Geschäftsidee:Diese Grafinger Werkstatt macht Schuhe aus Fischresten

Geschäftsidee: Michael, Florian und Vater Walter Koppitz in ihrer Werkstatt in Grafing.

Michael, Florian und Vater Walter Koppitz in ihrer Werkstatt in Grafing.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

"Am beliebtesten ist der Lachs": Warum die Kunden von Florian und Michael Koppitz bis zu 2000 Euro für ein paar Schuhe zahlen.

Von Viktoria Spinrad, Grafing

Heute hat wieder einer angerufen, diesmal aus Kanada. "Unglaublich, oder?", fragt Florian Koppitz. Der 27-Jährige mit dem dunklen Dreitagebart und der Lederschürze steht in seiner Schuhmacherwerkstatt, um ihn herum Blümchentapete, Schleifmaschine und Werkzeugkästen. Hier, wo der Uropa früher kochte und schlief, wird heute gehämmert, geschliffen und genäht. Es ist ein Ort, wie aus der Zeit gefallen, nur dass ständig das Telefon klingelt. An diesem Dienstag also will ein Kanadier wissen, ob man Fischlederschuhe über den Atlantik verschicken könne.

Fisch? Leder? Schuhe? Was bei Ureinwohnern nördlicher Gefilde als Mittel zum Überleben diente, hat längst auch das Oberbayern des 21. Jahrhundert erreicht. Genauer gesagt die Stadt Grafing, wo zwei Brüder in der Schuhwerkstatt Koppitz Lederschuhe mit Fischleder-Überzug herstellen. Maßgeschneidert, versteht sich, der Kanadier müsste also schon persönlich in der Familienwerkstatt in Grafing vorbeischauen, um dort seinen Fuß vermessen zu lassen.

Bedächtig hebt der kleine Bruder Michael Koppitz, 22, einen länglichen Karton aus einem Aufbewahrungsraum. Darin lagert die Hauptzutat für das Mode-Experiment der Schuhmacherbrüder, das sich bis nach Übersee rumgesprochen hat: Leder von Lachs, Seewolf, Rochen, Stör, mal rau, mal weich wie Kuhleder, mal in typischem Schuppenlook, mal gepunktet. Gemein haben sie, dass sie geruchsneutral sind - der Fischgeruch geht beim Gerben verloren. "Am beliebtesten ist der Lachs", sagt Florian Koppitz, der zusammen mit seinem Bruder mittlerweile etwa 45 Paare im Jahr herstellt. Geplant war das so nicht.

Geschäftsidee: Florian und Michael Koppitz entdeckten die Marktlücke, aus störrischem Fischleder so elegante wie robuste Maßschuhe herzustellen.

Florian und Michael Koppitz entdeckten die Marktlücke, aus störrischem Fischleder so elegante wie robuste Maßschuhe herzustellen.

(Foto: Christian Endt)

"Wir wollten einfach mal wissen, wie sich Fischleder anfühlt", sagt Michael, der wie sein Bruder durch die Schuhmacher-Schule von Vater Walter Koppitz ging und zur fünften Generation gehört, die im Familienbetrieb Schuhe herstellt. Beim Stöbern auf der Website eines Großhandels sei er auf das Fischleder gestoßen - und bestellte probehalber gegerbte Fischhaut von Lachs und Wels. "Wir konnten uns nicht vorstellen, dass das überhaupt tragbar sein würde", sagt Michael Koppitz. Die Zweifel der Brüder hatten ihren Grund: Denn Fischleder ist bis zu 20 mal so zäh wie Rindleder - und dementsprechend widerspenstig, wenn das papierartige Material über den unnachgiebigen Leisten gezogen werden soll.

Schuhe aus Lachs? "Am Anfang war das eine Katastrophe."

"Am Anfang war das eine Katastrophe", sagt der ältere Bruder und holt einen hölzernen Fußleisten hervor, vom dem sich das Lachsleder seitlich abrollt. Eine Anleitung zur Bändigung von Fischhaut auf Maßschuhen gab es nicht, "wir mussten uns alles selber beibringen." Zum Beispiel, mit dem Leder verschiedener Fische umzugehen. "Jede Fischart ist da anders", sagt Florian Koppitz. Eine Lösung ist, keine Ganzlederfischschuhe zu fertigen, sondern das Fischleder als Seitenstreifen oder auf der Vorderkappe als Verzierung auf herkömmlichem Leder aufzunähen.

Eine weitere Schwierigkeit: Die kleine Oberfläche der Meerestiere, die oft Narben davontragen - und deren gegerbte Häute auch bei der Verwendung mehrerer Fische trotzdem ein optisch einheitliches Schuhpaar ergeben soll. "Da hilft nur, die Lederstücke zusammenzulegen und zu vergleichen", sagt Florian Koppitz.

Bis einer - und zumeist sind es Männer - sein exklusives Paar mit Stör oder Wels aus dem Wasser auf dem Land zur Schau tragen kann, ist viel Geduld gefragt: Die Wartezeit beträgt momentan ein halbes Jahr. Das liegt auch an der aufwendigen handwerklichen Vorarbeit: Der Fuß des Kunden wird vermessen, ein Holzleisten geschliffen (ein Holzfuß mit denselben Maßen wie der Kundenfuß), der Schaft gefertigt, um den das Leder zunächst probehalber gelegt wird. Sobald die mühsame Vorarbeit getan ist, dauert es dann 3 Tage bis zu einer Woche, bis der eigentliche Schuh fertig ist. Weil die Schuhe auch immer wieder trocknen müssen, könne man auch an mehreren Maßschuhpaaren parallel arbeiten, sagt Florian Koppitz.

Besonders sportlich wird es in der letzten Phase beim aufwendigsten Schritt: Dem Vernähen. "Da gibt es schon mal Blasen", sagt Florian Koppitz und öffnet die Handfläche: Von seinen Bemühungen, das kompromisslose Fischleder mit extra engen Stichen zu bändigen, zieht sich Hornhaut über die Innenflächen. Eine mühsame Handarbeit, die - auch wegen des aufwendigen Gerbens - ihren Preis hat: "Bei knapp 1000 Euro geht's los", sagt Florian Koppitz, nach oben sei alles offen. Die bisher extravaganteste Anfertigung, bei der die Koppitzer den kompletten Schuh mit dunkelblauem Perlrochenleder überzogen und weiße Schlitze als Augen dienten, hat den Käufer aus dem Landkreis 2000 Euro gekostet.

Wer gibt so viel Geld für Schuhe aus?

Wer gibt so viel Geld für ein paar Schuhe aus? "Viele sind selber Handwerker", sagt der 54-jährige Vater. Handwerker hätten ein ganz anderes Werteverständnis - und legten Vertrauen in die Arbeit des Familienbetriebs, deren Fischschuhe besonders lange halten sollen - und eben auch besonders nachhaltig seien. "Kein Tier muss extra sterben", betont Florian.

Die Fischhäute bezieht die Familie aus einem Gourmet-Fischhandel in Salzburg; in verschiedenen Orten in Bayern werden die Fischhäute, die sonst im Abfall gelandet wären, zu Leder gegerbt, bevor sie für ihre Verewigung auf deutschen Schuhen nach Grafing gebracht werden. Ein vermarktungsfähiger Ansatz, der dem Betrieb neben seinen Maßschuhen und Reparaturen mittlerweile ein weiteres Standbein beschert hat. Auf dem Weg dahin half auch, dass der Betrieb im Jahr 2015 für die Fischlederschuhe den Bayerischen Staatspreis im Bereich "Gestaltung" gewann. "Das war der absolute Durchbruch", sagt der Vater und stemmt eine Hand in die Hüfte. Und wenn das Trio trotz Spontanbesuchs an diesem Dienstag die Geschichte hinter den Fischschuhen erklärt, dann merkt man, dass sie das nicht zum ersten Mal machen.

Es scheint paradox: Während andere Handwerksbetriebe in Zeiten von Massenproduktion dichtmachen, haben die Koppitz-Brüder ein Abfallprodukt kurzerhand in eine tragende Säule ihrer Existenz als Schuhmacher verwandelt. Sechs Jahre nach ihrer Premiere machen die Fischlederschuhe inzwischen etwa ein Viertel des Umsatzes aus. "Das tut dem ganzen Betrieb gut", sagt der Vater zu der kreativen Diversifizierung des Geschäfts, die sich nicht nur auf die Fischschuhe seiner Söhne beschränkt.

Im letzten Sommer hat die Schuhmacherfamilie auch einen eigenen Haferlschuh namens "Gauplattler" entwickelt, aus herkömmlichem Leder. Den stellt die Familie mittlerweile in Serie her; "das hätten wir vor einem Jahr nie gedacht", so der Vater. Oder, dass Menschen aus dem Ausland anrufen und nach den Fischlederschuhen fragen: "Die können wir aus der Entfernung natürlich nicht anfertigen."

Dass Gauplattler und Fischlederschuhe trotz der gehobenen Preise so gut ankommen, schreibt das Trio vor allem einem neuen Zeitgeist zu: "Die Leute wollen wieder wissen, wo die Produkte herkommen", sagt Sohn Florian. Die Menschen würden auch wieder mehr reparieren lassen als vor zehn, fünfzehn Jahren, sagt der Vater. "Es ist eine echte Umbesinnung von der Wegwerfgesellschaft da." Das, so der ältere Sohn, spiele dem kreativen Trio natürlich in die Karten. "Wer hätte vor zehn, fünfzehn Jahren schon Schuhe mit Fischleder getragen?"

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