Glonn:Fusel statt Silberbesteck

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So hat Eduard von Grützner in seiner Kreidezeichnung das Treiben in einer typischen Branntweinschänke festgehalten. Illustration: Eduard Grützner/oh (Foto: N/A)

In Glonn gab es Jahrhunderte lang nur einen einzigen Gastwirt, daneben entstanden aber gleich fünf Branntweinschänken. Darin bekamen "arme Teufel" Schnaps und ein wenig Gesellschaft

Von Anja Blum, Glonn

"Die Thür ist geöffnet. Der Fuseldunst verschlägt Einem den Athem, wüster Lärm dringt ans Ohr, man flieht aus dem Bannkreis." So beschreibt Max Winter im Jahr 1900 den Moment, in dem er unvermutet an einer Branntweinschänke vorbei kommt. Der österreichische Journalist, der zugibt, "immer eine heilige Scheu" vor diesen "Gifthütten" gehabt zu haben, wagte sich für eine Sozialreportage jedoch mehrmals tief in einige dieser Etablissements hinein und beschrieb anschließend ihr Innenleben in oft zitierten, ergreifenden Worten.

Sein Fazit: Den "Schäden des Branntweins in Beziehung auf Gesundheit, Moral und Sitte" sei nicht einfach durch Sperrungen der Schänken beizukommen, vielmehr müsse man deren Gästen befriedigende Alternativen bieten: "öffentlich zugängliche Lokale, wo sie gegen geringes Entgelt in anständiger Weise ihre Erholungsstunden oder die Stunden gezwungenen Müßigganges - man denke an die Armee der Arbeitslosen - zubringen können". Schließlich gingen die vielen armen Proletarier nur in die Schänken, weil sie kein eigenes Heim, sondern meist nur ein Bett in einer "engen, dumpfen, überbevölkerten Stube" hätten. Im Lokal aber erhielten sie für ein paar Kreuzer einen "geistigen Genuss" und zugleich das Recht, stundenlang zu bleiben und ihr Bedürfnis nach Geselligkeit zu stillen. "Man müßte die ganze soziale Frage aufrollen, wenn man zeigen wollte, wie groß die Schuld der menschlichen Gesellschaft an diesen Zuständen ist. Es würde zu weit führen", schreibt Winter. "Genug, das Volk lebt in elenden Zuständen, lebt so, daß es in die Schänke getrieben wird. Treibt man es hinaus, dann muß man ihm auch Ersatz bieten."

Ähnliches hatten einige Zeit zuvor wohl auch die Glonner erkannt. In ihrem Dorf gab es bis 1862 nur einen echten Wirt, das "Gasthaus zur Post", aber gleich fünf der damals auch im Landkreis Ebersberg üblichen Branntweinschänken. Darin bekam man nichts zu essen, aber billigen Schnaps. Johann Baptist Dunkes, in dieser Zeit Lehrer und Ortschronist, nennt den Branntwein einen "verhängnisvollen Geist", von dem sich schon so mancher "nebst stinkendem Atem ein zitterndes Siechtum, ja sogar den Säuferwahnsinn geholt" habe. "Der Fusel, der damals ausgeschenkt wurde, war richtig giftig", bestätigt heute Grafings Stadtarchivar Bernhard Schäfer. "Der konnte blind machen und sogar zum Tode führen."

Wie der Glonner Heimatforscher Hans Obermair nun herausgefunden hat, wollte man den Exzessen, die mit den vielen Schänken einhergingen, durch eine weitere Gastwirtschaft im Dorf Einhalt gebieten. Ein nicht ganz einfaches Unterfangen, da es für eine neue Gaststätte das Einverständnis des Landgerichtes bedurfte, und der damals einzige Wirt, Wolfgang Wagner, sich vehement gegen einen Konkurrenten wehrte. Und das lange erfolgreich, spielte Wagner doch in Gesellschaft und Politik eine herausragende Rolle.

Wie Obermair erklärt, eröffnete der Wirt in seinem Haus die erste Poststelle im Dorf und sorgte zudem dafür, dass Glonn ans Eisenbahnnetz angeschlossen wurde. Darüber hinaus war Wagner Mitglied des Kreis-, des Land- sowie des Reichstages. Ein Mann mit Einfluss also, so dass aus dem Bemühen vieler Glonner um ein weiteres Gasthaus ein fünf Jahre andauernder Rechtsstreit wurde. Doch die Befürworter ließen nicht locker und verwiesen in ihren Begründungen immer wieder auch auf die "sittlichen Auswirkungen" der Schnapsbuden. Mit einer weiteren Wirtschaft, so die Argumentation, könne deren Zuspruch verringert werden. "Damit mancher Familienvater und lediger Bursche dem Leib und der Seele nach gerettet wird", schrieb zum Beispiel die Gemeinde, die das Gesuch unterstützte. 1862 war es dann endlich soweit: Der "Neuwirt" durfte seine Türen öffnen. In der Folge kam es zu einer Welle von Neugründungen: "In nur 15 Jahren, von 1862 bis 1876, entstanden in Glonn sieben neue Wirtshäuser", sagt Obermair. Die Ära der Branntweinschänken ging damit langsam, sang- und klanglos zu Ende.

Dass sich Obermair mit der bewegten Vergangenheit der Glonner Gasthäuser beschäftigt, gründet in seiner Ansicht, dass diese "Orts-, Sozial und Wirtschaftsgeschichte" widerspiegle. Die Gastwirtschaft sei neben der Kirche lange ein Mittelpunkt des Ortes gewesen, ein Treffpunkt, wo man schimpfen, tratschen und Neues erfahren konnte. "Das Wirtshaus hat das ermöglicht, was heute die modernen Medien erledigen", so Obermair. Die Hauptperson war dabei freilich der Wirt selbst: "Informant, Förderer und Schlichter in einer Person. Sein Wort hatte im Ort Gewicht." Für Obermair war er der Mittelpunkt eines wichtigen Sozialprozesses. Und der Ortschronist muss es wissen, ist er doch selbst ein "Wirtsbua", der in der Stube der elterlichen Gasthöfe in Peiss und Ottersberg "allerhand mitbekommen" hat. "Die, die in der Nachkriegszeit immer Selbstgebrannten getrunken haben, hat man am vielen Blinzeln erkannt", erzählt er zum Beispiel.

Das wird auch beim Publikum der Glonner Branntweinschänken so gewesen sein. "Dort wurde geschnapselt, und zwar Fusel aus billigsten Materialien, weil Bier vielen zu teuer war." Vor allem in Glonn, wo der einzige Wirt, die Post, offenbar ein Etablissement der gehobenen Klasse sein wollte: Laut Obermair gab es in dem stattlichen Wirtshaus, das Platz für 560 Personen sowie 40 Betten bot, einen extra Nebenraum "für distinguierte Gäste", Kaffeetassen mit Goldrand und sogar Silberbesteck - was der normalen, bäuerlichen Bevölkerung völlig fremd gewesen sei. "Damals hatte eigentlich jeder selbst Gabel und Messer dabei", erzählt Obermair und zieht aus einem Schrank, wie zum Beweis, das Reisebesteck seines Urgroßvaters, Jahrgang 1842. Das Besteck sieht aus wie ein überdimensioniertes altes Taschenmesser, denn Messer und Gabel sind einklappbar. Dazu gehört ein "Streicher" zum Schärfen des Messers. In die Griffe waren Silberfiguren eingelegt.

Die Entstehung der vielen Branntweinschänken in Glonn führt Chronist Dunkes auf das Patrozinium, das Johanni-Fest, zurück. Er berichtet, dass es noch um 1760 "unter ungeheurem Zulauf von Nah und Fern auf eine große spektakelhafte Weise mittels großem Umzug im Dorfe gefeiert" wurde. Das eine Wirtshaus konnte die zahlreichen Gäste nicht verköstigen, also durften fünf weitere Anwesen für die Bewirtung aufkommen. Das Schankrecht für Branntwein vergab die Gutsherrschaft Zinneberg - "eine lohnende Einnahme, so dass die Schänken im Lauf der Zeit halt zu Dauereinrichtungen wurden", erklärt Obermair. Der Bierausschank blieb dem Wirt vorbehalten, der von der Zinneberger Brauerei beliefert wurde. Überhaupt entwickelte Glonn sich im 19. Jahrhundert zu einem Zentrum: "Es gab einen großen Markt und sieben Mühlen, die viel Kundschaft hatten, die auch im Ort übernachtete", weiß Obermair. Und auch zahlreiche andere Gewerbe hätten Fremde angezogen: Glaser, Hutmacher und vieles mehr. "Im Jahr 1857 gab es in Glonn 54 Häuser und 53 Gewerbebetriebe", so der Ortschronist.

Wie Obermair herausgefunden hat, lag eine der Schänken im Zentrum des Ortes, eine im Norden, eine im Süden und zwei befanden sich im Osten. Die möglicherweise älteste war dem Krämer zum "Steinberger" vorbehalten. Sie bestand mindestens seit 1651 und befand sich gleich neben der Kirche, dort, wo heute das Modegeschäft Obermaier steht. Der Ausschank im Norden war die des "Kramerschusters". Besitzer Josef Angerer verlegte sie 1858 jedoch auf das Zimmermeisteranwesen am Marktplatz (später Bücher Kreuzer), wohl wegen des besseren Platzes. Im Glonner Süden betrieb der "Utzkrämer", heute "Feldkirchner Hof", einen Branntweinausschank. 1875 wurde daraus eine Gastwirtschaft. Von den zwei Schänken im Osten befand sich eine im "Schabmaierhaus" (später Gasthof "Zur Lanz"), diese wurde 1862 zur Wirtschaft. Gifthütte Nummer Fünf war im "Färberhaus" gegenüber der "Lanz" untergebracht, hier endete das Branntweinschankrecht 1861.

Das stolze "Gasthaus zu Post", das als "Taferne zu Glonn" 1554 erstmals erwähnt wurde und Jahrhunderte lang der einzige Wirt im Ort war, gibt es nicht mehr. In dem Haus direkt am Marktplatz befinden sich heute Geschäfte und darüber eine Unterkunft für Flüchtlinge. Aber das ist wieder eine ganz andere soziale Frage.

© SZ vom 13.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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