Gericht:Unsittlich, aber kein Missbrauch

Lesezeit: 2 min

Ein Student masturbiert in der Umkleidekabine eines Schwimmbads. Exhibitonismus kann ihm aber nicht nachgewiesen werden, er wird freigesprochen

Von Serafine Dinkel, Ebersberg

"Kein erkennbarer Strafbarkeitsbestand" existiere, so Pflichtverteidiger Philip Müller zu Beginn der Verhandlung am Amtsgericht Ebersberg. Nach Verlesung der Anklageschrift erschien dies zunächst nicht ganz nachvollziehbar. Der angeklagte Student soll im Oktober 2014 auf dem Boden einer Damenkabine des Schwimmbads in Markt Schwaben masturbiert haben. Ihm sei auch bewusst gewesen, dass sich in der Kabine nebenan zwei Grundschülerinnen im Alter von neun und zehn Jahren umzogen; es habe Blickkontakt gegeben. Danach hatte sich der Mann auffällig lange in der Kabine versteckt.

Reif und überraschend deutlich wirkten die Aussagen der beiden Mädchen in der per Video übertragenen ermittlungsrichterlichen Vernehmung. Staatsanwaltschaft, Anklage und Verteidigung bemerkten dies mehrmals und betonten, sie hätten "keinen Belastungseifer" gezeigt. Die Mädchen hatten die Situation zwar als "komisch" und den deutlich hör- und als Masturbation erkennbaren Akt als "sehr unangenehm" empfunden. Jedoch war ihnen erst beim Gespräch mit der Mutter eines Mädchens klar geworden, dass es sich möglicherweise um eine Straftat handelte.

Wollte der Mann gesehen werden? Das war die Frage, die geklärt werden musste

Der Angeklagte selbst zog es vor, sich nicht zu äußern. Mit Brille und schwarzem Kapuzenpulli wirkte er unauffällig, seine Bewegungen eher unsicher. Dem Verfahren schien er aufmerksam, aber unbeteiligt zu folgen. Wenn ihm angeboten wurde, das Wort zu übernehmen, lehnte er fast trotzig ab.

Von Anfang an bestand für alle Parteien kein Zweifel daran, dass der Angeklagte auf dem Kabinenboden masturbiert hatte. Wie die Staatsanwältin erklärte, war der "springende Punkt" aber, ob er beabsichtigt hatte, dabei gesehen zu werden. Ihr zufolge wäre dies eindeutig: Er hätte sich wissentlich der möglichen Beobachtung von außen und durch die Nebenkabine ausgesetzt. Bewusst hätte er sich nicht auf die Sitzbank, sondern auf den Boden gesetzt und somit seinen nackten Unterkörper dem breiten Spalt unter der Kabine preisgegeben.

Auch als es zu Augenkontakt mit einem der Mädchen gekommen war, hatte er den Akt nicht unterbrochen. Die Anklage äußerte, dem Angeklagten hätten die Kinder wohl als "Mittel zum Zweck" der sexuellen Befriedigung gedient. Staatsanwaltschaft und Anklage forderten eine achtmonatige Freiheitsstrafe mit Möglichkeit zur Aussetzung auf Bewährung.

Die Kinder seien nicht gravierend beeinträchtigt worden, sagt der Verteidiger

Die Verteidigung sah dies anders und warf der Staatsanwältin vor, eine "Anleitung" zu korrekter Masturbation im Schwimmbad, nämlich blickgeschützt auf der Sitzbank, geliefert zu haben. Verteidiger Müller distanzierte sich moralisch von der Tat seines Mandanten. Dessen auffälliges Versteckverhalten hinterher aber sei verständlich. Er sei bei etwas Verpöntem erwischt worden und habe daher weder Kindern noch Eltern begegnen wollen.

Müller betonte, dass die Kinder durch die Tat nicht gravierend beeinträchtigt worden seien und dass der Angeklagte nicht beabsichtigt hatte, von den Mädchen wahrgenommen zu werden. Die Handlung sei daher auch nicht als exhibitionistisch oder als Erregung öffentlichen Ärgernisses zu werten. Schließlich habe sich der Angeklagte in der Einsamkeit der Kabine gewähnt.

Dieser Argumentation schloss sich Richter Dieter Kaltbeitzer an. Auch seiner Meinung nach war das Verstecken des Angeklagten eine natürliche Reaktion darauf, bei einer von der Gesellschaft als "verwerflich" und "unsittlich" gewerteten Handlung erwischt zu werden. Er sprach den Angeklagten vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs frei und schloss gleichzeitig zukünftig einzubringende Klagen aufgrund von Exhibitionismus oder Erregung öffentlichen Ärgernisses im Zusammenhang mit derselben Tat aus.

© SZ vom 03.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: