Diskussion über Leitkultur:Denn sie wissen nicht, was sie wollen

In einem Glonner Café diskutiert die CSU, nach welchen Werten sich Zuwanderer richten sollen. Am Ende stehen mehr Fragen als Antworten im Raum.

Von Anselm Schindler, Glonn

"Die Hindus und Chinesen haben eine Leitkultur", sagt ein älterer Mann, in Deutschland sei diese verloren gegangen. "Wollen wir ein Europa, in dem Chinesen genauso daheim sind wie Islamisten oder wollen wir ein christliches Abendland?", hakt er weiter nach. "Die Islamen werden uns übervölkern!", wenn "Islamen" erst einmal die Mehrheit der Bevölkerung stellen würden, dann sei der "Gottesstaat" nicht weit, ist sich der ältere Herr sicher.

Während in München am Montagabend Rechtspopulisten und Neonazis zur Verteidigung des Abendlandes durch die Stadt marschierten - und von tausenden Münchnern gestoppt wurden, diskutierten rund 50 Bürger, die meisten von ihnen CSU-Mitglieder, in einem Glonner Café über Leitkultur. Dafür hatte der Kreisverband der Christsozialen Markus Blume eingeladen, der Landtagsabgeordnete ist Vorsitzender der CSU-Grundsatzkommission. Und die arbeitet seit dem Parteitag im vergangenen Jahr an einem neuen Grundsatzpapier für die CSU.

Bis zum Parteitag am 20. November läuft die erste Phase des Arbeitsprozesses, "in der wir von den Bürgern wissen wollen, was sie sich unter Leitkultur vorstellen", sagte Blume. Deshalb sei er an diesem Montag nach Glonn gekommen. Dass man sich über "Islamisierung" Sorgen machen sollte, dafür sieht er zwar keinen Anlass, allerdings reiche es nicht, "Flüchtlingen nur ein Grundgesetz unter den Arm zu klemmen".

Blume will eine neue Standortbestimmung: "Wo stehen wir und was wollen wir?" Und wer ist überhaupt dieses "wir"? Fragen, auf die an diesem Abend zahlreiche Fragen folgen sollten. Was wohl daran liegt, dass die moderne Gesellschaft die Diskussion um Werte längst hinter sich zurückgelassen hat. Höchste Zeit, findet Blume, die "Leitplanken" der Gesellschaft und ihrer Werte neu zu definieren.

Diskussion über Leitkultur: Leidenschaftliche Diskussion: Kreisrat Martin Lechner, Referent Markus Blume und Kreisvorsitzender Thomas Huber (von links).

Leidenschaftliche Diskussion: Kreisrat Martin Lechner, Referent Markus Blume und Kreisvorsitzender Thomas Huber (von links).

(Foto: Christian Endt)

Und so dominierte die Frage: Wie dehnbar ist die Leitkultur, wo ist die Grenze? Beim Glauben könne sie offenbar nicht mehr gezogen werden, und das längst nicht nur im Hinblick auf muslimische Migranten. Nur etwa 60 Prozent der Deutschen sind Mitglied in der evangelischen oder katholischen Kirche. Ist Deutschland eine "nach-christliche Gesellschaft?", fragte der Ebersberger Landtagsabgeordnete Thomas Huber in die Runde.

Auch Huber ist Mitglied der Grundsatzkommission. Werte wie Demokratie und Toleranz seien, betonte Huber, nicht verhandelbar. Doch es gelang auch ihm nur schwer, die Worthülse der Leitkultur mit Inhalt zu füllen. "Was macht die deutsche Leitkultur aus?", unter diesem Motto lief die Veranstaltung.

Einig ist man sich noch nicht einmal, ob es überhaupt einer Leitkultur bedarf. "Gibt es denn überhaupt eine europäische Leitkultur? Mit dem Orban sehe ich keine", sagte einer aus dem Publikum mit Blick auf den ultranationalistischen ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, mit dem sich Ministerpräsident Horst Seehofer kürzlich traf.

In seiner Wortmeldung forderte das CSU-Mitglied einen Minimalkonsens, der zwar Gesetze und Toleranz umfasse, aber eben keine kulturellen Richtlinien vorgebe. Denn die seien in einer Zuwanderungsgesellschaft überholt. Zudem gelte es, ergänzte ein anderer Christsozialer, nicht nur zu fordern. An der misslungenen Integration von jungen Menschen aus der DDR zeige sich, dass auch die Mehrheitsgesellschaft Fehler machen könne: "Denen konnte die demokratische Leitkultur nicht vermittelt werden, das Ergebnis sieht man jetzt, Pegida".

Leitkultur

Geprägt wurde der Begriff der deutschen Leitkultur um die Jahrtausendwende vor allem vom damaligen CDU-Parteivorsitzenden Friedrich Merz. Die Grünen warfen Merz damals vor, Migranten um jeden Preis assimilieren, verschiedene Kulturen also zwanghaft angleichen zu wollen.

Der Begriff spiegelt die Widersprüche der Globalisierung: Einerseits schaffen Märkte Freizügigkeit, die nicht mehr an Nation oder ähnliche Konstrukte gebunden ist, andererseits aber sollen Menschen, die hier leben, sich in ihren Sitten und Werten den Mehrheitsgesellschaft anpassen. In der Soziologie ist die Forderung nach dem Einhalten der Leitkultur deshalb höchst umstritten. Denn sie fordert Anpassung von Migranten und Flüchtlinge, ignoriert aber, dass Integration ein Akt ist, der auch der Mehrheitsgesellschaft Engagement abverlangt. coco

Markus Blume lobte die Errungenschaft der CSU, die "zulässige Breite der Diskussion" - was Zuwanderung und Leitkultur betreffe - erweitert zu haben. Doch die Breite ging vielen, die an diesem Abend gekommen waren, längst noch nicht weit genug. "Wer sagt wie es ist, ist schnell weg vom Fenster", murmelte einer. "Die Medien geben längst nicht die Meinung der gesellschaftlichen Mitte wieder", lautete auch die Einschätzung von Thomas Huber. Und: "Die wirkliche gesellschaftliche Mitte sitzt hier."

Aus dieser Mitte sind an diesem Abend Sätze zu hören, die angeblich nicht gesagt werden dürfen: So effektiv, wie manche aus dem Publikum die "Zensur" im Lande wähnen, scheint sie dann doch nicht zu funktionieren. "Ein Neger ist Weißbier mit Cola", was nicht negativ gemeint sei, sagte einer, "das müssen die Preißen kapieren."

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