Geständnis:Übergriffe aus Überforderung

Das Landgericht München II verurteilt eine Pflegehilfskraft, die in Markt Schwaben und Dorfen Seniorinnen misshandelt hat, zu einer Bewährungsstrafe. Außerdem gilt ein dreijähriges Berufsverbot

Von Andreas Salch, Ebersberg/München

Eine Pflegehilfskraft, die im Awo-Seniorenzentrum Markt Schwaben und im Altenheim Marienstift in Dorfen drei hochbetagte widerstandsunfähige Bewohnerinnen schwer misshandelt hat, ist vor dem Landgericht München II zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden. Außerdem darf die 35-jährige Angeklagte, die letztlich sämtliche Vorwürfe in dem Prozess einräumte, ihren Beruf als Pflegehilfskraft drei Jahren lang nicht ausüben. Nach Überzeugung des Gerichts war der Grund für die Übergriffe der Pflegehilfskraft Überforderung.

2009 hatte die Angeklagte im Marienstift in Dorfen eine damals 83-jährige Seniorin mit fast 40 Grad heißen Wasser beim Baden verbrüht. Bei ihrer Vernehmung sagte die Pflegehilfskraft, sie habe damals für einen erkrankten Kollegen einspringen müssen. Die ihr anvertraute Seniorin saß in einem sogenannten Badelifter. Diesen, so die 35-Jährige, habe sie wohl zu schnell in die Wanne gelassen. Die alte Dame schrie jedenfalls auf, als sie ins Wasser tauchte. Ein Kollege der Pflegehilfskraft sagte bei den Ermittlungen, als er in das Bad gekommen sei, habe das Wasser "richtig gedampft". Die 83-Jährige erlitt auf fast 20 Prozent ihrer Haut Verbrühungen ersten Grades und wurde auf die Intensivstation des Klinikums Bogenhausen nach München gebracht. Nach dem Vorfall, so die Pflegehilfskraft, habe sie ein "Schadensprotokoll" geschrieben. Außerdem habe sie die 83-Jährige später im Krankenhaus besucht, ihr Blumen überreicht und sich entschuldigt. Das Seniorenstift schloss mit der Mitarbeiterin nach dem Vorfall im März 2009 einen Aufhebungsvertrag.

Danach arbeitete die Angeklagte, die den Beruf der Pflegerin nie erlernt hat, sondern nur angelernt worden war, im Awo-Seniorenzentrum in Markt Schwaben. Dort wurde ihr gekündigt, nachdem sie im Juni und Juli 2013 zwei damals fast hundert Jahre alte Bewohnerinnen auf die Augen geschlagen hatte. Die Opfer sollen Zeugen zufolge nach den Schlägen ausgesehen haben "wie nach einem Boxkampf". Eine der beiden Seniorinnen schlug die Angeklagte zwei Mal.

In erster Instanz hatte das Amtsgericht Ebersberg die 35-Jährige wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einem Jahr und drei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt und darüber hinaus ein dreijähriges Berufsverbot verhängt. Gegen diese Entscheidung hatte die Angeklagte Berufung vor dem Landgericht München II eingelegt und dies damit begründet, dass sie unschuldig sei. Auch die Staatsanwaltschaft hatte Berufung gegen das Urteil aus Ebersberg eingelegt, jedoch mit dem Ziel, für die Pflegehilfskraft eine höhere Strafe zu erwirken.

Bereits im Juli 2015 hatte sich das Landgericht München II mit dem Fall beschäftigt. Allerdings wurde der Prozess nach nur zwei Verhandlungstagen ausgesetzt. Grund war das auffällige Verhalten der Angeklagten. Die damals 33-Jährige zuckte damals immer wieder mit ihrem Oberkörper leicht nach beiden Seiten und blickte unruhig umher. Deshalb ordnete die Vorsitzende Richterin damals an, die Pflegehilfskraft von einem Psychologen und einem Psychiater begutachten zu lassen. Die beiden Forensiker waren nun an diesem Mittwoch als Sachverständige in dem neuerlichen Verfahren vor dem Landgericht München II geladen.

Laut dem Gutachten des Diplompsychologen Günther Lauber verfügt die Pflegehilfskraft nur über einen Intelligenzquotienten von 43. Die Angeklagte sei deshalb "schnell überfordert" und "wenig belastbar", so Lauber. Das Aggressionspotenzial der 35-Jährigen sei indes eher "unauffällig". Der Forensiker Bela Serly kam in seinem Gutachaten zu dem Ergebnis, dass die Angeklagte aufgrund ihrer niedrigen Intelligenz in ihrer Steuerungsfähigkeit vermindert sei. Ihr IQ liege tatsächlich wohl bei 60 bis 65. Vielleicht habe sie die Fragen im Test nicht verstanden, so Serly.

Am Ende räumte die Pflegehilfskraft die Vorwürfe, die sie anfangs bestritten hatte, ein. Grund für die Kehrtwende war die Ankündigung des Gerichts, es im Falle eines Geständnisses bei einer Bewährungsstrafe zu belassen. Außerdem, so die Kammer, würden die Aussagen der Forensiker zugunsten der Angeklagten gewertet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: