Flüchtlinge im Hungerstreik:Ebersberg setzt ein Signal

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Im Internet werden Asylbewerber für ihren Hungerstreik kritisiert, ein Stein fliegt, es kommt zu Hetzparolen, der Landrat erhält wütende E-Mails. Ein 18-Jähriger ruft nun zur Solidaritätskundgebung für die Männer auf

Von Korbinian Eisenberger, Ebersberg

Leo Lux ging nicht weiter, sondern wechselte die Richtung. Dann querte er den Bürgersteig. Er ging einfach hin, zu den Decken und Bannern, sagte servus und setzte sich dazu. Zu den Männern, die seit Montag vor dem Ebersberger Landratsamt ausharren, nicht essen und nicht trinken, weil sie eine Arbeitserlaubnis einfordern. "Ich habe mit ihnen gesprochen und mir ihre Geschichte angehört", sagt er. Gehört, dass einer der Männer seit fünf Jahren auf ein Ergebnis seines Asylverfahrens wartet - und seither gesetzlich ein Arbeitsverbot hat. Ob das so stimmt, ist mangels Dokumenten schwer zu prüfen, doch Lux geht es nicht nur um einen Fall, ihm geht es um mehr.

Lux ist 18 Jahre alt, er zählt zu jenen, die gut nachvollziehen können, warum Abbas Basharat und die anderen Männer aus Afghanistan und Pakistan unzufrieden mit ihrer Lage sind. Damit auch andere diese Sicht der Dinge verstehen, ruft Lux nun zu einer spontanen Solidaritätsbekundung vor dem Ebersberger Landratsamt auf: Samstag, 11 Uhr, auf dem Vorplatz, wo die Männer auf Decken unter eine Plane liegen. Mit Unterstützung vom Bündnis Bunt statt Braun Ebersberg hat der Gymnasiast am Freitagnachmittag noch die Anmeldung für die Demo abgegeben. Standardmäßig für 30 Leute, "es wäre gut, wenn es mehr werden", sagt er.

Nun kommt es also zur Demo für die Demo, der Höhepunkt einer umstrittenen Aktion, die in Ebersberg eine Woche lang Stadtgespräch war und im Internet aufgeregt bis aggressiv diskutiert wurde. Bei Landrat Robert Niedergesäß gingen bis Donnerstag fünf E-Mails ein, die einen gemeinsamen Tenor hatten: Es wurde "die sofortige Räumung der beiden Parkplätze und die unverzügliche Beendigung der Demonstration und des Hungerstreiks durch die Behörden", gefordert, wie das Landratsamt mitteilte.

Tag fünf im Streiklager: Am Freitagnachmittag liegen zwölf Männer unter der Plane auf dem Parkplatz vor dem Ebersberger Landratsamt. Seit Montag harren die Männer aus Afghanistan und Pakistan aus. (Foto: Peter Hinz-Rosin)

Niedergesäß beantwortete jeden Brief und bat zudem öffentlich um Verständnis, "dass die in diversen E-Mails geforderte "harte Hand" (...) keinesfalls geltendem Recht und Gesetz entsprechen würde".

Das Landratsamt hat sich mehrfach eindeutig positioniert, machte klar, dass Asylbewerber genau wie jeder andere Bürger das Recht haben, zu demonstrieren. Das Recht auf Arbeit, welches der 27-Jährige Abbas und seine Gruppe für sich erreichen wollen, kann jedoch nicht von einem Landratsamt erteilt werden, auch das machte Niedergesäß deutlich. Was genau in den E-Mails an ihn stand, lässt sich nur erahnen, weil das Landratsamt die Mails aus Datenschutzgründen unter Verschluss hält, vielleicht ist das besser so.

Wie sich manche Kritiker äußern, ist in diesen Tagen unschwer herauszufinden. Man muss sich nur in den Kommentarspalten unter Artikeln zum Thema umschauen. "Manchmal wünscht man sich doch einen richtig schönen Hagelschauer", kommentiert ein Nutzer, anscheinend unter Klarnamen. "Gehören in den Zug Richtung Böhmerwald", schreibt ein anderer - beides sind harmlose Beispiele. Viele Verfasser wesentlich drastischerer Inhalte kommen in ihren Facebookprofilen ganz gewöhnlich daher, Familienväter- und Mütter, keine Menschen, denen man solch harte Worte andichten würde.

Vor dem Landratsamt geht der Streik indessen weiter, am Freitagnachmittag liegen neun Männer unter der aufgeheizten Plane, drei sitzen im Halbschatten auf Pflastersteinen. Zwei Polizisten sind da, eine Landratsamts-Mitarbeiterin kniet mit Blutdruckmessgerät zwischen den Schlafsäcken, ihre Kollegin notiert die Werte. Alabaksch Amjed, 34, liegt auf der Seite, er ist gerade aus dem Krankenhaus entlassen worden, der Arztbrief neben seiner Decke, insgesamt sind bis Freitag sieben von ihnen im Krankenhaus gewesen. "Links haben meine Nieren einen Schaden bekommen", sagt Amjed, in der Klinik gab es Infusionen. Es klingt verrückt, doch er will weitermachen. Sein Landsmann Abbas Basharat, trockene, rissige Haut, war am Mittag im Landratsamt, es gab Verhandlungen, aber kein Ergebnis. "Wir haben noch Hoffnung, dass wer kommt, der uns helfen kann", sagt er, der Sprecher. Eine Jugendliche schaut vorbei, Sorgenfalten, "wie geht es euch?", fragt sie. Kein Zweifel: Nach fünf Tagen Hunger- und Trink-Streik geht es allen richtig schlecht.

Leo Lux, 18, aus Ebersberg macht gerade Abitur. (Foto: privat)

Im Netz wird auch konstruktiv debattiert, etwa über den Sinn oder Unsinn der Hungerstreik-Aktion. Und es wird darüber gesprochen, worum es hier eigentlich geht: "Die Menschen wollen einfach nur arbeiten und dürfen es nicht", schreibt ein Facebooknutzer, ein Bundesgesetz ist hier ausschlaggebend, die bayerische Staatsregierung zählt zu den Unterstützern dieser Regelung. "Man könnte sie eben schon arbeiten lassen, wenn man denn wollte", findet ein anderer. Es geht also um ein landes- und bundespolitisches Thema, um Entscheidungen, die in München und Berlin gefällt werden.

Es war ein verbaler Schlagabtausch, den sich die Netzgemeinde da lieferte, am Donnerstag kommt dann auch noch eine Frau vorbei, reißt ein Poster herunter, entfernt die Steine von den Bannern auf dem Boden und wirft einen davon aufs Lager, ohne jemanden zu treffen. Mittlerweile hängt das Plakat wieder, ein weiteres ist dazugekommen. "Solidarität mit dem Widerstand gegen Rassismus", steht darauf. Münchner Jugendliche haben es gebastelt. Höchste Zeit, sagt Lux, dass jemand ein Signal setzt.

Die Solidaritätskundgebung beginnt am Samstag um 11 Uhr vor dem Ebersberger Landratsamt.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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