Forstinning:Der Abgrund im Nebel

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Sabine Fröschl, Rudi Sedlmeier und Marlene Weiß im Moment der Wahrheit: Der Nebel reißt auf und eine von vielen Lügenschichten wird enthüllt. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Theaterfreunde beeindrucken mit neuer Produktion

Von Ulrich Pfaffenberger, Forstinning

15 Jahre hat die Frau als Sennerin auf der Alm verbracht, eines angeblichen Fehltritts wegen vom Ehemann verstoßen, des Sohnes beraubt, aus der Dorfgemeinschaft ausgeschlossen. Das Zeichen "Sünderin" umgibt sie wie eine schmutzige Aura, als Mörderin gilt sie zudem, weil der vermeintliche Geliebte spurlos verschwunden ist. Ihre Seele leidet, die Einsamkeit oben am Berg ist ihr Schutz gegen noch mehr Elend, der immer wiederkehrende Nebel blockiert den Blick ins Tal und zurück, er lässt Vermutungen, Gerüchte und Vorurteile gedeihen. Ein Einstiegsszenario, das auf ein erwartbares Ergebnis hinführte - wenn sich Autor Ralph Wallner der üblichen, schlichten Versatzstücke aus der Bastelkiste alpenländischer Bühnendramen bediente. Tut er aber nicht. Vielmehr wagt er sich in "Nebelreißn" tief in die Abgründe menschlichen Daseins und zwischenmenschlicher Verstrickungen - wann immer eben die Nebel aufreißen, die wir schützend um uns hüllen oder vorsichtshalber dorthin schieben, wo wir etwas partout nicht sehen wollen.

Das Ensemble der Theaterfreunde Forstinning um Regisseurin Alexandra Tschernik nimmt das Stück in einer Art und Weise an, die im oberen Niveau dessen agiert, was man von einer Laienbühne erwarten darf. Mit einem Rollenverständnis, das nah an Identifikation grenzt, schaffen die Schauspieler eine berührende Nähe, die vergessen lässt, dass sie ja nur in eine Rolle schlüpfen. Selbst dort, wo bei der Premiere am Samstagabend noch etwas Lampenfieber zwickt, lassen sie mit sicherem Auftritt und selbstbewusster Gestik die eng verwobenen Erzählfäden der Geschichte nicht abreißen. Sabine Fröschl als tragische Heldin, Korbinian Angermeier als Halt suchender Sohn, Markus Manz als irregeleiteter Liebhaber, Marlene Weiß als vermeintlich weise Freundin, Rudi Sedlmeier als grober Großbauer, Theresia Hörndl als junge Magd: Sie alle überzeugen, gerade in den schwierigen Passagen ihrer Rollen. Beim Weinen, beim Lügen, beim Lachen, beim Zündeln, beim Ärgern und beim Lieben. Die Forstinninger verstehen es, der Seele solche Stimme und Ausdruck zu geben, dass das Publikum Teil der Geschichte wird. Wobei sie sich nicht aufs Moralisieren zurückziehen, sondern, wie im richtigen Leben, die heiteren Momente genauso ausspielen wie die ernsten.

Geschickt nutzt die Regie dieses Wechselbad der Gefühle. Hier die heile Welt der schmucken Bauernstube und des dörflichen Miteinanders. Dort, immer wieder aufs Neue, die krummen Wege und Wendungen, die das Leben nimmt, wenn diese heile Welt sich in die Nebel des Ungewissen hüllt. Über fünf Jahreszeiten erstreckt sich die Tragödie, die jeweiligen Akte geprägt von deren typischen Eigenschaften und Mitbringseln: Wärme und Kälte, Licht und Dunkel, Freude und Angst. Poetische Vorspiele vor jedem Akt sowie das zeitweise Heraustreten der einzelnen Charaktere aus dem erstarrten Bild nehmen das Publikum an der Hand, lassen verstehen, was da unter der Oberfläche der Figuren brodelt. Den Rahmen setzt "das Dorf", in persona dreier Ratschkathl'n im Stile eines antiken Chores, hier allerdings nicht der Heiterkeit dienend, sondern das schleichende Gift der "Fake News" verbreitend. Entlarvend dabei, dass unter wiederholten "Pfui Deifi"-Rufen die zehn Gebote, insbesondere das sechste davon, nicht mehr als Werte-Koordinaten dienen, sondern als Codes für schmutzige Anspielungen.

Die Mechanismen des Manipulierens, Verschweigens und Mutmaßens, unter denen sich solche Haltung im engen Kreis eines überschaubaren Bergdorfes zu einem Klima der Scheinheiligkeit verdichtet, der Schattenseite der christlich-abendländischen Kultur, entlarvt dieses Stück in beispielhafter Zeitlosigkeit. Dass dabei allerlei geschieht, was das Publikum so nicht "erwartet" hat, sei zur Selbstprüfung empfohlen: Wie leicht lassen wir uns selbst vom dem leiten, was wir beim Stochern im Nebel vermuten wollen? Das Forstinninger Ensemble jedenfalls spielt diesen Zwiespalt so intensiv, so glaubwürdig, dass keiner sagen kann: "Das war mir von Anfang an klar." Dafür großen, anhaltenden Applaus, über den Premieren-Bonus hinaus.

Weitere Aufführungen am 9., 10., 16. und 17. März, jeweils um 20 Uhr im Rupert-Mayer-Haus in Forstinning.

© SZ vom 05.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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