Gedenkfeier Poing:Die Erinnerung lebendig halten

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Es geschah vor genau 66 Jahren: In Poing machte der Todeszug Halt, doch die Hoffnung der Häftlinge auf Freiheit erfüllte sich nicht. Gemeinsam mit Holocaust-Überlebenden, darunter Max Mannheimer, gedachte die Gemeinde Poing jetzt der Opfer.

Barbara Mooser

Hinter dem kleinen Park brausen die Züge vorbei, von den Bäumen tropft es. Doch die Aufmerksamkeit der Menschen, die sich vor dem kleinen Denkmal versammelt haben, trübt das nicht. Ein älterer Herr steht vor ihnen, seit 66 Jahren war er nicht mehr in Poing. Er spricht von Unfasslichem. 20 Familienmitglieder hat Stephen Robert Nasser im Holocaust verloren, sein älterer Bruder Andris starb im KZ-Außenlager Mühldorf in seinen Armen. Als 14-Jähriger überlebte Nasser, der aus einer jüdischen Familie in Ungarn stammt, die Schreckensfahrt im sogenannten Todeszug nach Seeshaupt - als einziger seines Waggons. Davon erzählt der heute 80-Jährige an diesem Nachmittag - aber auch von der Liebe, vom Wert der Familie und davon, dass man die Toten nie ganz verliert, wenn man nur die Erinnerung an sie lebendig hält.

An der Gedenkfeier anlässlich des Todeszuges am Poinger Mahnmal nehmen auch Leslie Schwartz, Max Mannheimer und Stephen Robert Nasser teil -, Männer, die ihre Angehörigen im KZ verloren haben. (Foto: Christian Endt)

Die Erinnerung lebendig halten, das ist auch das Ziel dieser Gedenkstunde der Gemeinde am Mahnmal nahe des S-Bahnhofs. Denn vor 66 Jahren, am 27.April 1945, hat der Todeszug in Poing wegen eines Lokschadens Halt gemacht. Viele der dreieinhalbtausend Häftlinge, die nach der Auflösung des Lagers in Mühldorf in die Waggons gepfercht worden waren, hofften, dass in Poing ihr Leid ein Ende finden würde: Weil das Gerücht aufkam, der Krieg sei vorüber, versuchten viele der Gefangenen die Flucht. Doch für mehr als 50 von ihnen endete der Versuch tödlich. Auch für einen Freund von Max Mannheimer, wie der 91-Jährige bei der Gedenkstunde in Poing erzählt. Mannheimer selbst konnte seinen Bewachern ebenfalls nicht entkommen. Mit Gewehrstößen in die Rippen trieb ihn ein Soldat zurück in den Waggon. Kurz vor Tutzing wurde Mannheimer befreit.

Wie Mannheimer und Nasser gehören auch Leslie Schwartz und Lolek Wynreb zu den Überlebenden des Todeszuges, die an diesem Mittwoch an der Gedenkfeier in Poing teilnehmen. Während Schwartz und Nasser in die USA ausgewandert sind, lebt Wynreb heute im Poinger Seniorenzentrum. Die Erinnerung wachzuhalten, ist auch ihnen ein Anliegen: Schwartz hat bereits in der Vergangenheit mehrmals Schülern in der Region von seinen fürchterlichen Erlebnissen erzählt, 2010 hat er auch seine Biographie herausgebracht. Nasser hat seine Erlebnisse im gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Die Stimme meines Bruders" verarbeitet. Dabei hat er auf Tagebücher zurückgegriffen, die er in Auschwitz und Mühldorf geführt hat.

An diesem Nachmittag in Poing sprechen Mannheimer und Schwartz für die Verstorbenen das jüdische Kaddisch-Gebet, der katholische Pfarrer Michael Holzner und der evangelische Pfarrer Herbert Specht hatten zuvor an die Verpflichtung erinnert, aus der Vergangenheit zu lernen und Verantwortung für andere zu übernehmen. "Wir können die Vergangenheit nicht ändern, doch wir können für die Zukunft daraus lernen, dass Vergleichbares nie wieder geschieht", sagt auch Bürgermeister Albert Hingerl, der seine große Hochachtung und Bewunderung für die vier Holocaust-Überlebenden deutlich macht: "Sie haben ihre Erlebnisse und ihren Schmerz nach außen gelangen lassen. Und dennoch bleiben die leidvollen Erfahrungen immer in ihrem Innersten."

In Poing gibt es das Mahnmal, das an den Todeszug erinnert, erst seit einem Jahr. Dass die schrecklichen Ereignisse von damals überhaupt wieder stärker ins Bewusstsein der Menschen gebracht wurden, ist nicht zuletzt Markt Schwabener Gymnasiasten zu verdanken. Sie haben sich intensiv mit dem Nationalsozialismus im Landkreis beschäftigt und dabei auch zwei Ausstellungen konzipiert. Eine von ihnen beschäftigte sich mit den Stationen des Todeszugs. Für ihre Arbeit sind die Markt Schwabener Schüler unter anderem mit dem Mühldorfer Geschichtspreis ausgezeichnet worden.

© SZ vom 29.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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