Unterbringung von Flüchtlingen:Zu Besuch in der Grafinger Flüchtlings-WG

Unterbringung von Flüchtlingen: WG-Initiatorin Renate Glaser (Dritte von links) mit den Eritreern, die in der Grafinger Wohnung der Familie Barth ein Zuhause in ihrer neuen Heimat gefunden haben.

WG-Initiatorin Renate Glaser (Dritte von links) mit den Eritreern, die in der Grafinger Wohnung der Familie Barth ein Zuhause in ihrer neuen Heimat gefunden haben.

(Foto: Christian Endt)

Zwei Jahre lang waren die fünf Eritreer in Sammelunterkünften untergebracht. Nun haben sie eine WG gegründet.

Von Anja Blum, Grafing

Beim ersten könnte die Geste noch Zufall sein, beim dritten sind die Zweifel daran schon ziemlich groß und beim fünften Eritreer, dem der Besucher die Hand schüttelt, ist es Gewissheit: Dass diese Landsleute sich bei der Begrüßung mit der freien Hand an den eigenen Ellbogen fassen, hat etwas zu bedeuten.

"Wir Eritreer machen das bei Gästen und auch bei Älteren, das ist ein Zeichen des Respekts", erklärt Bereket Fissahaye. Der 25-Jährige wohnt seit Anfang des Jahres mit fünf Freunden in einer Wohnung in Grafing - für die Geflüchteten vorerst das Ende einer langen Reise. An diesem Nachmittag empfangen sie die Menschen, die das möglich gemacht haben. Mit Tee, Kaffee - und schüchterner Fröhlichkeit.

Unterbringung von Flüchtlingen: Heimarbeit für die WG-Bewohner: Dejen Matiwos verdient mit einem Mini-Job in der Werkstatt eine Etage unter der WG etwas Geld.

Heimarbeit für die WG-Bewohner: Dejen Matiwos verdient mit einem Mini-Job in der Werkstatt eine Etage unter der WG etwas Geld.

(Foto: Christian Endt)

Kennengelernt haben sich die Männer in der Turnhalle des Gymnasiums in Kirchseeon und in der Traglufthalle in Pliening. "Sie haben alle fast zwei Jahre in Sammelunterkünften gelebt", sagt Renate Glaser aus Glonn. Die SPD-Kreisrätin mit Doktortitel hielt in den Hallen regelmäßig eine medizinische Sprechstunde ab, so lernte sie den "Lagerkoller", aber auch Fissahaye kennen.

Die beiden hatten schnell einen Draht zueinander, vielleicht auch, weil der Eritreer in seiner Heimat als Apotheker gearbeitet hat. Jedenfalls reifte in Glaser bald der Wunsch, dem anerkannten Flüchtling bei der Wohnungssuche zu helfen. "In den Hallen leben vor allem alleinstehende Männer, und die haben es natürlich besonders schwer", sagt sie.

Günstige Wohnungen sind im Landkreis rar

Schließlich seien kleine, günstige Wohnungen im Landkreis grundsätzlich rar und junge, dunkelhäutige Männer ohne Familienanschluss, dafür aber mit Sprachbarriere, für Vermieter nicht gerade die Wunschbesetzung. Also dachte Glaser kreativ und machte sich auf die Suche nach einer großen Wohnung - für eine "Migranten-WG", wie sie selbst das Modell liebevoll nennt.

Unterbringung von Flüchtlingen: Erstmals haben die Eritreer eigene Zimmer und eine Küche.

Erstmals haben die Eritreer eigene Zimmer und eine Küche.

(Foto: Christian Endt)

Nach mehreren Fehlschlägen wurde die Glonnerin schließlich in Grafing fündig. Christoph Barth hatte die Wohnung seines Vaters inseriert, den er aus gesundheitlichen Gründen zu sich genommen hatte. Er war von der Idee Glasers sofort angetan. "Mein Stiefvater war lange Stadtrat, meine Mutter Sonderschullehrerin - das Soziale hat bei uns in der Familie einfach Tradition", sagt Barth. Und seine Frau Monika fügt hinzu: "Das ist für die Jungs eine große Chance, die wir gerne unterstützen." Außerdem finde sie es sehr schön, dass nun "wieder Leben in der Bude" sei.

Ohne Glaser allerdings wäre es dazu wohl nicht gekommen. "Findet ein Flüchtling eine Wohnung, steht eigentlich immer ein Helfer im Hintergrund" sagt sie. Doch nicht nur das, Glaser ist auch offiziell in das Geschäft eingebunden: Die Kreisrätin hat die Grafinger Wohnung gemietet und mit den Eritreern jeweils einen Untermietvertrag abgeschlossen. Das sie damit ein Risiko eingeht, glaubt sie nicht. "Ich schätze das für mich nicht so ein."

Ohne Glasers Engagement hätte das Jobcenter dem Modell wohl auch nicht zugestimmt. Als Sozialhilfeempfänger müssen die Geflüchteten ihre Wohnungssituation schließlich mit der Behörde abstimmen. Glaser jedoch ist von der Zusammenarbeit sehr angetan: "Es waren alle an einer Lösung interessiert", sagt sie. Außerdem habe das Jobcenter nicht auf einer maximalen Belegung bestanden - "Gott sei Dank!" Nun heißt es in der WG: pro Zimmer nur ein Mann.

Die Wohnung liegt im Grafinger Stadtzentrum, verfügt über etwa 200 Quadratmeter, viele Zimmer und ist möbliert. Barths Vater nämlich war Schreiner, fertigte für die Zimmer lauter Schränke und andere Einbauten an. Für die Geflüchteten, die selbst keine Möbel besitzen, eine ideale Lösung. "So mussten wir glücklicherweise nichts zusammenbetteln", sagt Glaser. Von außen betrachtet wirken die fünf Eritreer inmitten der ganzen Schrankwände zwar etwas fehl am Platz - auch sind die meisten Fächer noch leer -, doch sie scheinen sich wohlzufühlen.

Nachmittags in der Werkstatt

Jedenfalls haben sie nicht einmal die Dinge des Vorgängers entfernt, bei denen dies möglich wäre. Die vielen Wandteppiche zum Beispiel, oder den hölzernen Christophorus. Wobei der Heilige, eine Weltkugel in der schützenden Hand, symbolisch hier durchaus ins Bild passt. Einige der Eritreer, bis auf eine Ausnahme allesamt Christen, haben über ihrem Bett ohnehin dicke Holzketten samt Kreuzen aufgehängt.

Ansonsten ist es "eine bunte Truppe", wie Glaser sagt, die ihr Freund Fissahaye da zusammengestellt hat: Der 20-jährige Dejen Matiwos war in Eritrea Profifußballer, Hani Salem, 21, hat eine Ausbildung zum Mechaniker gemacht, Tsegabrahn Goytom, 43, war Maler und fuhr Lkw, Ghidey Rezene, 41, war Landwirt. Momentan besuchen sie alle verschiedene Kurse, in denen sie Deutsch und andere praktische Dinge lernen. Fissahyes Zukunftspläne sind dabei die konkretesten: Er möchte gerne studieren und irgendwann auch in Deutschland als Apotheker arbeiten. Demnächst macht er ein Praktikum in einem Seniorenheim.

Doch die WG ist nicht die einzige glückliche Fügung, von der die Eritreer profitieren: Darunter befindet sich die Werkstatt von Florian Barth, dem Sohn des Vermieters. Der Feinwerkmechaniker hat sich gerade selbständig gemacht - und gleich einen Auftrag erhalten, den er alleine nicht bewältigen könnte, wie er erzählt. Deswegen hat er fünf Minijobs für die Eritreer geschaffen, immer abwechselnd helfen sie nun nachmittags in der Werkstatt aus.

Das bringt ihnen laut Glaser ein bisschen Geld - ein Teil wird mit den Bezügen vom Amt verrechnet - aber vor allem auch Beschäftigung und Bestätigung. "Die Werkstatt ist sehr interessant", sagt Fissahaye, besonders die Fräsmaschine hat es ihm angetan. 500 Flaschenöffner muss Barth pro Woche produzieren, ein ausgefallenes Stück Handarbeit: In einem Holz in Fahnenform stecken ein Magnet und ein umgebogener Nagel, darauf abgebildet ist ein Segelschiff. "Die Öffner sind für eine Hamburger Brauerei", sagt Florian Barth, "die ihr Bier in der Elbphilharmonie verkauft".

Die häuslichen Aufgaben in der Wohnung haben die Flüchtlinge mittlerweile ebenfalls straff organisiert. "Am Anfang war es wohl nicht immer einfach, wie in jeder WG", sagt Glaser. Doch heute gibt es laut Fissahaye einen Putzplan, jede Woche ist ein anderer für die Gemeinschaftsräume, also Küche und Bäder, zuständig, am Sonntag machen alle gemeinsam sauber. Und das Ergebnis überzeugt: Alles ist pikobello, die hellen Teppiche erstrahlen, als wären sie neu. Kein Wunder: Vor Betreten der Wohnung ziehen alle ihre Straßenschuhe aus und Hausschlappen an. Zum Einkaufen gehen immer zwei der Männer, ausgestattet mit einer Liste. Die Gemeinschaftskasse, in die alle einzahlen, verwaltet Kassier Matiwos.

Ob es den Männern an etwas fehlt? "Nein,", sagt Fissahaye. Ganz im Gegenteil. Sie seien glücklich, nun jeweils ein eigenes Zimmer mit Fenster, Tisch und Bett zu haben, und endlich selbst kochen zu können - "das, was wir wollen". Jeden Abend wird gekocht, sogar Fladenbrot backen die Afrikaner. Die Barths und Glaser waren bereits zum Essen eingeladen. Was es gegeben hat? "Viel", sagen die Gastgeber, "aber ohne viel scharf".

Kontakte jenseits der Helfer zu den Menschen in Grafing haben die Eritreer bislang kaum. Eine Frau mit Hund bringe ab und an Brot vorbei, ihr Mann sei wohl Bäcker, erzählen sie, und eine andere Frau habe mal eine Winterjacke gespendet, aber ansonsten hätten sie noch niemanden kennengelernt. Irgendwelche Probleme mit der Nachbarschaft habe es allerdings auch nicht gegeben, sagt Florian Barth, der auch in dem Haus wohnt. "Nach dem Einzug haben sie sich überall vorgestellt, ich glaube, das war wichtig."

Für die Initiatorin ist die Migranten-WG eine Erfolgsgeschichte, die sie auch persönlich bereichert. "Es ist einfach schön, so einen Prozess zu begleiten", sagt Glaser, "zu sehen, wie die Jungs immer selbständiger werden". Und der Kontakt zu ihnen, das sei für sie "wie ein Fenster zu einer anderen Welt". Zu einer Welt, in der man sich zur Begrüßung an den Ellenbogen fasst. Zum Beispiel.

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