Flüchtlinge:Helfer mit Erfahrung

Korosh Kabiry, Afghane aus Teheran, der Flüchtlinge beim Ankommen unterstützt, Verein Horizonte Landkreis Ebersberg

Korosh Kabiry will Kinderpfleger werden, er mag die Arbeit mit Menschen, sagt er.

(Foto: privat)

Der Verein Horizonte startet mit dem 19-jährigen Korosh Kabiry ein neues Angebot: Der Afghane soll anderen Flüchtlingen im Landkreis die Integration erleichtern.

Von Anja Blum, Ebersberg

"Das Leben kann nicht im Gesetzbuch stehen", sagt Korosh Kabiry. "Wer sich darauf verlässt, wird enttäuscht." Der 19-Jährige jedenfalls hat das am eigenen Leib so erfahren. Hinter dem Afghanen liegt eine Odyssee: Aus dem Iran über Griechenland nach Italien bis nach München, auf Booten und Lastwagen ist er gereist, hat lebensgefährliche Situationen erlebt. "Seine Mutter hat ihn weggeschickt, weil die Afghanen in Teheran leben müssen wie die Sklaven", erklärt der Aßlinger Jugendpfleger Erwin Mehl. "Sie haben keine Rechte, dürfen nur die niedrigsten Arbeiten erledigen - für einen Hungerlohn."

In Bayern wurde Kabiry, der deutschen Sprache freilich nicht mächtig, von einer Jugendhilfeeinrichtung in die nächste geschickt, weil er immer wieder aneckte. "Er ist mit der Situation einfach nicht zurecht gekommen", sagt Mehl, der sich schließlich, im Jahr 2011, des jungen Afghanen als Pflegevater annahm.

Er arbeitet lieber mit Menschen als Maschinen

Und in diesem neuen, geschützten Zuhause habe sich Kabiry dann richtig gut gefangen. "Er hat sich vor allem auf die Schule konzentriert, hatte bald den Quali in der Tasche und wurde von der Realschule weg für eine Ausbildung zum Vermessungstechniker angeworben." Nach einem Jahr in der Firma merkte Kabiry jedoch, dass er lieber mit Menschen als mit Maschinen arbeiten möchte. "Er will anderen helfen und etwas zurückgeben."

Heute wohnt Kabiry in einer Wohnung in Rosenheim, besucht die Berufsfachschule für Kinderpflege in Traunstein und scheint, so gut das bei dieser Vorgeschichte eben möglich ist, angekommen zu sein. "Bei mir klappt es mittlerweile wunderbar", sagt er. Vor allem seine neue Ausbildung gefällt ihm sehr gut. "Da lerne ich viel über Menschen, über Psychologie, über mich selbst." Und das alles komme auch seiner Arbeit mit anderen Flüchtlingen zugute. Denn Kabiry hat es sich zur Aufgabe gemacht, Asylbewerbern bei ihren ersten Schritten in der fremden Welt zur Seite zu stehen.

Begonnen hat Kabirys Engagement in kleinem, privaten Rahmen, doch nun hat der Ebersberger Verein Horizonte, zu dem sich mehrere Akteure der Jugendarbeit zusammengeschlossen haben, ihm einen offiziellen Rahmen gegeben: das Tutorenprojekt "Flüchtlinge helfen Flüchtlingen" ist mit Kabiry in die Probephase gestartet. "Er ist mit den vorderorientalischen Gepflogenheiten vertraut, hat selbst eine dramatische Flucht erfahren und ist somit in der Lage, sich in die Situation des Ankommenden einzufühlen und - ohne große Überwindung von kulturellen oder religiösen Unterschieden - Hilfestellungen zu geben", heißt es in der Pressemitteilung des Vereins.

Enttäuschungen und Missverständnisse vermeiden

Konkret bedeutet dies: Kabiry hat nun den Auftrag, seine Beratung regelmäßig und landkreisweit anzubieten, in der Probephase bis Dezember zwei Stunden täglich. Dafür erhält er eine monatliche Aufwandsentschädigung, die Horizonte von den 1000 Euro des Fortunat-Weigl-Preises, mit dem der Verein diesen Sommer ausgezeichnet wurde, bezahlt. Kabiry "setzt sich dafür ein, Enttäuschungen und Missverständnisse zu vermeiden oder zumindest aufzuklären, damit mangelnde Sensibilität im Alltag nicht Ausgrenzung und Wut fördern", so der Verein.

In Deutschland zu leben "ist eine Chance, die man nutzen muss", sagt der junge Afghane, doch viele Asylbewerber wüssten einfach nicht, wie. Die gesetzlichen Anforderungen, die schulischen Regeln, Alltagsprobleme wie der Kauf einer Fahrkarte oder die Mülltrennung, kulturelle Unterschiede, der Umgang mit den Betreuern: All das berge viele Risiken für Fehler und Missverständnisse, die gravierende Folgen haben könnten, so der 19-Jährige.

Seine Erfahrung sei, dass die erste Zeit vor allem für Jugendliche sehr schwierig sei. "Wenn man hier ankommt, bekommt man so viele und so unterschiedliche Informationen - das führt zu großer Unsicherheit." Außerdem hätten viele Flüchtling unrealistische Vorstellungen vom Leben in Europa: "Sie glauben, dass hier alles perfekt funktioniert, aber das ist in der Praxis leider meist nicht so." Diese Erkenntnis verstärke die Verunsicherung und Angst der Neuankömmlinge zusätzlich.

Das Angebot soll ausgebaut werden

Wenn dann da aber jemand sei, der die gleichen Erlebnisse gemacht habe und zudem ein gutes Beispiel für gelungene Integration abgebe, dann schaffe das schnell eine Vertrauensbasis. "Es hat zum Beispiel eine ganz andere Wirkung, wenn man die Dinge in seiner Muttersprache erklärt bekommt", sagt Kabiry. Das sehen auch die Aktiven von Horizonte so und planen, das Angebot an Integrationshilfe auszubauen.

Ist Kabiry erfolgreich, soll es schon bald mehr integrierte Flüchtlinge geben, die Neuankömmlingen helfen. Auch ein Büro samt Schulungsraum hätte der Verein gerne, um alle seine Aktivitäten zu bündeln. Bislang nutzen die beteiligten Jugendpfleger Räume in den Rathäusern, alles andere findet zu Hause statt. "Am besten wäre natürlich Ebersberg oder Grafing, weil diese Städte gut zu erreichen sind, aber das ist ein teures Pflaster", sagt Mehl. "Und wir sind nur gut, nicht reich." Insofern hoffe er, dass sich hier eine Sponsorenlösung finden lasse.

Bis es soweit ist, arbeitet Kabiry als mobile Einsatzkraft: Er wurde vom Verein mit einem Handy und Visitenkarten ausgestattet. Trotzdem, glaubt Mehl, wird das Angebot die Betroffenen im Landkreis gut erreichen: "Kabiry wird sich bald vor Anrufen nicht mehr retten können." Damit es dem jungen Afghanen nicht irgendwann zu viel wird, hat der Verein ihm zwei Fachkräfte zur Seite gestellt, die ihn ehrenamtlich unterstützen. "Man muss ihn nämlich immer wieder bremsen, ihm sagen , dass er die Welt nicht retten kann", sagt sein ehemaliger Pflegevater. Und der muss es ja wissen.

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