Fotografie:Blicke, Ohren, Finger spitzen

Fotografie: Der Camera-Club zeigt bei seiner Jahresausstellung im Markt Schwabener Rathaus, was die Mitglieder 2017 vor die Linse bekommen haben.

Der Camera-Club zeigt bei seiner Jahresausstellung im Markt Schwabener Rathaus, was die Mitglieder 2017 vor die Linse bekommen haben.

(Foto: Christian Endt)

Der Camera-Club Markt Schwaben blickt auf 2017 zurück und zeigt die Fotos des Jahres. Die Aktiven setzen in ihrer Arbeit weniger auf ausgefeilte Technik als auf Instinkt und den richtigen Moment

Von Victor Sattler, Markt Schwaben

Mit einem Finger fährt Günther Keil dem alten Mann "Werner" über seine topografisch anmutenden Fältchen und Furchen, streichelt ihm über die gestochen scharfen Härchen im Gesicht. "Hohe technische Qualität", lobt der Vorsitzende des Camera-Club Markt Schwaben mit Kennerblick, "eine starke Aura und ein Fingerspitzengefühl können eben auch in sehr schlichten Porträts stecken." Bei dem gepriesenen Werk handelt es sich um einen der "Drei Herren am Fenster" von Walter Schneider, die unter vielen anderen zur Jahresausstellung "Foto 2017" des Camera-Clubs im Markt Schwabener Rathaus-Foyer hängen - und die selbst als Fenster in die langjährige Arbeit von 17 Fotografinnen und Fotografen dienen.

Keil ist es gewohnt, bei den Werken seiner Kollegen einen Finger krumm zu machen und ihn auch mal in die Wunde des jeweiligen Bildes zu legen: Denn die Markt Schwabener Fotografen rühmen sich damit, dass sie sich zu genau sechs Anlässen im Jahr gegenseitig in vier verschiedenen Kriterien bewerten und sich den Spiegel vorhalten. So lernen sie laut Günther Keil, das Bauchgefühl zu minimieren, den ersten Blick einzubremsen und dafür sehr fundiert zu kritisieren. "Bei uns im Camera-Club gibt es bei der Auseinandersetzung und Bewertung mehr als nur gegenseitige Likes", erklärt Keil, "unsere Freude am Foto geht weit über das hinaus, was man in Social Media hat." Nicht bloß gegenüber neuen Medien und der Praxis des Likens ist er skeptisch, auch von moderner Nachbearbeitung hält der Vorsitzende nicht viel. In diesem Sinn sei die Jahresausstellung als Plädoyer zu verstehen: Dafür, schon während der Aufnahme eine künstlerische Wirkung zu erzeugen. Ein Plädoyer für den Experimentalstil. "Nicht zu Hause in Photoshop erst merken, was geht, sondern schon vor Ort und im Fluss des Fotografierens sich die Gedanken zu machen", formuliert es Keil.

Das ist das Stichwort für Petra Kreis. Die Fotografin des konkurrierenden "Fotoclub Vaterstetten" ist angereist und hat sich unter die Gäste gemischt - hoffentlich nicht, um einen Keil in den eingeschworenen Kreis der Markt Schwabener zu treiben? "Bei denen hier tun mir die Augen weh, wenn ich länger hinschaue", sagt Petra Kreis über "Olympisches Dorf abstrakt" von Erika Müller, die so stark mit ihrer Kamera schwenkte, dass es schwer ist, die Bungalows zu erkennen und nicht vor Schwindel nur noch Sterne zu sehen. "Aber das ist doch Gestische Fotografie!", verteidigt Günther Keil die Herangehensweise seiner Kollegin Müller, "da wird das Motiv zerlegt, das Bild wird aufgelöst, nur die Linien laufen noch gerade zu. Den Reiz macht das Experimentieren aus!" Von Petra Kreis gäbe es dafür wohl kein Like.

Beim Stöbern durchs Gästebuch der Ausstellung findet sich ein Kritikpunkt, welchen nun auch Kreis zur Sprache bringt: Die Markt Schwabener verraten weder den Aufnahmeort ihrer Bilder, noch die sogenannten Exif-Daten; also technische Parameter wie etwa die Brennweite, Belichtungszeit und Blendeneinstellung. Auf manchen Rahmen ist lediglich der Autor romantisch mit Bleistift notiert. "Mich hätte das ja alles interessiert", merkt Petra Kreis noch an, kurz bevor sie geht. "Was nützt das schon?", gibt Günther Keil in Bezug auf Exif ein wenig pikiert zurück.

Denn statt vieler unnötiger Daten will Keil wieder einen klaren Blick. "Die Welt jammert doch über immer komplexere Strukturen", hält er fest und leitet damit bereits zum Titel seines eigenen Triptychons über. Nicht bloß Schneiders natürliche, berührende Porträts am Fenster könnten Klarheit schaffen, sondern auch den Fensterputzern an der Fassade der Münchner Highlight Towers schreibt Günther Keil wegen ihres erhöhten Standpunkts besondere Orientierung und Fokus zu. Zur Verdeutlichung sind zwei verschiedene Aufnahmen des Towers übereinandergelegt worden und die vielen gegeneinander verschobenen Stahlstreben so kombiniert - nur die Putzer entspringen einer einzigen kohärenten Version. "So etwas kommt einem Fotografen gleich automatisch in den Kopf", sagt Günther Keil; noch dort, vor Ort, in der Tropfzone des Glasreinigers habe er die beiden Bilder mit seiner fähigen Kamera zusammengeführt. Dank Günther Keil sehen die beiden Fensterputzer in einer so komplexen Welt wieder klarer. Und dank den Herren Fensterputzern sieht Keil auch aus seinem Büro heraus.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: