Grafing:Bömmels Erben groß in Fahrt

Science Slam Grafing

Humor mit Mehrwert in der Grafinger Turmstube: Den Sieg des Science Slams trägt am Ende der Altphilologe Stefan Merkle davon.

(Foto: Peter Hinz-Rosin)

Beim ersten "Science Slam" in Grafing öffnen Wissenschaftler geistvoll und unterhaltsam die Türen der Erkenntnis

Von Ulrich Pfaffenberger, Grafing

Da kann das Fernsehen absperren und Youtube zumachen: Wenn es darum geht, Wissenschaft nahbar und (be)greifbar zu machen, scheint der "Science-Slam" das ideale Format zu sein. Live auf der Bühne exerzieren Forscherinnen und Forscher, Wissenschaftler und Gelehrte ausgewählte Themen ihres Fachgebiets in kurzweiliger Form durch, konzentriert auf zehn Minuten, angereichert mit möglichst originellen Verständnishilfen. Ein perfektes "quod erat demonstrandum" fesselte am Donnerstagabend das Publikum in der ausverkauften Grafinger Turmstube bei der Premiere dieses jungen Formats im Landkreis. Jeder einzelne Auftritt machte spürbar, welch starke Wirkung Wissen erzielt, das aus dem Hörsaal in die Freiheit entlassen und mit den "Nichtwissenden" geteilt wird. Denn darin liegt der wahre Wert eines solchen Slams, dass sich jemand die Mühe des Übersetzens und Veranschaulichens macht, um andere an Erkenntnissen teilhaben zu lassen. Die Älteren erinnern sich: So hat uns einst in der "Feuerzangenbowle" Professor Bömmel mit der Dampfmaschin' vertraut gemacht - Urvater des Science Slam.

In Grafing erfährt man von Matthias Mader, warum auf Basis der Quantenphysik und einer partiellen Differenzialgleichung die ideale Weihnachtsgans nach der Niedrigtemperaturmethode gegart und anschließend mit dem Bunsenbrenner gegrillt gehört. So erreicht sie die Idealform "innen saftig, außen knusprig". Das Garen bei 80 Grad braucht halt etwas mehr Zeit, darum: "Vor der Kirche in den Ofen!" Der Schweizer Umweltwissenschaftler Henry Wöhrnschimmel überzeugt mit der sauber belegten These "Die Musik war der Wissenschaft in Fragen der Ökologie weit voraus". Er animiert zum genauen Hinhören selbst bei Schlagermelodien, etwa zur Lösung der Frage, warum saubere Mobilität Umweltprobleme löst: "Let's walking" (Fats Domino), "I am sailing" (Rod Stewart), "I want to ride my bicycle" (Queen).

Wie auf Grundlage einer einzigen Nachrichtenquelle, bei der die ironischen Untertöne des Autors ausgeblendet werden, Fake News von unfassbarer Sogwirkung entstehen können, machte Altphilologe Stefan Merkle am Atlantis-Mythos sichtbar. Obwohl Urheber Platon selbst am symbolischen Charakter dieses vermeintlich idealen Gemeinwesens keinen Zweifel ließ, erzeugt die Suche danach bis heute immer neue, fantastische Schlagzeilen. Merkles Botschaft: Würde man beim Original genau hinschauen, bräuchte man sich mit den Fälschungen gar nicht zu befassen.

Genau hinschauen lautet auch die Empfehlung von Wiebke Schick, Doktorandin der kognitiven Neurowissenschaft, die mit wenigen Worten das Phänomen "Epilepsie" seiner Unnahbarkeit beraubte. Wenn rund 100 Millionen Neuronenzellen im Körper aus dem menschlichen Gehirn - "der größte Risikofaktor" - falsche Befehle bekommen, ist der System-Crash unabwendbar. Den Auslöser "Lichtreize" zum Beispiel verankerte sie im Gedächtnis des Publikums mit dem Satz: "Wenn die Zellen in der 30er-Zone mit 100 geblitzt werden, dann kommt zum Wutanfall der Krampfanfall."

Die Biochemikerin Karin Bodewits klärte darüber auf, wieso man in die Pipeline eines "Mint"-Studiums auf der einen Seite so viele Frauen hineinschieben kann, wie man will: "Am Ende kommen immer 90 Prozent männliche Professoren heraus." Die Aufforderung zu einem einschlägigen Studium allein brächte junge Frauen noch lange nicht stärker ins naturwissenschaftliche Spiel, so ihre Botschaft. Vielleicht wird dessen Reiz aber dort sichtbar, wo im Institut "Alka-Liebe" die Quantenphysikerin Frauke Seeßelberg ihre "Molekulare Partnervermittlung für Atome" betreibt, in der sich alle 35 Sekunden ein Pärchen findet, von blauen und roten Lasern im stimulierten Transfer zusammengeführt: "Rotation und Vibration machen zu zweit einfach mehr Spaß", so ihre Einladung, das persönliche Molekülpotenzial stärker auszureizen.

Den Sieg des Abends trug Merkle mit seiner unterhaltsam-tiefgründigen Fakten-Archäologie zu Atlantis davon, wie bei Slams üblich mit einem eher schlichten Preis: Siegerurkunde und eine Tüte Gummibärchen. Einen Sonderpreis hätten sich auch noch Schick und Seeßelberg verdient. Mit leichter Hand und starker Kompetenz haben sie Zugang verschafft zu vermeintlich Alltäglichem und die Augen geöffnet für spannende, gleichwohl kaum wahrgenommene Forschungsthemen. Am Applaus gemessen, dürfte der angekündigte nächste Science-Slam in Grafing wohl wieder vor ausverkauftem Haus stattfinden.

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