Frauenneuharting/Steinhöring:Schneise der Verwüstung

Ein lokales Unwetter sucht am frühen Samstagabend die Gegend um Frauenneuharting heim. Die Einwohner kämpfen mit voll gelaufenen Kellern, zersplitterten Bäumen und einer zerstörten Ernte

Von Alexandra Leuthner, Frauenneuharting/Steinhöring

Gegen viertel vor sechs Uhr ist es am Samstagnachmittag, als das Katastrophenwarnsystem Katwarn die angeschlossenen Smartphones im Südosten von München heiß laufen lässt. Doch selbst die Eilmeldung, die vor Starkregen, Sturmböen und Hagel warnt, hätte Petra Maier, zu Hause in Sensau, wohl nichts genützt. Die 46 Hühner, die im Stall in den Wassermassen ertrunken sind, die vom Hang hinter Sensau herunter kamen, hätte sie nicht retten können, sagt sie, als sie am Tag danach inmitten der Zerstörung steht, die der Sturm hinterlassen hat.

Als das Unwetter um 18 Uhr über dem Weiler und der Nachbargemeinde Frauenneuharting herein bricht, tut sie gut daran, die Haustüre nicht mehr zu öffnen. Irgendwann in den folgenden zehn bis 20 Minuten fliegt das Eisengestell des großen Trampolins vorbei, das sie für die Kinder in ihrem Garten stehen hatte, und landet etwa 150 Meter weiter auf dem Autodach ihrer Schwägerin vor dem Nachbarhaus. Der Sturm drückt das Wasser durch die Rahmen ihrer Fenster ins Innere. Nebenan, wo der Schwiegervater Roman wohnt, dringt das Wasser durch die Türen. Das Rinnsal, von dem in der schwülen Hitze des nächsten Tages die Bremsen auffliegen, verschwindet jetzt in einem schmalen Rohr unter der Straße, die von Steinhöring kommend nach Süden führt. "Gestern is des Wasser überganga', des heißt bei uns bloß der Bach", sagt Maier. Vom Feld kommt der Schwiegervater herüber, wo seine Söhne mit Freunden Berge von umgestürzten Bäumen zersägen. Alles was von den Obstbäumen rund um die beiden Häuser übrig geblieben ist. "Im Haus", sagt er, "da war des Wasser noch nie."

Frauenneuharting/Steinhöring: In manchen Kellern stand am Samstagabend halbmeterhoch das Wasser.

In manchen Kellern stand am Samstagabend halbmeterhoch das Wasser.

(Foto: Christian Endt)

Die Kühe im Stall standen bis zum Bauch im Wasser

In der Ferne, unten in der Filzen, sieht man Menschen auf dem Dach einer Scheune klettern, sie versuchen, die Löcher zu reparieren, die der Sturm gerissen hat. Von den Maisfeldern, die sich hier üppig grün über die Hügel ziehen, steht kaum mehr etwas, "dabei war der Mais b'sonders guat in dem Jahr", klagt Rosemarie Perfler. Sie wohnt einen Kilometer weiter im Süden, direkt am Ortseingang von Lauterbach, wo das Wasser bei Starkregen "wie in einen Trichter hinein" fließt. "Wir sind immer die ersten, die es trifft", sagt sie. Auch diesmal wieder. Im Stall seien die Kühe bis zum Bauch im Wasser gestanden, die Liegeplätze der Kälber voll gelaufen. "Bis um 12 Uhr in der Nacht haben wir alle geschippt, meine Tochter mit Zwillingen im Bauch."

Am Waldrand hinter Lauterbach sind die Bäume zerfetzt, als wäre eine Riesenaxt angesetzt worden. Eine alte Eiche in Sensau hat die Ebersberger Feuerwehr noch in der Nacht abschneiden müssen, damit die vom Sturm beschädigten Reste niemandem auf den Kopf fallen können. "I war grad' mit dem Melken fertig", erzählt Regina Oswald. Sie hat einen schweren Stapel voll dick mit Wasser vollgesogener Zeitschriften im Arm und wirft ihn auf einen Anhänger, der vor ihrem Bauernhaus steht.

Frauenneuharting/Steinhöring: Der Sturm hinterließ ein Werk der Zerstörung.

Der Sturm hinterließ ein Werk der Zerstörung.

(Foto: Christian Endt)

Mit Dreck verschmierte Stiefel, Kleidungsstücke sind darauf aufgeladen. Vor dem Stall stehen meterweise provisorisch gespülte Einmachgläser, in der Küche sind Plastikbehälter gestapelt. Sie atmet schwer, als sie wieder aus dem Haus kommt mit einer weiteren Ladung Zeug aus dem Keller. "Da war der Wind plötzlich da, der is' nei ins Heu, des is' hoch gflogn." Sie habe die Stalltüren gerade noch schließen können. Lauterbach, ein Ortsteil von Frauenneuharting, liegt in einer Senke. Der Bach fließt hinter dem Hof der Oswalds vorbei. Als die Bäuerin am Samstagabend aus dem Stall rennt, hat er das Haus noch nicht erreicht, doch das Wasser, das vom Berg herunter schießt, läuft bereits durch den Hausgang, die Küche. Sie schafft es gerade noch, die Haustür mit Decken abzudichten, als er da ist. Durch einen Fensterschacht, 1,80 mal einen Meter breit, sucht er sich seinen Weg in den Keller, während die Bäuerin oben noch fassungslos aus dem Fenster starrt. Auf einem Foto, das sie schießt, kann man den großen Lagerschuppen, vielleicht 80 Meter vom Haus, nicht mehr sehen. Er ist hinter einer weißen Wand aus Hagelkörnern und Regen verschwunden.

Als die Frauenneuhartinger Feuerwehr kommt, um den Keller leer zu pumpen, stehen Wasser und Schlamm einen halben Meter hoch. Beim Eingang des Alarms in der Integrierten Leitstelle in Erding um 18.23 ist der Sturm schon durchgezogen. Weil der Strom im gesamten Ortsgebiet von Frauenneuharting ausgefallen ist, richtet die Feuerwehr eine mobile Einsatzzentrale vor dem Frauenneuhartinger Feuerwehrhaus ein. 20 Gehöfte oder Häuser im Umkreis sind betroffen, bis 23 Uhr, berichtet Kreisbrandrat Andreas Heiß, seien acht Feuerwehren im Einsatz gewesen, mit Notstromaggregaten und Tauchpumpen. In Lauterbach habe man auch die Pumpe einer Güllegrube wieder zum Laufen bringen müssen, weil die Grube überzulaufen drohte.

Frauenneuharting/Steinhöring: Meterdicke Bäume hat der Sturm umgerissen.

Meterdicke Bäume hat der Sturm umgerissen.

(Foto: Christian Endt)

Auch oben in Frauenneuharting und Jakobneuharting sind Höfe betroffen. Bis in die Nacht hinein versuchen die Oswalds, den Schlamm aus dem Keller zu schippen, Eltern, Freunde, Bekannte kommen noch in der Nacht zum Helfen. "Wenn es wenigstens sauberes Wasser gewesen wäre", sagt eine Nachbarin, deren Garten das Wasser in eine einzige Matschwüste verwandelt hat - nachdem es das Haus durchquert hatte. "Der Schlamm ist das Schlimmste." Auf das Dach ihres Hauses ist eine riesige Linde gefallen, die der Sturm, "der ist waagrecht daher gekommen", einfach so mit genommen hat. Eine Birke hat einen Kleinwagen getroffen. Er steht mit zersplitterter Frontscheibe und eingedrücktem Dach im Hof des Baggerunternehmens Heilmann.

Vor acht Jahren, erzählt Bäuerin Perfler, habe der Unternehmer das Bett des Bachs mit seinen Baggern ausgeweitet. Seither sei es nicht mehr vorgekommen, dass er derart über die Ufer getreten sei. Bis zum vergangenen Samstag. 60 Liter Regenwasser pro Quadratmeter sollen während des Unwetters gefallen sein, berichtet Kreisbrandrat Heiß. Wie hoch die Schäden sind, darüber können die Leute in Lauterbach und Umgebung erst anfangen nachzudenken, wenn der Schlamm fortgeräumt ist.

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