwasserhotels nach und klebt hauchdünne "Philipps"-Klebefolien auf schwarze Fernseher. Extra mit drei P, soviel hat sie schon gelernt. Ebenso, dass man besser die Finger von Disney-Figuren lässt. Sie selbst hat übrigens weder Designerstühle im Haus noch Bonsaibäumchen im Regal stehen, sondern das klassische Familiensofa im gedeckten Farbton und die Schrankwand in Holzoptik.

In diesen Tagen hat Evelin Klotz Stress, vieles muss noch für die internationale Fach-Messe in Stockholm Mitte März fertig werden. Etwa 50 Aussteller werden erwartet und die Grafingerin hofft auf besondere Aufmerksamkeit. Evelin Klotz erwartet Post vom schwedischen Königshaus. Dorthin hat sie Miniaturkissen mit den Konterfeis der Prinzessinnen Madeleine und Viktoria und ihrer Ehemänner geschickt. Insgesamt vier Stück. Ein Geschenk für Königin Silvias Enkelkinder, vor allem die kleinen Mädchen Estelle und Leonore. "Vielleicht haben sie ja ein Puppenhaus . . . ", schreibt Klotz in einem Brief auf Schwedisch. Jetzt wartet sie auf Antwort. Sollte ein Brief kommen, dann nimmt sie ihn mit nach Schweden. Vielleicht wird er dann dort in ihrem Puppenhaus auf einer Kommode neben dem Telefon liegen, nur ein paar Millimeter groß.

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