Grafing:Auch Indianer weinen

Selbsthilfe-Gruppe für Männer in seelischen Krisen

In Grafing hat eine Selbsthilfe-Gruppe für Männer in seelischen Krisen eröffnet.

(Foto: Jan Schwenkenbecher)

Seit Anfang des Jahres gibt es in Grafing eine Selbsthilfe-Gruppe für Männer mit psychischen Leiden. Statt Leistung zählt hier das "Popcorn-Prinzip".

Von Jan Schwenkenbecher, Grafing

Michael Weigl hat etwas mitgebracht. Ein paar Tücher, eine Giraffe und einen Wolf aus Plüsch, eine Klangschale, Murmeln, einen Blumenstrauß, drei Kerzen und zwei Perchtenmasken, Engel und Teufel. All das legt er in einem Kellerraum in die Mitte des Stuhlkreises. Es ist kurz vor sechs, gleich kommen die Teilnehmer, die Männer. Auch sie bringen etwas mit: psychisches Leiden.

Seit Anfang Januar findet jeden zweiten Donnerstag hier, im katholischen Pfarrheim in Grafing, die Selbsthilfegruppe für Männer statt. Das Angebot ist kostenlos, aber es steht ein Sparschwein herum. Weigl leitet die Gruppe mit einem Freund, Heinrich Unverhau. Der war es auch, der auf Weigl zugekommen war. Ihn fragte, ob er mithelfen wolle. "Die Freundin eines Bekannten war in einer der Selbsthilfe-Gruppen für Frauen, die es hier schon lange gibt", sagt Unverhau. "Die hat mich dann gefragt, ob ich nicht so eine Gruppe für Männer leiten wolle." Aber alleine mochte er nicht, also fragte er einen Freund, Weigl.

Sieben Männer nehmen derzeit an der Gruppe teil, aber es sind nicht immer alle da. Einer von ihnen ist gerade in stationärer Behandlung. Ein paar mehr würden sie noch vertragen, sagt Unverhau, "ich finde, eine Fußballmannschaft wäre eine gute Größe". Zu Beginn der Treffen gibt es meist eine kurze Meditation oder Qigong, zum Ankommen. Die Klangschale läutet ein. Danach herrscht das "Popcorn-Prinzip", wie Unverhau es nennt: "Es ist Stille, irgendwann ploppt einer hervor."

Der bekommt dann das Rede-Ei, einen funkelnden, schwarz-blauen Stein. "Erzählt einer, müssen die anderen still sein", sagt Unverhau. Und: Niemand dürfe Redebeiträge kommentieren, keine Ratschläge erteilen, das sei die wichtigste Regel. "Es kommt oft vor, dass, wenn einer etwas sagt, das beim anderen etwas auslöst", sagt Weigl. Dann dürfe er auch darüber sprechen. "Aber nur über sich, nicht über den anderen." Alkohol und Zigaretten sind tabu, alle duzen sich.

"Speziell Männer definieren sich über Leistung"

Für Weigl und Unverhau ist es das erste Mal, dass sie eine Selbsthilfe-Gruppe leiten, keiner von ihnen hat eine therapeutische Ausbildung. Unverhau ist Diplom-Kaufmann und Ingenieur, Weigl ist Physiker, arbeitete lange Zeit als Software-Trainer. Beide haben sich aber über die Jahre fortgebildet. Haben Ausbildungen in Neuro-linguistischem Programmieren (NLP), systemischer Familienaufstellung und gewaltfreier Kommunikation gemacht. Weigl ist ausgebildeter Glückstrainer.

Einige der gelernten Techniken lassen sie auch in die Gruppe einfließen. Etwa die Plüschfiguren. Der Wolf kommt bei negativen, die Giraffe bei positiven Äußerungen hervor. Weil eine Giraffe das größte Herz aller Landsäugetiere hat. Oder die Perchtenmasken, die zeigen sollen, dass auch jeder Engel einen inneren Teufel hat, was aber in Ordnung sei. Oder die Glückssteine.

Weigl hat immer drei kleine Glasmurmeln in seiner linken Hosentasche, die Glückssteine. Passiert ihm im Alltag etwas Schönes, ein nettes Gespräch in der S-Bahn, eine freundliche Begegnung beim Bäcker, packt er einen der Steine in seine rechte Hosentasche. Am Abend holt er sie dann heraus, erinnert sich an die Momente. Versucht, das Glück noch mal zu erleben. Auch jeder der Gruppen-Teilnehmer hat Glückssteine von ihm bekommen. "Manchmal sprechen wir dann über die Momente", sagt er, "die einen nutzen das mehr, die anderen weniger". Unverhau sagt: "Ganz wichtig ist, dass alles freiwillig ist. Niemand muss etwas tun." Er selbst zum Beispiel hat keine Steine.

Warum die Männer da sind? Da gebe es ein paar gängige Probleme, sagt Weigl. Etwa, dass sie ihren Job verloren haben oder darin überfordert seien. "Ganz viele, und speziell Männer, definieren sich über Leistung", sagt Weigl. Das führe oft zu Konflikten. "Ein Indianer weint nicht, heißt es", sagt Weigl - "bei uns wird geweint". Ein anderes öfter auftauchendes Thema seien zerbrochene Beziehungen. Ein Mann sei etwa längere Zeit von seiner Frau hintergangen worden. Unverhau sagt: "Wir sind zwar Leiter, aber auch Betroffene." Beide waren selbst längere Zeit in Behandlung.

Der Zusammenschluss ist eine Selbsthilfe-Gruppe. Es wird geredet, die Teilnehmer können sich mitteilen, lernen ein paar Übungen für den Alltag. Zweieinhalb Stunden, alle 14 Tage. Es ist keine Therapie. Aber das scheint Weigl und Unverhau durchaus bewusst zu sein. "Viele der Teilnehmer waren schon in Behandlung", sagt Weigl. "Viele sind richtig geladen, allein mit einer Selbsthilfe-Gruppe bekommt man das nicht hin." Das Ziel sei daher, "unterstützend zu begleiten". Und Unverhau ergänzt: "Für die Männer ist wichtig, dass ihnen da jemand zuhört, der sie auch versteht. Allein das Gefühl, verstanden zu werden, kann zu extremer Erleichterung führen." Bisher habe es noch keinen Fall gegeben, wo sie gedacht hätten, dass derjenige akute Hilfe benötigt.

Einen Teilnehmer gab es, bei dem habe es nicht so recht geklappt mit der Zusammenarbeit, der die Gruppendynamik gestört habe. "Ich habe ihm dann auch zu verstehen gegeben, dass das so nicht funktioniert", sagt Unverhau, "der kommt mittlerweile nicht mehr". Ansonsten seien die Rückmeldungen durchweg positiv. Weigl erzählt, dass er öfter mal eine SMS bekomme, "da sagt derjenige dann, dass es ihm heute gut gefallen habe".

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