Gastdirigent und Intendantin im Gespräch:Herz und Ohr weit geöffnet

Die Münchner Symphoniker spielen im Alten Speicher. Auf dem Programm stehen Stücke mit heiterer Note

Interview von Rita Baedeker

Mit ihrer "Serenata Out of Town" gastieren die Münchner Symphoniker unter der Leitung des französischen Gastdirigenten Olivier Tardy am Freitag, 3. März, erstmals im Alten Speicher Ebersberg. Auf dem Programm stehen Kompositionen von Johann Sebastian Bach bis Leroy Anderson. Im Orchesterbüro unweit der Bavaria-Musikstudios in der Nähe des Rosenheimer Platzes sprechen Annette Josef, Intendantin des Orchesters, und Olivier Tardy mit der SZ über ihre musi- kalische Arbeit und die spannenden Erfahrungen mit dem Publikum in kleinen Städten.

SZ: Die Region München ist mit hochwertiger Kammermusik gut versorgt. Allein im Landkreis Ebersberg gibt es drei solcher Reihen. Orchesterkonzerte von professioneller Qualität sind dagegen selten. Wollen Sie diese Lücke füllen? Oder wie kam es zu diesem Gastspiel?

Annette Josef: Wir haben vor einem Dreivierteljahr einen Anruf von Markus Bachmeier aus Ebersberg erhalten und wurden gefragt, ob wir uns so etwas vorstellen können. Wir haben ja schon zwei Mal open air in Ebersberg gespielt, das ist ein paar Jahre her. Was ich noch nicht kannte, war der Alte Speicher, so wie er jetzt ausgebaut ist. Bei einem Treffen lernten wir nun den Saal kennen. Wir kommen da sehr gerne hin. Wir werden zwar nicht mit allen 60 Musikern anrücken. Aber: Wir haben ein schönes, buntes Programm, sehr farbenreich, in dem man alle Facetten des Orchesters zeigen kann. Damit probieren wir das Ganze erst mal aus und gucken, wie es uns allen damit geht. Und wenn wir das alle mögen - die Ebersberger ebenso wie die Münchner Symphoniker - kommen wir auch gerne wieder.

Olivier Tardy: . . . Und ich lese natürlich mit Freude die französischen Namen auf dem Programmzettel: Fauré, Chaminade, Debussy.

Der Alte Speicher in Ebersberg wäre doch vielleicht zeitweise eine mögliche Lösung für das Münchner Konzertsaal-Problem.

Josef (lacht): Ich mache jedenfalls immer meine typische Handbewegung, wenn ich in einen Saal komme, den ich noch nicht kenne (klatscht in die Hände). Ich bin dann neugierig, wie es mit dem Orchester auf der Bühne funktioniert. Auch im Alten Speicher habe ich den Test gemacht. Hat geklappt.

Die Konzertreihe "Out of Town" hat ein spezielles Profil. Wie ist es entstanden ?

Josef: Wir schauen uns immer zunächst den Spielort an, recherchieren, wie viele Musiker in einen Saal passen, und wie viele Zuschauer, überlegen, was könnte da funktionieren. Stolz sind wir darauf, dass wir immer hauseigene Solisten aus unserem Orchester mitbringen können. Nach Abstimmung mit unserem Gast-Dirigenten Olivier Tardy haben wir dann dieses farbenreiche Programm ausgewählt.

Tardy: Ein schönes buntes Programm mit französischem Touch (lacht).

Welche Idee liegt dieser Musikauswahl zugrunde? Gibt es eine Dramaturgie, einen roten Faden?

Josef: Wir haben Stücke ausgesucht, nach dem Motto: Kennt man zwar, aber man weiß nicht woher. Im Programmheft findet man dann Komponisten und Titel. Eine reizvolle Idee, finde ich.

Tardy: Es sind sehr interessante Werke dabei, von Johann Sebastian Bach bis Leroy Anderson, die ganze Palette und Historie der Musik.

Auch eine Komponistin steht auf dem Programmzettel, Cécile Chaminade, die 1944 starb, mit ihrem Concertino für Flöte und Orchester.

Josef: Viele Leute, die Flöte lernen, spielen das irgendwann mal. Es taucht aber ganz selten auf einem Spielplan auf. . .

Tardy: . . . ich habe es auch gespielt, als Teenager. Jeder Flötist kennt es.

Wird das Konzert eine Eintagsfliege sein oder haben Sie die Absicht, eine eigene Reihe in Ebersberg zu etablieren?

Gastdirigent und Intendantin im Gespräch: Raus aus der Stadt: Die Münchner Symphoniker freuen sich auf das Konzert am Freitag in Ebersberg.

Raus aus der Stadt: Die Münchner Symphoniker freuen sich auf das Konzert am Freitag in Ebersberg.

(Foto: Stephan Rumpf)

Josef: Das müssen wir mit Markus Bachmeier besprechen. Die Nachfrage ist sicher da, sonst hätte man uns nicht engagiert. Aber es muss passen. Das Münchner Orchester und das Ebersberger Publikum müssen sich erst kennenlernen.

Ist das Publikum draußen auf dem Land anders als in München, wo andauernd Orchester von Weltrang musizieren?

Josef: Wir haben mit unseren Out-of-Town-Konzerten an anderen Spielorten schon sehr gute Erfahrungen gemacht. In Orten, wo das Angebot nicht so umfangreich ist wie in der Großstadt, ist die Neugierde größer. In den kleinen Städten gibt es ein kompetentes Publikum, das sehr eigenständig mit dem musikalischen Angebot umgeht und auch mal Wünsche äußert. Da erfahren wir dann zum Beispiel, dass die Leute sich etwas von Strawinsky wünschen und nicht immer nur die alten musikalischen Schlachtrösser hören wollen. Der Kontakt zum Publikum ist da wichtig; mir liegt daran, dass klar ist, dass wir nicht bloß alle fünf Jahre mal vorbeischweben.

Tardy: Das kann ich nur bestätigen. In München ist ein Konzert oftmals eine Sache der Routine. In einer kleinen Stadt ist es etwas Besonderes. Das Publikum reagiert lebhafter.

Josef: Und es kommt zu lebhaften Reaktionen und Diskussionen. Einmal, nach einem Konzertabend in Kempten, kam ein Zuhörer zu uns und erklärte, eines der schwierigen Stücke, die wir letztens gespielt hatten, habe er ganz fürchterlich gefunden. Aber er habe sich anschließend damit beschäftigt. Das freut uns. Großartig, dass Leute sich mit Musik auseinandersetzen, auch wenn sie ihnen nicht gefällt. Es ist eine große Offenheit für Unbekanntes da. Das ist auch für uns eine Herausforderung. Solche Erlebnisse haben wir recht häufig.

Sie haben seit einiger Zeit einen neuen Chefdirigenten, Kevin John Edusei. Er hat dem etwas altmodischen Image des Orchesters frischen Wind verpasst, das Ensemble hat sich verjüngt. Bleibt es dennoch bei dem bevorzugt klassisch-romantischen Repertoire ?

Josef: Wir sind ein mittelgroßes Sinfonieorchester und haben ein dieser Größe entsprechendes Repertoire. Grundsätzlich gilt: Die Programmzusammenstellung ist in erste Linie eine emotionale Sache. Jeder Mensch hat einen leichten Zugang zur Musik, und zwar über die Empfindung. So schön das ist, wenn in einem Programm alles klanglich, stilistisch und musikgeschichtlich zusammenpasst, es nützt alles nichts, wenn keine Emotionen transportiert werden. Unsere Prämisse für ein interessantes Programm ist, Emotionen hervorzurufen. Und das geht einfacher, wenn man verschiedene Stilformen und Epochen zusammenbringt. Bei "Out of Town" spannen wir einen großen Bogen von Bach bis Leroy Anderson. Von der Anmutung her ist das alles Musik, die aus einer gewissen tänzerischen Leichtigkeit entstanden ist. Daher der Titel "Serenata". Es werden keine schwierigen düsteren Stücke aufgeführt, alles hat eine heitere Note. Und es gibt auch etwas zu entdecken. Es macht jedoch auch keinen Sinn, Stücke zu spielen, die keiner kennt, ohne inneren Zusammenhang. Das Publikum muss die Möglichkeit haben, Dinge einzuordnen. Dazu gehört auch, dass der Dirigent oder die Intendantin das Wort ergreifen, und erklären, was wir da machen.

Tardy: Gerade Zsoltán Kodálys Tänze aus Galantha etwa sind keine gefällige Musik, sie sind harmonisch nicht einfach, sondern für den Zuhörer eine Herausforderung.

Josef: Diese Stücke sind eine Verbeugung vor einer Zeit, vor einer Stadt, vor einem Umfeld, es sind Stücke, die haben den Komponisten und sein musikalisches Schaffen geprägt. Das ist nicht nur Tanz, da ist auch eine starke emotionale Konnotation. Einerseits sind seine Melodien sehr mitreißend, andererseits voll tiefer Emotionen jenseits des bloßen Tanzrhythmus.

Herr Tardy, Sie sind Musiker, Soloflötist. Sie arbeiten mit vielen verschiedenen Orchestern: Worin unterscheiden sich die Münchner Symphoniker von den anderen Orchestern, mit denen Sie zu tun haben?

Tardy: Ich kenne die Münchner Symphoniker seit 20 Jahren, ich habe als Flötist im Orchester mitgespielt. Lustigerweise oder zufälligerweise war meine Schwiegermutter die Assistentin von Kurt Graunke, dem Gründer des Orchesters (lacht). Ich habe daher eine besondere Affinität zu den Musikern, die ich alle gut kenne. Es ist eine sehr angenehme Arbeit. Ich wohne auch nicht weit weg, bin quasi hier zu Hause.

Josef: . . . Ja, mit dem Fahrrad fünf Minuten den Berg runter, rauf zehn Minuten.

Tardy: . . . und so konnte ich die Entwicklung des Orchesters mitverfolgen. In den vergangenen fünf Jahren beobachte ich eine riesige Steigerung der Qualität. Annette Josef und Kevin John Edusei haben viel frischen Wind hineingebracht. Das Orchester ist heute sehr vielseitig, was zum Beispiel auch die Zusammenarbeit mit einer bayerischen Band wie Dreiviertelblut zeigt. Grenzen überschreiten, das machen nicht viele Orchester.

Gastdirigent und Intendantin im Gespräch: Intendantin Annette Josef und Gastdirigent Olivier Tardy sind auf ein neugieriges und kompetentes Publikum gespannt.

Intendantin Annette Josef und Gastdirigent Olivier Tardy sind auf ein neugieriges und kompetentes Publikum gespannt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Müssen Sie als Dirigent alle Instrumente mit ihren jeweiligen Klangfarben und Spielweisen beherrschen?

Tardy: Ich spiele Klavier, ziemlich schlecht (lacht), hatte mal Geigenunterricht, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was die Streicher empfinden. Ich bin aber Flötist geworden. Und ich habe genau das richtige Instrument gewählt!

Welche Art von Musik mögen Sie persönlich am liebsten?

Tardy: Ich habe ein Händchen für französische Musik, Ende 19. Anfang 20. Jahrhundert, phasenweise schätze ich auch russische und östliche Musik sehr. Smetana und Prokofiew. Etwas mehr französische Musik im hiesigen Konzertkalender wäre schön. Sie hat jedoch einen anderen Charakter, besitzt weniger Melodie, mehr Farbe und ist weniger fassbar. Der Zugang ist etwas schwieriger.

Sie engagieren sich mit viel Leidenschaft in der Jugendarbeit.

Tardy: Wir müssen uns da Gedanken machen und Gas geben. Das G 8 ist ein großes Problem. Wenn Musik in der Schule heute eine miserable Rolle spielt, dann ist das schlecht. Nicht jede Familie kann sich Musikunterricht für die Kinder leisten. Deshalb gibt es bei uns in der Staatsoper Probenbesuche für Schulen, kleine Formate, Familien- und Schulvorstellungen in den Vormittagsstunden. Da kommen bis zu 2000 Kinder.

Josef: Das Wichtigste dabei ist der Erstkontakt. Es ist nicht mehr normal, dass man zu Hause klassische Musik hört. Und viele junge Erwachsene sind zwar neugierig, aber die Schwelle ist dennoch hoch. Als Sinfonieorchester hat man bei der Jugend oft ein verstaubtes Image. Dass man zum Beispiel ausgezischt wird, wenn man an der falschen Stelle klatscht, und dass man sich fein anziehen muss. Dann kommen Fragen wie: Ja, was muss ich denn da vorher lesen? Kann ich da überhaupt hingehen? Worüber muss ich in der Pause reden? Wenn ich so etwas höre, läuft es mir kalt den Rücken runter. Das ist nicht Sinn und Zweck der Sache. Jeder soll sich so anziehen, wie er sich wohlfühlt. Jeder hat ein Herz in der Brust und Ohren am Kopf, es geht darum, offen zu sein und das Ganze in sich aufzunehmen.

Tardy: Wir hatten jetzt bei diesem Programm drei oder vier Schulen zu Besuch. Erstaunlich ist: Gerade bei Kodály waren die begeistert. Sie konnten Trompete und Posaune ausprobieren, da hat man nur fröhliche Gesichter gesehen. Der Erstkontakt ist vor allem für Kinder von sechs bis acht Jahren wichtig.

Josef: Wir dürfen allerdings keine zu hohe Erwartungshaltung haben. Diejenigen, die als Kinder ein Instrument lernen, gehen natürlich auch im Teenageralter ins Konzert. Und bei den anderen gilt: Wenn der Erstkontakt gut gelaufen ist, dann haben wir die Chance, dass sie auch wiederkommen. Wenn da keine oder keine gute Erfahrung da ist, dann werden die, wenn sie aus dem Gröbsten raus sind, nicht im Traum auf die Idee kommen, ins Konzert zu gehen. Unsere Chance ist, frühzeitig und auf leichte Art einen Zugang zur Musik zu legen und klar zu machen, dass Konzerte Spaß machen, dass Musiker im Frack durchaus auch Humor haben.

Tardy: Bei Proben ist das vielleicht einfacher. Die Barriere zwischen Publikum und Orchester ist leicht zu überwinden, denn es besteht ein direkter Kontakt zu Musikern und Dirigent.

Josef: Ein Dirigent ist für Kinder superfaszinierend. Bei Proben für eine Grundschulklasse fragte mal ein Bub den Dirigenten, was er mache, wenn er während eines Konzerts aufs Klo müsse. Die Lehrerin war peinlich berührt. Damals war Georg Schmöhe Dirigent. Der erklärte dem Buben dann, dass eine solche Situation nicht entstehe, weil er während eines Konzerts viel zu beschäftigt sei, um auf die Toilette zu müssen.

Tardy: Kinder sind eben unbefangen, sie haben keine Angst vor Dirigenten und keine vor der Moderne.

Josef: Sie haben eher Schwierigkeiten, bei Haydn oder Beethoven bei der Stange zu bleiben, als bei modernen Kompositionen. Ein Orchesterkonzert ist ein akustisches Erlebnis, das unter die Haut geht. Das fasziniert Menschen aller Altersstufen.

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